Hamburg. Er ist ohne Arme geboren und trotzdem professioneller Musiker geworden. Begegnung mit dem Hornisten Felix Klieser.

Befangen sind immer die anderen. Felix Klieserkennt die ganze Bandbreite der Reaktionen. Entgeisterte Gesichter, abgewandte Blicke, Hände, die nicht wissen wohin bei der Begrüßung. Er kann sie nicht schütteln, denn er selbst hat keine Arme.

Dennoch dauert es beim ersten Treffen nur etwa eine Zehntelsekunde, dann hat der schmale junge Mann die Verlegenheit aufgelöst. „Ich bin ja so ­geboren. Für Außenstehende ist es schwieriger, damit umzugehen“, sagt er, setzt sich auf einen Stuhl und streift seine Segelschuhe ab. „Ich habe mich nie in irgendeiner Weise als anders empfunden.“ Während er erzählt, tanzen die nackten Füße über den Boden, einer tausendfach geübten, millimetergenauen Choreografie folgend, über die er offenkundig nicht mehr nachdenken muss.

Er kommt ordentlich herum

„In der Schule gibt es zwei Gruppen. Die, die ärgern, und die, die geärgert werden. Ich habe eher zu denen gehört, die geärgert haben.“ Die Zehen zupfen derweil hier am Reißverschluss einer Tasche, ­packen dort ein Metallteil und stecken es in ein anderes, bis vor den bodentiefen Fenstern eines Bürohauses am Elbufer ein Horn steht, angebracht auf einem Stativ genau in der richtigen ­Höhe, dass Klieser hineinblasen kann. Die Ventile bedient er mit den Zehen; mühelos wie eine Ballerina bringt er dazu seinen linken Fuß auf Schulterhöhe.

Hornspielen ist Kliesers Beruf. Mit seinen nicht mal 27 Jahren kommt er schon ordentlich herum. Als Solist tourt er mit Orchestern, sogar in Japan, 2014 erhielt er einen Echo Klassik für seine Debüt-CD „Reveries“ und 2016 den Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Und obwohl Hornisten – wie die meisten Bläser – im Musikbetrieb weit seltener solistisch oder kammermusikalisch zu hören sind als Streicher oder Pianisten, ist Kliesers Konzertkalender gut gefüllt.

Werke von Mozart und Beethoven

Am Sonnabend gibt er mit dem Minetti Quartett und Sarah Willis, Hornistin bei den Berliner Philharmonikern, sein Debüt in der Elbphilharmonie. Auf dem Programm stehen Werke von Mozart und Beethoven: Streichquartett netto, Streichquartett mit einem Horn, mit zwei Hörnern, mündend in Mozarts auskomponierte Frechheit namens „Ein musikalischer Spaß“. Der Komponist verstößt darin gegen eine Reihe von Regeln der Lehre, das er bekanntlich perfekt beherrschte, sodass man ihm bei all den falschen Tönen, Asymmetrien und Grobheiten schon Absicht unterstellen muss. Und der Beethoven ist eine wahre Trouvaille.

Klieser hat an dem Programm kräftig mitgetüftelt, genau wie er unablässig an seinem Spiel arbeitet. Er ist Perfektionist. Für sein Instrument hat er sich schon mit vier Jahren entschieden, unumstößlich. Dass die Eltern Zweifel hatten und die Musikschulleiterin auch, dass Horn als das schwierigste Blasin­strument überhaupt gilt, konnte ihn nicht von seinem Plan abbringen. Ein gutes Zeichen. Ein gewisser Dickkopf gehört schließlich zu jeder Musikerkarriere, denn keine geht ohne Widerstände ab.

Der Idealklang ist das Ziel

Für Klieser lag eine echte Herausforderung etwa in der Sache mit dem ­sogenannten Stopfen: Hornisten färben den Klang ihres Instruments dunkler oder heller, je nachdem, wie weit sie die Hand in den Schalltrichter stecken. Klangfarben sind sehr wichtig für den Charakter des Instruments. Klieser kann nun natürlich nicht stopfen. „Als Acht- oder Neunjähriger habe ich sehr hell ­geklungen, fast schon trompetig“, sagt er. „Aber wenn man das beruflich macht, muss man so klingen wie jemand, der eine Hand im Schalltrichter hat.

Entweder man schafft das, oder man schafft es nicht. Man kann sich nicht darauf ­zurückziehen zu sagen, gemessen an den Voraussetzungen klingt es doch ganz gut.“ Also experimentierte er mit den Parametern, die ihm zur Verfügung standen wie Geschwindigkeit des Atemflusses, Luftdruck oder der Stellung der Zunge im Mund. „Das ganze Virtuose, hoch spielen, tief spielen, das hat sich ganz normal entwickelt“, erzählt er von seinen Zeiten als Jungstudent an der Hannoveraner Hochschule. „Aber diesen Idealklang zu bekommen, der das Horn ausmacht, dafür habe ich sehr viel Zeit und Energie aufwenden müssen.“

Unnachgiebiger Willen

So klar er sich ausdrückt, so freundlich und zugewandt er klingt, so deutlich spürt man auch den unnachgiebigen Willen, der diesen Musiker antreibt. Müßig, darüber nachzudenken, ob der ein angeborener Zug ist oder ob Klieser ihn der Tatsache verdankt, dass das Leben ihm ein paar Hürden mehr in den Weg gestellt hat. Im Gespräch greift er so beiläufig nach seinem Wasserglas, dass es seinem Gegenüber nicht einmal mehr bemerkenswert vorkommt, das Glas mit den Zehen zum Mund zu führen.

Ob seine Leichtigkeit manchmal Mühe kostet? Sport macht er keinen, Rückenprobleme hat er keine. „Mir hat mal jemand empfohlen zu schwimmen – aber da muss man dann immer erst ins Schwimmbad fahren“, sagt er und grinst. Auch der willensstärkste Mensch hat seinen kleinen Schweinehund.

Das Konzert am 9.12. um 19.30 im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ist ausverkauft. Restkarten gibt es mit Chance an der Abendkasse