Hamburg. Als Vorstandschef steuerte er die Deutsche Bahn. Rüdiger Grube spricht über Vorbilder, Management-Gehälter und sein Leben in Hamburg.

Schon der schnelle Schritt in den Konferenzraum der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) verrät: Dieser Mann hat keine Zeit zu verlieren. Dr. Rüdiger Grube (66) kommt soeben von einer Besprechung der HHLA, im Juni übernahm er in dem Unternehmen den Aufsichtsratsvorsitz. „Sind wir in einer Stunde durch?“, fragt er den Abendblatt-Reporter. Nach wie vor ist sein Tag durchgetaktet. Doch genau das macht ihm Spaß.

Herr Dr. Grube, die Bahn sorgt mal wieder für negative Schlagzeilen. Das Projekt „Stuttgart 21“ wird später fertig und noch teurer, das angestrebte Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent wird 2017 nicht erreicht. Ganz ehrlich, Sie müssen doch heilfroh sein, dass Sie den Job als Bahnchef nicht mehr machen müssen.

Dr . Rüdiger Grube: Nein, dafür bin ich diesem Unternehmen viel zu sehr verbunden. Nur weil man einen Konzern verlässt, bedeutet das ja nicht, dass einen die Themen loslassen oder nicht mehr interessieren. Ein Unternehmen mit 330.000 Mitarbeitern in 130 Ländern mit 41 Milliarden Umsatz zu managen, ist an Komplexität kaum noch zu überbieten. Nehmen Sie nur die starken Herbststürme oder die Sperrung des Rastatter Tunnels auf einer der meistbefahrenen deutschen Schienenstrecken. Beides hat den Bahnverkehr durcheinander gewirbelt. Das sind gigantische Herausforderungen, auf die man in der Verantwortung für das Unternehmen überzeugende Lösungen entwickeln muss.

Wenn Sie heute in einen Zug steigen …

Dr . Rüdiger Grube: werde ich weiter auf die Bahn angesprochen. Das ist auch völlig in Ordnung. Ich identifiziere mich nach wie vor mit dem Unternehmen. Mein größter Stolz waren und sind unsere Mitarbeiter. Sie sind das A und O des Konzerns.

Ihr Abschied verlief dennoch unerfreulich. Da man sich innerhalb des Aufsichtsrats nicht auf die Dauer Ihrer Vertragsverlängerung einigen konnte, sind Sie am 30. Januar zurückgetreten.

Dr . Rüdiger Grube: Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu Details meines Abschieds nicht äußern werde. Nur so viel: In mir gibt es nicht die Spur von Verbitterung. Ich habe nach wie vor ein exzellentes Verhältnis zum Vorstand, zu den Führungskräften und zu Mitarbeitern.

Sie haben in Ihrer Abschiedsmail an alle DB-Mitarbeiter geschrieben: ‚Wie Sie wissen, komme ich vom Bauernhof. Da habe ich gelernt, was Geradlinigkeit und zu seinem Wort stehen bedeutet.‘ Wie haben Sie das gemeint?

Dr . Rüdiger Grube: Auf unserem Bauernhof hat mir meine Familie, allen voran meine Mutter, beigebracht, dass man zu seinem Wort steht. Und dass man im Laufe von Gesprächen nicht einfach einseitig Vereinbarungen zurücknimmt. Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Ich sage gern, wer sich als Pfannkuchen verkauft, muss sich nicht wundern, wenn er als Pfannkuchen gegessen wird.

Sie sind nur wenige Kilometer von hier auf der anderen Elbseite in Moorburg groß geworden. Viele Hamburger verbinden mit Moorburg vor allem das Kraftwerk.

Dr . Rüdiger Grube: In den 1950er-Jahren war Moorburg ein idyllisches Dorf am Anfang des Alten Landes. Viel Obst, viel Landwirtschaft. Davon ist leider nichts geblieben. Heute ist Moorburg Hafenerweiterungsgelände. Eigentlich schade, aber wenn der Hafen weiter eine dominierende Rolle spielen soll, und das muss er, dann brauchen wir diese Flächen.

Was verbinden Sie mit Ihrer Kindheit auf dem Bauernhof?

Dr . Rüdiger Grube: Unseren Stall mit Kühen, Schweinen und Pferden. Wie wir als Kinder immer mit angepackt haben. Gefühlt von dem Tag an, als wir laufen konnten. Melken, Äpfel pflücken, Kartoffeln ernten, Stall ausmisten.

Gab es Taschengeld?

Dr . Rüdiger Grube: Nein, nie. Auch keinen Lohn für die Arbeit. Das war selbstverständlich.

Ihre Eltern haben sich scheiden lassen, als Sie fünf Jahre alt waren.

Dr . Rüdiger Grube: Moorburg war damals eine 1000-Seelen-Gemeinde. Ich hatte als Kind das Gefühl, dass nun alle mit dem Finger auf einen zeigen. Überstanden habe ich diese Zeit, weil ich schon immer einen sehr starken Willen hatte. Und eine sehr starke Mutter. Frei nach Winston Churchill hat sie uns beigebracht: Erfolg heißt einmal mehr aufstehen als hinfallen. Das hat mich geprägt. Denn als Manager in großen Unternehmen muss man mit Rückschlägen umgehen lernen.

Sie dürften der einzige deutsche Top-Manager sein, der neun Jahre eine Hauptschule besucht hat. Stimmt es, dass Ihre Mutter gegen Ihren Wechsel zur Realschule war?

Dr . Rüdiger Grube: Aber nur, weil meine Mutter immer wollte, dass mein Bruder und ich gleich behandelt werden. Wenn mein Bruder einen grünen Pullover bekam, erhielt ich auch einen in Grün. Also habe ich mich nach der Hauptschule selbst bei der Realschule angemeldet.

Der Sprung war nicht leicht, oder?

Dr . Rüdiger Grube: (lacht): Sogar ausgesprochen hart. In der Hauptschule endete das Englisch bei Peter Pim and Billy Ball. Von Mathe ganz zu schweigen. Da bin ich zum Logistiker geworden. Ich habe den Lehrern angeboten, ihre Taschen zu tragen, um irgendwie durchzukommen. Und ich habe es geschafft.

Heute wäre eine Karriere von der Hauptschule zum Konzernlenker undenkbar.

Dr . Rüdiger Grube: Das sehe ich anders. Wer den nötigen Willen hat, kann das schaffen. Zugegeben, ich habe von vielen glücklichen Momenten profitiert. Wobei am Ende jeder seines Glückes Schmied ist.

Was war so ein glücklicher Moment?

Dr . Rüdiger Grube: Als Lehrling zum Metallflugzeugbauer bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm in Finkenwerder habe ich mal einen Artikel über Organspenden für die von mir gegründete Azubi-Zeitschrift „Spant“ geschrieben. Am nächsten Tag durfte ich im ölverschmierten Blaumann bei Werner Blohm, unserem obersten Chef, antreten. Der Artikel hatte seiner Frau so gut gefallen, dass sie mich kennenlernen wollte. Ich durfte die Blohms im feinen Blankenese besuchen. Am Ende bekam ich ein Stipendium der Familie für ein Studium. 300 Mark im Monat. Unter zwei Bedingungen: Ich musste in den Semesterferien für die Firma arbeiten. Und jedes Zeugnis bei Herrn Blohm persönlich vorzeigen. Diese Art von Vertrauensvorschuss hat mich geprägt.

Heute klagen viele Handwerksbetriebe über unmotivierte junge Bewerber. Haben wir eine Null-Bock-Generation?

Dr . Rüdiger Grube: Entschuldigung, aber das ist totaler Quatsch. Ich habe in meiner Laufbahn so viele junge Menschen kennengelernt, die für ihren Job brennen. Ich unterstütze als Schirmherr und Kuratoriumsvorsitzender das Projekt „Off Road Kids“, das sich für obdachlose Straßenkinder einsetzt. Wir haben es geschafft, 4000 junge Menschen wieder in den schulischen und beruflichen Alltag zu integrieren. Und diese kamen aus wirklich schwierigsten sozialen Bedingungen.

Welche Werte möchten Sie jungen Menschen mitgeben?

Dr . Rüdiger Grube: Wir sprachen ja schon über Ehrlichkeit und über Glaubwürdigkeit. Dazu kommen für mich Authentizität, Respekt, Wertschätzung, Disziplin, Integrität, Leidenschaft und, ganz wichtig, Loyalität. Die gibt es nur zu hundert Prozent, auch 99,9 Prozent sind zu wenig. Entweder man ist loyal. Oder man ist es nicht.

Wie hoch war in Ihrer Karriere der Anteil loyaler Mitstreiter?

Dr . Rüdiger Grube: Schwierige Frage. Vielleicht 70 bis 80 Prozent? Aber eines weiß ich. Von illoyalen Mitarbeitern muss man sich trennen. Sofort. Wenn ich mal Ausnahmen von dieser Regel gemacht habe, bin ich am Ende immer enttäuscht worden.

Über Integrität wird gerade hart diskutiert. Der „Diesel-Gate“, wo große Konzerne über Jahre Abgaswerte manipuliert haben, hat das Vertrauen vieler Kunden erschüttert.

Dr . Rüdiger Grube: Solche Vorfälle haben der Wirtschaft massiv geschadet und zu einer Vertrauenskrise geführt. Das hat dem Image von Konzernführern und Managern sicher nicht geholfen, ich bedauere das sehr.

Dazu kommen die teils absurden Gehälter. Sie haben bei der Bahn mit über zwei Millionen Euro im Jahr inklusive variabler Vergütungsanteile auch schon sehr gut verdient. Aber inzwischen gibt es Jahresgehälter im zweistelligen Millionenbereich. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn soll einen Pensionsanspruch von 28 Millionen Euro haben.

Dr . Rüdiger Grube: Es ist völlig in Ordnung, wenn Chefs großer Konzernen angesichts ihrer riesigen Verantwortung sehr gut honoriert werden. Aber inzwischen ist in manchen Unternehmen das richtige Maß verloren gegangen. Wie soll man einem Arbeiter an der Werkbank oder am Fließband erklären, dass sein Chef ein Viel-Vielfaches bekommt. Das geht nicht.

Wie sind die Gehaltssprünge zu erklären?

Dr . Rüdiger Grube: Das ist vor allem eine Folge der Globalisierung. In den Vereinigten Staaten etwa verdienen Top-Manager deutlich mehr als in Europa. Wenn sich ein US-Unternehmen und ein deutsches Unternehmen zusammenschließen, sagt der deutsche Vorstandschef: Warum soll ich weniger verdienen?

Brauchen wir Gehaltsobergrenzen?

Dr . Rüdiger Grube: Ich bin kein Freund von solchen Regulativen. Wir sollten uns lieber alle unserer Verantwortung bewusst sein, was wir mit überzogenen Gehältern schüren.

War früher alles besser?

Dr . Rüdiger Grube: Nein, ich kenne alle Chefs der DAX-Unternehmen persönlich. Sie machen einen erstklassigen Job und engagieren sich auch sozial. Umso bitterer, dass zwei, drei Ausnahmen, die sich danebenbenehmen, dafür sorgen, dass die ganze Branche einen Stempel auf die Stirn bekommt.

Haben Sie persönlich Vorbilder?

Dr . Rüdiger Grube: Ja, Menschen wie Werner Blohm, Helmut Schmidt, Wernher von Braun, Klaus von Dohnanyi, Hartmut Mehdorn, alle völlig unterschiedlich und doch prägend. Ein ganz großes Vorbild war Helmut Schmidt. Ihn habe ich das erste Mal bei der Flutkatastrophe persönlich erlebt, als er als Innensenator mit dem Hubschrauber auf dem Deich bei uns landete. Kinder, sagte er, ich habe zwei Nachrichten für Euch. Die gute ist, eure Schule ist kaputt. Die schlechte: Ihr müsst trotzdem hin. Später durfte ich mit ihm im Airbus-Aufsichtsrat zusammenarbeiten. Ich habe ihn bewundert.

Schmidt hat mal in jungen Jahren seine Stadt kritisiert. Sie sei eine schlafende Schöne, verträumt, ein wenig zu selbstgefällig. Gilt sein Urteil auch heute noch?

Dr . Rüdiger Grube: Nein, was sich hier in den letzten 15, 20 Jahren getan hat, ist sensationell. Nehmen Sie nur die HafenCity. Oder die Elbphilharmonie. Die ist phänomenal. Ich kenne keine andere deutsche Stadt, die eine solche Entwicklung genommen hat. Darauf sollten wir stolz sein. Und es nicht kaputtreden.

Als neuer Aufsichtsratschef der HHLA prägen Sie nun die Geschicke dieser Stadt an entscheidender Stelle mit.

Dr . Rüdiger Grube: Mich hat der Hafen immer fasziniert. Und nun habe ich dieses Amt in meiner Heimatstadt, das erfüllt mich mit großer Genugtuung. Zumal es der HHLA glänzend geht. Wir haben unseren Umsatz und Gewinn steigern können. Auch dank unserer neuen Vorstandschefin Angela Titzrath und ihrem gesamten Team. Am Anfang hieß es mancherorts, sie sei die teuerste Auszubildende der Stadt. Seit dem ersten Tag macht sie einen glänzenden Job.

Die Herausforderungen für den Hafen werden dennoch nicht kleiner. Durch moderne 3-D-Drucker können immer mehr Waren vor Ort produziert werden.

Dr . Rüdiger Grube: Aber die Weltbevölkerung wird rasant wachsen und damit der Warenverkehr. Davon wird der Hafen profitieren. Und es muss unser Ziel bleiben, dass Deutschland nicht nur Export-, sondern auch Logistik-Weltmeister bleibt.

Bleibt das Sorgenkind Elbvertiefung.

Dr . Rüdiger Grube: Wenn Sie heute große Infrastrukturprojekte planen, brauchen Sie einen langen Atem. Mein Rat lautet: So früh wie möglich alle Interessengruppen mitnehmen. Aber ich gebe zu: Etwas schneller könnten die Entscheidungen schon fallen.

Herr Dr. Grube, Sie haben wirtschaftlich ausgesorgt, 2015 die Sterne-Köchin Cornelia Poletto geheiratet. Aber neben Ihrer Tätigkeit als HHLA-Aufsichtsratschef sind Sie für eine internationale Investmentbank als Chairman tätig, lehren als Professor für Management-Wissenschaft an der TU Harburg, beraten mittelständische Unternehmen und sind als Redner bei großen Kongressen unterwegs. Was treibt Sie an?

Dr . Rüdiger Grube: Ich finde, dass ich in meinem Alter noch nicht reif für die Garage bin. Ich war in meinem ganzen beruflichen Leben wie ein Formel-1-Fahrer unterwegs, da wäre ein plötzlicher Stopp auch gesundheitlich riskant. Ich empfinde keinen Stress, sondern bin dankbar, dass ich meinen Erfahrungsschatz weitergeben darf.

Angeblich reichen Ihnen vier Stunden Schlaf pro Nacht.

Dr . Rüdiger Grube: Das war in meiner Zeit als Vorstandschef der Bahn in der Tat häufig der Fall. Da hatte ich das eiserne Prinzip, meine komplette Post jeden Tag zu erledigen. Das ging durch Sitzungen oft erst ab 22:30 Uhr, entsprechend kurz war die Nacht, zumal ich jeden Morgen zehn Kilometer jogge. Aber inzwischen schlafe ich auch gern ein paar Stunden mehr.

Verheiratet seit August 2015: Cornelia Poletto und Rüdiger Grube
Verheiratet seit August 2015: Cornelia Poletto und Rüdiger Grube © Juergen Joost | Juergen Joost

Das Leben an der Seite einer Sterneköchin muss auch kulinarisch wunderbar sein. Aber was passiert, wenn Ihre Frau bittet: Schatz, kannst Du heute mal kochen?

Dr . Rüdiger Grube: (lacht): In der Regel kocht schon sie, wobei ich mir einiges abgeguckt habe. Am meisten genieße ich es, wenn wir gemeinsam kochen. In unserer Küche, bei einem guten Glas Wein.

Gibt es ein Gericht, das Sie perfekt kochen können?

Dr . Rüdiger Grube: Perfekt leider nicht, aber Kartoffelstampf mit Frikadellen und Blumenkohl kriege ich gut hin.

Abendblatt: Ein einfaches bäuerliches Essen.

Genau.