Hamburg. Betroffene Familie hofft nach schwerem Unfall an Elbchaussee auf neue Hinweise. Ermittler nutzen schon kleinste Spuren.
Ihr Vater sei vorsichtig gewesen, wie immer, so sagt es seine Tochter. Am frühen Neujahrsmorgen steht Klaus B.* an der Elbchaussee, vor seiner Frau und seiner Schwester tritt er als Erster auf die Straße. Er hat weder viel Alkohol getrunken, noch unterschätzt er die Gefahr. Doch das Auto kommt so schnell aus Richtung Blankenese, dass er nicht ausweichen kann.
Kommentar: Mehr Anstand auf den Straßen
Mit der vorderen rechten Seite seines Autos erfasst der Fahrer den 62 Jahre alten Musikschullehrer. Der Mann verletzt sich schwer am Becken und am Knie. Die beiden Frauen erleiden einen Schock. Die Minuten ziehen sich unendlich, bis der Rettungswagen kommt. Klaus B. liegt noch immer im künstlichen Koma. Der Täter ist einfach weitergerast, als hätte er bloß eine Fliege im Vorbeifahren getroffen. „Wir können nur hoffen, dass man ihn doch noch findet oder er sich seiner Verantwortung stellt“, sagt die Tochter von Klaus B.
Täter bei Vernehmung fast nie geständig
Bei den Ermittlern der Verkehrsstaffeln im Polizei registriert man seit Jahren, wie sich auch solche schweren Fälle von Fahrerflucht häufen. „Es sind nicht nur die absoluten Zahlen“, sagt Reimar Stuhr, Leiter der Unfallermittlung bei der Verkehrsdirektion 4. Auch im Verhältnis zum Gesamtaufkommen der Unfälle passiere es gerade bei Kollisionen mit Verletzten immer häufiger, dass die Fahrer einfach Gas gäben.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flüchtiger nach dem Unfall doch aufgespürt wird, recht hoch. Bei den „Bekanntsachen“, bei denen es zumindest einige Spuren wie das Fragment eines Kennzeichens oder Teile eines Scheinwerfers des Verursacher-Fahrzeugs gibt, wird die große Mehrzahl der Geflüchteten ermittelt. Schon ein kleiner Lackabrieb reicht aus , um ihn mit mehr als 25.000 Originallackproben in der Datenbank der European Collection of Automotive Paints (EUCAP) abgleichen zu können. Aus dem individuellen Lack können die Beamten so oft Modell, Hersteller und sogar das Baujahr des Verursacherfahrzeugs bestimmen. Auch Glassplitter können häufig einem Fahrzeugtyp zugeordnet werden.
Probleme bei ausländischen Autos
Schwierig wird es bei den „Unbekanntsachen“, die etwa 30 Prozent der Unfallfluchten ausmachen. Bei Blechschäden könnten einige Geschädigte nicht einmal sagen, wo genau ein Kratzer verursacht wurde. Auch bei ausländischen Autos gibt es Probleme: In Polen gilt eine Unfallflucht etwa nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit – entsprechend bleiben Anfragen der Hamburger Polizei unbeantwortet. In Deutschland wird eine Fahrerflucht dagegen mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.
Die Motive der Täter sind laut Stuhr meist identisch. „Der Fahrer stand unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, das Fahrzeug war gestohlen oder wurde unberechtigt geführt“, sagt der Hauptkommissar. Die Beamten müssen aber die Tat meist haarklein nachweisen – und dies ist schwierig, schon angefangen mit der Frage, ob der Fahrer wirklich zur Tatzeit auch am Steuer saß.
Reuiger Unfallflüchtiger ist die Ausnahme
Sitzt ein Beschuldigter bei den Polizisten im Büro, ist in der Regel „Sendepause“, sagt Stuhr. „Die meisten lassen sich von einem Anwalt vertreten“, so Stuhr. Der reuige Unfallflüchtige sei die absolute Ausnahme. Im Internet schreibt etwa eine Anwaltskanzlei, wie es gute Chancen gebe, nicht verurteilt zu werden: „Wer von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann hierdurch große Vorteile erlangen.“
Nicht immer führt eine Anklage dann auch zu einer Strafe. Von 1244 Fahrern, die im vergangenen Jahr wegen Unfallflucht vor Gericht standen, wurden 854 verurteilt. In 314 Fällen wurde das Verfahren eingestellt. 75 Beschuldigte wurden freigesprochen. In einem Fall sah das Gericht von einer Strafe ab.
Geschädigte haben kaum Anspruch auf Hilfe
Für den ADAC-Sprecher Christian Hieff liegt das Problem ohnehin tiefer. „Auch das Thema der Unfallfluchten ist ein Ausweis davon, wie sich die Beteiligten im Straßenverkehr verhalten“, so Hieff. Seit Jahren beobachte man, dass der Ton auf Hamburgs Straßen sehr rau geworden sei – auch im Vergleich mit anderen Großstädten.
Geschädigte haben kaum Anspruch auf Hilfe, solange der Fahrer nicht gefunden oder die Ermittlungen eingestellt seien. Wer einen Unfall versucht hat, muss laut Polizei entweder so lange warten, bis der Geschädigte eintrifft, oder die Polizei rufen. Nur einen Zettel zu hinterlassen reicht nach dem Gesetz nicht aus.
Hinweise auf den flüchtigen Unfallfahrer von der Elbchaussee oder auf sein Auto nimmt die Polizei unter Telefon 4286 567 89 entgegen. Nach Spuren vom Unfallort könnte es sich um einen Fiat mit Beschädigungen am Außenspiegel handeln.