Hamburg . Entbindungsstation der Asklepios Klinik Wandsbek: Friederike Ulrich über die besondere Atmosphäre in der Station aus der RTL-Serie.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass Lydia Sophie zum ersten Mal von ihrer Mutter in die Arme geschlossen wurde. Das war am 19. Dezember um 13.08 Uhr, und sie war genau 37 Minuten auf der Welt. Da sie nach der Geburt zunächst ein bisschen Unterstützung beim Atmen brauchte, hatten Mutter und Tochter verhältnismäßig lange auf diesen Moment warten müssen.
Durch die halboffene Tür erhasche ich einen anrührenden Blick auf die kleine Familie, die sich jetzt nach den Monaten der langen Schwangerschaft zum ersten Mal in die Augen schaut: Foelke und Christian Taube und ihre kleine Tochter, ihr erstes Kind, eingewickelt in eine zartgelbe Decke, die sie wie ein Kokon fest umhüllt.
Vor zwei Stunden habe ich die Eltern, die in Witzhave wohnen, hier auf der Entbindungsstation des AK Wandsbek kennengelernt. Da war die Familie noch zu zweit und stand gerade vor einer Entscheidung, die wegen ihrer Alternativlosigkeit eigentlich keine war, ihnen aber dennoch sehr schwer fiel. Weil Lydia neun Tage überfällig war und trotz weheneinleitender Maßnahmen keine Anstalten machte, auf die Welt zu kommen, hatte Chefarzt Oliver Heine zu einem Kaiserschnitt geraten. Als Ergotherapeutin weiß Foelke Taube, dass ihrer Tochter damit die wichtige Erfahrung einer natürlichen Geburt verwehrt wird. Als zweifache Mutter konnte ich ihre Betrübnis darüber gut nachempfinden.
Weihnachtliche Dekoration verbreitet Behaglichkeit
Angesichts des nahen Weihnachtsfestes kommt mir bei dem Anblick der Eltern und ihrem Neugeborenen natürlich die Familie in den Sinn, die damals nicht auf einer modernen Entbindungsstation, sondern in einem Stall ihr Kind bekam. Wo alle paar Schritte ein Händedesinfektionsgerät an der Wand hängt, ist ein Geburtsort nicht vorstellbar, der – abseits aller Romantik – in unmittelbarer Nähe zu Tieren und ihren Ausscheidungen liegt. Tatsächlich wäre die Gefahr einer Infektion unter diesen Umständen beträchtlich gewesen, sagt Carmen Büttner, die Leitende Hebamme. Wie gut, dass dieses Kind, von dem man sich seit mehr als 2000 Jahren erzählt, das Jesuskind gewesen ist. Vielleicht hätte es sonst nicht überlebt.
Der Aufenthaltsraum für die Hebammen, Ärzte und Ärztinnen ist weihnachtlich geschmückt. Lichterketten, Adventsschmuck und bunte Kugeln verbreiten Wärme und Behaglichkeit. Auch das blau und weiß bekittelte Personal – ob Hebamme oder Gynäkologe – ist freundlich und entspannt. Genau die Atmosphäre, in der ein Kind auf die Welt kommen sollte. Bei der Geburt meiner Kinder war das noch anders: typisches Krankenhaus-Ambiente mit freundlichem, aber gehetztem Personal. Hier dagegen bewirken nicht nur die gelassenen Mitarbeiter, sondern auch die schön gestalteten Räumlichkeiten, dass man sich wohl fühlt: Der Fußboden hell gesprenkelt oder in Parkettoptik, die Wände in freundlichen Farben gestrichen, auch in den Kreißsälen, wo die Vorhänge zur Wandfarbe passen.
An dem Tisch, an den ich mich nach dem Gespräch mit den werdenden Eltern setzen darf, hat sich kurz zuvor das Personal zu einem zweiten Frühstück getroffen. Es ist ruhig heute, Lydia ist das einzige Baby, das sich ankündigt, da bleiben ein paar Minuten zum Ausruhen und Schnacken, aber auch, um Vertretungen für erkrankte Kolleginnen zu organisieren.
Die Hebammen strahlen Ruhe und Herzlichkeit aus
Zu Carmen Büttners Team zählen 15 weitere Hebammen, die in drei Schichten rund um die Uhr arbeiten – und, weil die Leitende Hebamme für die Führung von Entbindungs- und Wöchnerinnenstation zuständig ist, auch die 14 Kinderkrankenschwestern, die dort tätig sind.
In diesem Jahr wurden hier schon fast 1100 Babys geboren, fast doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Das dürfte an der Modernisierung liegen, aber auch daran, dass Ärzte, Hebammen und Schwestern aus der RTL-Serie „Babystation“ bekannt sind. Verrückt eigentlich, wie beliebt dieser Fernseh-Voyeurismus inzwischen ist – nach Koch- und Gerichtssendungen, Supernannys, und Shopping-Queens jetzt also auch Geburtshelfer. Und das mit Erfolg: Die Sendung läuft schon in der zweiten Staffel – was auch an den smarten Protagonisten aus dem AK Wandsbek liegt. Auch die Taubes sind durch die Serie auf die Station aufmerksam geworden.
Auf der Entbindungsstation sind an diesem Vormittag drei Hebammen anwesend. Eine davon, Stella Avramidou, wird später Lydia auf die Welt holen, an diesem Vormittag das einzige Baby. Ich habe schon oft gehört, dass sich Geburtshelferinnen – abgesehen von den hohen Versicherungskosten – keinen schöneren Beruf vorstellen können. Und wenn ich mir Carmen Büttner und Stella Avramidou so ansehe, bestätigen sie diesen Anblick. Sie strahlen Ruhe und Herzlichkeit aus – außerdem ist ihnen, angesichts der bevorstehenden Geburt, eine freudige Erregung anzumerken.
Das Gebären miterleben
Ich erfahre, dass Carmen Büttner seit 1983 Hebamme ist und vor etwa fünf Jahren aufgehört hat, zu zählen, wie vielen Kindern sie auf die Welt geholfen hat. Da waren es 3000. Das Gebären mitzuerleben, darum ging es auch Stella Avramidou. Sie habe sich früher als Arzthelferin um Schwangere vor und nach der Geburt gekümmert. Weil sie neugierig war auf „diesen Moment dazwischen“ hat sie sich als Hebamme ausbilden lassen und mittlerweile drei Jahre Berufserfahrung.
Wie fühlt sich das wohl an, die erste Person zu sein, die ein Neugeborenes in Empfang nimmt? Welche Bedeutung hätte es für mich? Hätte ich eine besondere Verbindung zu dem kleinen Wesen, für das ich ja der erste Kontakt „da draußen“ wäre? Würde ich ihm mit dem obligatorischen Klaps auf den Po wohl einen Segen mitgeben? Ihm ein gutes Leben wünschen? Würde ich mitleiden, wenn das Kleine krank, behindert oder – Gott bewahre – sogar tot auf die Welt kommt?
Wahrscheinlich. Denn als Stella Avramidou jetzt im fast bodenlangen blauen OP-Kittel, das Haar unter der Haube und den Mundschutz unter dem Kinn, aus dem Operationssaal kommt und im Aufenthaltsraum auf unsere Frage nach dem Kindeswohl „Geht so“ antwortet, rutscht mir das Herz in die Hose. Lydia war nach der Geburt zu schwach gewesen, um alleine zu atmen, und musste von der Kinderärztin erst einmal mit Sauerstoff versorgt werden, erzählt die Hebamme. Es klingt für mich schlimmer, als es wohl ist. Trotzdem sind auch die Hebammen dankbar, dass hier in Wandsbek immer ein Kinderarzt mit im Kreißsaal ist.
Das Wunder Lydia wiegt 4350 Gramm bei 52 Zentimetern
Und dafür, dass alles so dicht beieinander liegt. Das war Chefarzt Oliver Heine, der die Station völlig umstrukturiert hat, sehr wichtig. Er hatte es mir bei unserem Rundgang zu Beginn des Besuchs erzählt. Entbindungsstation, Wöchnerinnenstation, Kreißsäle, OP-Räume und die Neonatologie, die Intensivstation für Neugeborene, liegen alle auf einer Ebene und nur wenige Schritte voneinander entfernt. Oft sind es ja nur Minuten, die über Leben und Tod entscheiden – und wenn man ein Neugeborenes in Lebensgefahr erst zur Intensivstation oder gar in ein anderes Krankenhaus bringen muss, hält es das oft nicht durch. In meinem Freundeskreis gab es einen derartigen, traurigen Fall.
ydia kommt schnell zu Kräften. Der Vater hat die bangen Minuten gut überstanden, die Mutter hat durch die Narkosenachwirkungen und durch die ablenkende Nachsorge gar nicht so viel mitbekommen. Es war gut, dass sie sich für den Kaiserschnitt entschieden haben. Lydia lag so, dass sie nicht auf normalen Weg hätte geboren werden können. Bei 52 Zentimetern bringt sie beachtliche 4350 Gramm auf die Waage. Jetzt liegt sie da, im Arm ihrer Mama, mit rosigen Wangen, und findet sich langsam zurecht in dieser neuen Welt. Was sie wohl fühlt? Sie weiß es offenbar selbst noch nicht so recht: mal kräht sie etwas ungehalten, dann wieder liegt sie ganz friedlich da und schmatzt ein bisschen vor sich hin.
Auf der Wöchnerinnen-Station dürfen auch Väter schlafen
Zwei Stunden etwa werden die Taubes noch in dem gelb-gestrichenen Ruheraum bleiben, dann ziehen sie auf die Wöchnerinnen-Station, wo es zwei richtige Familienzimmer und ein „Daddy-Inn“ genanntes Quartier gibt: Väter können hier im normalen Doppelzimmer übernachten.
Ich gehe schon mal rüber. Hier geht es deutlich geschäftiger zu als auf der Entbindungsstation. Ein Mann schiebt den Speisewagen durch den Gang, es riecht nach Mittagessen. Eine Schwester eilt mit wehendem blauen Kittel auf eines der Zimmer zu. Eine junge Mutter mit gemustertem Hausanzug und Kopftuch schiebt ein Babybettchen vom Flur in eines der Familienzimmer. Es sind Hacer Yildiz und ihre Tochter Hira, die am 16. Dezember geboren wurde. Statt des Vaters, der bei der zweijährigen Tochter Nisa zuhause bleiben muss, hat sich Hacers Mutter mit einquartiert.
Ganze Familie einquartiert
Das ist durchaus üblich in dem Multikulti-Krankenhaus, wie Chefarzt Heine es nennt. Es ist sogar schon vorgekommen, dass sich eine ganze Familie auf der Wöchnerinnen-Station eingemietet hat. An den Wänden des Flures hängen Fotos von Babys, die hier geboren wurden, jetzt aber schon älter sind. Wie die Kinder aufwachsen, erfahren Schwestern und Hebammen nur in den seltensten Fällen. Oft aber dürften sie es sich beim Blick auf die Eltern vorstellen. Es waren schon alleinstehende 24-Jährige hier, die ihr fünftes Kind entbunden haben, wird mir erzählt. Da wird die Zukunft des Neugeborenen eher wenig rosig aussehen.
Bei der kleinen Lydia wird das anders sein, da bin ich mir ganz sicher. Gut behütet liegt sie nun im Arm ihres Vaters. Christian Taube ist Reserveoffizier und hat gerade seinen Master im Studienfach Peace and Security gemacht. Frieden und Sicherheit. Mehr kann man einem Neugeborenen doch gar nicht wünschen.