Hamburg/Wedel. Schon jeder zehnte Schulanfänger ist zu schwer. Das Netzwerk Moby Kids hilft dabei, mit Sport und richtiger Ernährung abzunehmen.
Es fühlt sich an wie fliegen. Ein Hopser auf das Minitrampolin, und Cynthia schwebt in einer geraden Rolle für Sekunden durch die Luft, bis sie auf der dicken blauen Matte landet. Das macht sie immer wieder an diesem Nachmittag in einer Turnhalle in Wedel. Die zehnjährige Cynthia und die anderen Kinder und Jugendlichen, die übers Trampolin springen, Sit-ups machen oder mit dem Fußball spielen, sind nicht nur zum Vergnügen hier: Sie sind übergewichtig und wollen abnehmen.
Dabei hilft ihnen Kuno Michael Konopka. Ohne Drill, ohne Trillerpfeife, aber dafür mit viel Gefühl. „Das Ziel ist, die Kinder zu motivieren und so zum Erfolg zu bringen“, sagt der 62-Jährige. Ganz ohne Anstrengung geht es aber nicht: 90 Minuten lang müssen Cynthia und die anderen fünf einen Fitness-Parcours absolvieren, Federball spielen, Bauchübungen machen – Hauptsache, sie bewegen sich. Für einen guten Sit-up gibt es zwei Punkte, für einen Seilsprung einen. Das heutige Ziel sind 400 Punkte. Niemand hat gesagt, dass Abnehmen leicht ist. Und dreht sich ihr Trainer um und ist mal nicht aufmerksam, versammeln sich die Kinder auch gern auf der dicken Turnmatte und legen ein Päuschen ein.
Jungen sind häufiger adipös als Mädchen
Kuno Konopka trainiert seit 17 Jahren übergewichtige Kinder beim Netzwerk Moby Kids. Und er scheint es gut zu machen mit seiner Ansprache und seinem Trainingsplan. Auf einem Zettel hat er Kurven notiert, Namen, Alter, Größe und Gewicht sowie den Blutdruck seiner Schützlinge – er kontrolliert das immer wieder. Nach einem Jahr regelmäßiger Teilnahme hätten 92 Prozent der Kinder und Jugendlichen trotz Wachstums nicht zugenommen, 67 Prozent sogar abgenommen.
Leitartikel: Übergewichtige Kinder – eine Zeitbombe
Die Entwicklung ist alarmierend: Bei der Schuleingangsuntersuchung im vergangenen Jahr wurde bei 10,1 Prozent der Kinder in Hamburg Übergewicht diagnostiziert, bei fast fünf Prozent sogar eine Adipositas, eine krankhafte Fettleibigkeit. Jungen sind davon häufiger betroffen als Mädchen. Auch im Kurs von Herrn Konopka sind es heute lediglich zwei Mädchen.
Unterstützung von einer Psychologin
Cynthia ist seit einem halben Jahr dabei und erzählt, dass sie auch schon abgenommen hat. In den Kursen von Moby Kids lernen die Kinder und deren Eltern auch, wie sie sich gesünder ernähren können, und bekommen zusätzliche Unterstützung von einer Psychologin. „So ganz habe ich mir das noch nicht abgewöhnt, beim Handyspielen Knäckebrot mit Frischkäse zu essen“, sagt Cynthia. Aber sie ist auf dem richtigen Weg. Sie spricht nicht gern über das Thema und möchte lieber wieder aufs Trampolin.
„Hier können die Kinder an sich arbeiten, Kondition aufbauen. Im Schulsport und im Verein haben sie häufig das Nachsehen“, sagt Kuno Konopka. Das bedeutet nicht, dass sich die übergewichtigen Kinder nicht gern bewegen oder unsportlich seien. Amado sei ein wahrer Athlet, und Deborah (12) hat so eine saubere Technik beim Seilspringen, dass ihre Bewegungen kaum wahrnehmbar sind. Ins Schwitzen kommt sie dennoch.
Adiposita ist nicht jedem Kind anzusehen
Die Adiposita ist auch nicht jedem Kind gleich anzusehen. Manche, wie Amado oder Benny, scheinen hier gar nicht hinzugehören. Das liegt auch daran, dass sie bereits länger und erfolgreich an dem Programm teilnehmen. Amado ist kurz vor seinem Normalgewicht und hat gut fünf Kilo abgespeckt. Der 13-Jährige hat inzwischen komplett damit aufgehört, vor dem Fernseher Chips und Schokolade zu naschen.
Ein Jahr lang erhalten die Betroffenen wöchentlichen Sport- und Ernährungsunterricht. Außerdem ein Verhaltenstraining. Es geht also nicht um eine schnelle Diät. „Das Ziel ist eine langfristige Gewichtsstabilisierung sowie die Verbesserung der Lebensqualität“, sagt Nina Holtz, Geschäftsführerin von Moby Kids. Die Kinder des Kurses sollen ihr Gewicht halten und das Übergewicht im Idealfall durch ihr natürliches Wachstum kompensieren.
Das ambulante Therapieprogramm, das von vielen Krankenkassen mitfinanziert wird, richtet sich an adipöse Kinder zwischen acht und 17 Jahren. An Kinder und deren Eltern, die die Gewichtsprobleme in den Griff bekommen wollen, nach Einschätzung ihrer Kinderärzte in den Griff bekommen müssen. Und das betrifft nicht nur Kinder aus bildungsfernen Familien. „Die bildungsfernen Familien müssen erst vom Kinderarzt zu uns geschickt werden, die bildungsnahen Familien werden selbst aktiv“, sagt Nina Holtz.
Spaß am Essen behalten
Wichtig dabei: Ihnen soll der Spaß am Essen nicht genommen werden. „Essen ist bei den Betroffenen häufig negativ besetzt, Eltern kontrollieren das. Wir bieten ihnen Alternativen“, sagt Nina Holtz. Sie lernen, dass ein Wassereis eben weniger Kalorien hat als ein Schokoladeneis, dass ein Burger okay ist, wenn dazu statt Cola ein Wasser getrunken wird.
In Hamburg ist das Netzwerk seit 19 Jahren aktiv. Trotz der steigenden Nachfrage, vor allem aus dem Innenstadtbereich, kann Nina Holtz das Angebot nicht so leicht ausweiten. Der Grund: Es fehlen freie Hallenzeiten. „Durch den Ganztagsunterricht ist es schwerer geworden, Schulsporthallen nutzen zu können“, sagt sie.