Hamburg. Senat will „ermitteln“, wie CDU-Fraktionschef an geheimes Dokument zu G 20 kam. Der spricht von „massivem Einschüchterungsversuch“.

Dieser Vorgang ist äußerst ungewöhnlich und dürfte die ohnehin schwierige Aufklärung der G-20-Ereignisse weiter belasten: Die Innenbehörde will nach eigener Aussage „Ermittlungen“ anstellen, die sich offenbar gegen den CDU-Fraktionsvorsitzenden André Trepoll richten. Das geht aus einer E-Mail der Behörde an den Vorsitzenden des Sonderausschusses G 20 der Bürgerschaft, Milan Pein (SPD), hervor, die dem Abendblatt vorliegt.

Darin schreibt der Büroleiter von Innensenator Andy Grote (SPD), Trepoll habe in der Ausschusssitzung am 9. November aus einer als vertraulich gekennzeichneten Unterlage des Bundesamts für Verfassungsschutz zitiert. Diese sei zusätzlich mit dem Vermerk „keine Weitergabe außerhalb des Verfassungsschutzverbunds“ gekennzeichnet gewesen und durfte daher dem Ausschuss „nicht vorgelegt werden“.

Behörde bittet um Unterstützung

Die Behörde bittet Pein daher um „Unterstützung bei der Aufklärung, wie der Abgeordnete Trepoll Zugang zu dem Dokument erhielt“, schreibt der Büroleiter und setzt hinzu: „Parallel werden von hier aus eigene Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts angestellt.“ Pein hatte die Mail daraufhin „mit der Bitte um Rückmeldung“ an den CDU-Fraktionsvorsitzenden weitergeleitet – und der ist erbost.

Trepoll sieht in dem Schreiben der Behörde einen „massiven Einschüchterungsversuch des Senats“. Sein Aufklärungswille bleibe davon zwar unbeeindruckt, aber: „Ich verlange zu erfahren, welche Ermittlungen die Innenbehörde über mich und meine Arbeit als Abgeordneter anstellt, und fordere den Ersten Bürgermeister auf, diesem Vorgang ein Ende zu setzen.“

Brisanter Inhalt

Dazu muss man wissen: Eine Behörde als Vertreterin der Exekutive, also des Senats, ist nicht befugt, „Ermittlungen“ gegen einen Abgeordneten, also ein Mitglied der Legislative anzustellen. Sollte die Innenbehörde der Meinung sein, dass Trepoll sich mit der öffentlichen Wiedergabe vertraulicher Informationen strafbar gemacht hat – was in der E-Mail aber nicht behauptet wird –, müsste sie die Sache der Staatsanwaltschaft übergeben. Die könnte gegebenenfalls Ermittlungen anstrengen – vorausgesetzt, die Bürgerschaft beschließt nicht mit Zweidrittelmehrheit, dass der Abgeordnete Immunität genießt.

Besonders brisant ist die Angelegenheit angesichts des Inhalts, den Trepoll im Ausschuss wiedergegeben hatte. Dabei handelte es sich um eine Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes aus dem Frühjahr 2017, aus der der CDU-Politiker wie folgt zitiert hatte: „Klares Ziel des militanten Spektrums ist dabei, eine Eskalation der Straßenmilitanz und damit einen Kontrollverlust für die eingesetzten Sicherheitskräfte herbeizuführen.“ Das entspricht ziemlich exakt dem dann eingetretenen Szenario: Ex­trem gewalttätige Vermummte zogen am Freitagmorgen des Gipfels eine Spur der Zerstörung durch den Westen der Stadt, weitab des Gipfelgeschehens und lange unbehelligt von der Polizei, die andernorts im Einsatz war.

Am Abend dieses Tages kam es dann zu schweren Verwüstungen und Plünderungen im Schanzenviertel, bei denen die Sicherheitskräfte über Stunden nicht eingriffen – unter anderem, weil sie es als zu gefährlich erachteten und weil Spezialkräfte an anderer Stelle gebunden waren. Damit war nach Auffassung vieler Bürger genau jener „Kontrollverlust“ der Sicherheitsbehörden eingetreten, vor dem der Verfassungsschutz Trepoll zufolge gewarnt hatte.

Scheinbar willkürliche Eskalation

Bürgermeister Olaf Scholz, Innensenator Andy Grote (beide SPD), aber auch andere Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) haben im Gegensatz dazu stets betont, dass diese scheinbar willkürliche Eskalation der Gewalt abseits des Gipfel­geschehens so nicht vorhersehbar gewesen sei. Entsprechend hatte Scholz bei seiner Befragung vor dem Ausschuss auf die von Trepoll zitierte Einschätzung reagiert. Man müsse diese Berichte aus der Zeit vor dem Gipfel schon komplett wiedergeben und nicht nur verkürzt. Dann sehe man auch: „Was geschehen ist in der Elbchaussee, in der Bergstraße und in der Osterstraße, ist etwas, was zu den Dingen, die erwartet worden waren, nicht gehört hat“, sagte Scholz ausweislich des Ausschuss-Protokolls.

Der Oppositionsführer stellt es genau­ andersherum dar: „Es liegt eine Vielzahl an Belegen und Berichten da­- für vor, dass diese Form der Gewalt gegen Unbeteiligte durch marodierende Schwarzvermummte eben kein neues Bedrohungsszenario war, sondern so bereits im Vorwege erwartet wurde“, so Trepoll. Nach seiner Beobachtung sei dem Regierungslager die Konfrontation mit solchen Quellen im Ausschuss „sichtbar unangenehm“ gewesen. Dass die Innenbehörde nun wissen will, woher er das Papier des Verfassungsschutzes hat, passe ins Bild. Denn unter Geheimhaltungsaspekten sei die von ihm zitierte Passage die Aufregung nicht wert – schließlich würden keine Quellen oder Informanten genannt oder Staatsgeheimnisse verraten.

„Höchste Geheimhaltungsstufe“

Das sieht die Innenbehörde etwas anders. „Das Dokument unterliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe“, hieß es. Wer so etwas weitergebe, begehe Geheimnisverrat. Die E-Mail des Büroleiters an den Ausschussvorsitzenden entspreche den üblichen Kommunikationswegen und sei nicht als Vorwurf an Trepoll zu verstehen. Es gehe vielmehr darum, aufzuklären, ob das Dokument dem Ausschuss vorliege und eventuell sogar versehentlich von der für die Aktenvorlage zuständigen Innenbehörde dorthin gegeben wurde. Nach aktueller Kenntnislage sei das zwar nicht der Fall, heißt es in der E-Mail. „Es ist aber nicht auszuschließen, dass uns ein Fehler unterlaufen ist.“

Dass der Büroleiter des Senators darüber hinaus „Ermittlungen“ dazu ankündigt, wie Trepoll an das Dokument gelangt sein könnte, sei eine unglückliche Formulierung. Natürlich gehe es nicht um strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Abgeordneten.