Hamburg. Konzerte, Steuern, Toiletten, Anti-G20-Treffen – auf etliche Fragen antwortet die Regierung gar nicht oder räumt eigene Unkenntnis ein.
Es könnte eines der wichtigsten Themen in den zwei Jahren bis zur Bürgerschaftswahl bleiben: Wie geht der rot-grüne Senat nach den schweren Krawallen beim G20-Gipfel mit der Roten Flora um?
Das Jahr hatte kaum begonnen, da brachte CDU-Fraktionschef André Trepoll das Thema wieder auf die Tagesordnung und überreichte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) beim Neujahrsempfang je ein Puzzle: Die 1000 Teile ergeben ein Foto von Trepoll vor der Flora, darauf hält er ein Schild mit der Forderung „Jetzt abstimmen“ – wobei der Oppositionsführer für die Schließung des seit 1989 besetzten früheren Theaters stimmen würde.
Das politische Puzzlespiel läuft in der Regel umgekehrt: Die Opposition fragt, der Senat gibt nur häppchenweise Informationen oder weicht aus – das Bild der Lage am Schulterblatt und zur Rolle der Flora bei den G20-Krawallen bleibt daher arg bruchstückhaft.
Senat verweist auf frühere Antworten
Das erlebte jetzt auch AfD-Innenpolitiker Dirk Nockemann. In seiner Kleinen Anfrage „Was plant der Senat mit der Roten Flora?“ stellte er elf Fragen zu dem Thema. Die Antworten, die dem Abendblatt vorliegen, bestehen jedoch nur aus Verweisen auf frühere Antworten und dem seit Monaten wiederholten Satz: „Eine mögliche Rolle von Vertretern der Roten Flora im Rahmen der Ereignisse rund um den G20-Gipfel ist derzeit Gegenstand laufender Ermittlungen der Polizei Hamburg, über die der Senat sich nicht äußert, um einen möglichen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden.“
Nockemann ist, wie etliche andere Oppositionspolitiker, verärgert über diese Informationspolitik: „Diese in allen Bereichen nichtssagende Antwort des Senats auf meine Anfrage ist nicht nur eine Missachtung des Parlaments, sondern sie macht die ganze Rat- und Mutlosigkeit von Bürgermeister Scholz in Bezug auf das weitere Verfahren im Umgang mit der Roten Flora deutlich.“
Das Abendblatt hat daher einmal zusammengestellt, was der Senat eigentlich über die Flora weiß – beziehungsweise, was er davon auf Nachfrage von Abgeordneten preisgegeben hat.
Wie sind die Eigentumsverhältnisse?
„Die Johann Daniel Lawaetz-Stiftung (JDLS) ist Eigentümerin des Grundstücks der Roten Flora. Der Kauf erfolgte im Jahr 2014 mit der Zielsetzung, die bestehenden Nutzungsverhältnisse unverändert fortbestehen zu lassen und eine friedliche Entwicklung im Stadtteil zu ermöglichen. Ein Mietvertrag bestand zu diesem Zeitpunkt nicht und wurde auch nicht neu abgeschlossen.“ Das antwortete der Senat im Juli auf eine Anfrage der FDP. Was er nicht schrieb: Die Lawaetz-Stiftung ist eine städtische Einrichtung.
Wie ist der bauliche Zustand der
Roten Flora nach Ansicht der Stadt?
Auf diese Frage der CDU schrieb der Senat im September: „Es sind keine Mängel bekannt, die einen Einfluss auf die Gebäudesubstanz haben könnten.“
Welche öffentliche Stelle hat das Gebäude zuletzt besichtigt?
„Einen Überblick hat sich zuletzt die Feuerwehr im Rahmen einer Brandverhütungsschau Ende 2015 verschafft“, antwortete der Senat auf die CDU-Anfrage. Zu den Toiletten im Gebäude heißt es: „Der zuständigen Behörde liegen keine Informationen zu den Sanitäreinrichtungen vor.“
Wer hat die umfangreiche Renovierung im Jahre 2015 bezahlt, bei der unter
anderem Teile der historischen Fassade wiederhergestellt wurden?
Soweit bekannt, „wurden diese vom Nutzer finanziert“, so der Senat, der wiederum einräumt: „Detaillierte Kenntnisse liegen hierzu nicht vor.“
Welche Kosten entstehen der Stadt?
Die Lawaetz-Stiftung erhält von der Stadt für die Verwaltung der Roten Flora eine Zuwendung: 2015 waren es 26.500 Euro, seit 2016 sind es 24.000 Euro pro Jahr. Dem stehen laut Senat Ausgaben der Stiftung für Personal, Verwaltung und „Sonstiges“ in etwa gleicher Höhe gegenüber. Im Treuhandvertrag mit der Stiftung ist zudem geregelt, dass die Stadt die Betriebskosten für die Flora übernimmt. Für 2016 und das erste Halbjahr 2017 fielen dabei insgesamt an: 3400 Euro für Gehwegreinigung, rund 2250 Euro für Niederschlagwasser, rund 500 Euro für den Winterdienst, etwa 3050 Euro für Grundsteuer sowie rund 400 Euro für Gebäude-/Feuerversicherung sowie Feuerstättenbescheid. Grob gerechnet kostet die Rote Flora die Stadt also gut 30.000 Euro im Jahr.
Wer sind die Nutzer, und was machen sie in dem Gebäude?
Das beschrieb der Senat im Juli auf Anfragen von FDP und CDU so: „Die Rote Flora ist das bedeutendste Kommunikations- und Treffzentrum der autonomen Szene in Hamburg und Umgebung und wird von ihr für regelmäßige Treffen und politische Veranstaltungen genutzt. Zu den von Nutzern selbst organisierten Einrichtungen gehören eine Fahrrad- und eine Motorradwerkstatt, das ,Archiv der sozialen Bewegungen‘ und eine ,Volksküche‘.“
Weiß der Senat, wie sich diese Projekte in der Flora finanzieren?
Nach eigener Auskunft: nein.
Unterstützen die Kulturbehörde oder der Bezirk Altona direkt Veranstaltungen in der Flora?
Laut Senat: nein.
Welche Konzerte fanden dort statt? Welche waren anmeldepflichtig? Welche Konzessionen/Auflagen waren dafür erforderlich?
Auf alle diese Fragen der CDU antwortete der Senat Ende September nur allgemein: „Das Kulturzentrum entscheidet eigenständig über sein Veranstaltungsprogramm. Alle mit der Durchführung verbundenen Pflichten liegen regelmäßig in der Verantwortung des Veranstalters.“
Für wie viele Besucher ist die Flora zugelassen? Wird das kontrolliert?
Auch auf diese Frage der CDU räumt der Senat seine Ahnungslosigkeit ein: „Der zuständigen Behörde liegen hierzu keine Informationen vor.“
Führt die Flora für ihre Veranstaltungen Steuern und Abgaben ab, zum Beispiel GEMA-Gebühren?
Offizielle Antwort: „Der Senat ist im Hinblick auf das Steuergeheimnis nach § 30 Abgabenordnung gehindert, diese Frage zu beantworten.“
Welche Gefahr geht von der Flora aus?
„Der überwiegende Teil der Nutzer des Gebäudes gehört der autonomen Szene an, die vom Landesamt für Verfassungsschutz als gewaltorientiert eingestuft ist“, schreibt der Senat. Darüber hinaus habe die Rote Flora „weit über Hamburg hinaus bis ins europäische Ausland eine große Bedeutung insbesondere für die gewaltorientierte linksextremistische Szene“. In der vom Flora-Umfeld herausgegebenen Zeitschrift „Zeck“ würden auch „regelmäßig Selbstbezichtigungsschreiben zu politisch motivierten Straftaten veröffentlicht“.
Ist die Rote Flora ein Kriminalitätsschwerpunkt?
Wie der Senat auf Anfrage der FDP antwortete, führt die Polizei darüber nicht gesondert Statistik. Ihrem Einsatzleitsystems (HELS) könne sie aber entnehmen, dass es von Anfang 2016 bis Mitte 2017 genau 124 Einsätze gab, die die Anschrift „Schulterblatt 71“ betrafen. „Darüber hinaus wurden 29 Einsätze aus besonderem Anlass bei Versammlungen, Veranstaltungen sowie daraus resultierende Polizeieinsätze mit Bezug zur Roten Flora durchgeführt“, so der Senat.
Welche Rolle hatte die Flora vor G20?
Bekannt ist dem Senat, dass in der Roten Flora im Vorwege fünf „Vollversammlungen gegen den G-20-Gipfel“ stattfanden: im Oktober 2016 sowie 2017 im März, April und zwei im Juni. In der Antwort auf die CDU-Anfrage räumte die Regierung aber auch ein: „Zu Inhalten liegen der Polizei keine konkreten Erkenntnisse vor.“ Gemäß den Darstellungen der Veranstalter im Internet hätten diese Treffen auch „den geplanten Widerstandsaktivitäten“ gedient.