Hamburg. Zahl verspäteter Flugzeuge nimmt stetig zu. Bürgerinitiative und Parteien fordern Einschränkungen, Wirtschaft will sie verhindern.
Die Empfehlungen der Fluglärmschutzkommission, das Nachtflugverbot zu verschärfen, hat am Montag für viele Reaktionen von Initiativen, Parteien und Verbänden gesorgt. Landungen um 30 Minuten auf 23.30 Uhr vorzuziehen und Starts nach 23 Uhr nicht mehr zuzulassen, sei „bloße Makulatur“, sagte Martin Mosel, Sprecher der Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein. „Die Nachtruhe beginnt um 22 Uhr. Die Verkürzung der Verspätungsregelung ist unzureichend.“ Den Betroffenen nütze das wenig: „Weiterhin werden ihnen Schlaf- und Erholungszeiten vorenthalten und gesundheitliche Belastungen aufgebürdet“, sagte Mosel.
Das sieht auch der Bund für Umwelt und Naturschutz so. „Derzeit landen und starten alle drei Minuten Flugzeuge zwischen 22 und 23 Uhr – ein unerträglicher Zustand für Zigtausende Anwohner“, sagte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. Von einer „unwürdigen Schacherei auf Kosten der Betroffenen“ sprach Stephan Jersch von der Linken-Bürgerschaftsfraktion.
"Verspätung nach 23 Uhr unbefriedigend"
Die Grünen teilten mit, „die Verspätungssituation nach 23 Uhr ist sehr unbefriedigend und nicht hinnehmbar“. Eine Änderung der Verspätungsregelung müsse „in Betracht gezogen werden“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Von „wichtigen Hinweisen“ der Kommission sprach SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Auch er hält die Verspätungen für „inakzeptabel“. Allerdings: „Es gibt eine Vielzahl von Interessen, die wir unter einen Hut bringen müssen.“
Während Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD) für die zuständige Wirtschaftsbehörde mitteilte, die aktuelle Verspätungsregelung sei bereits „Ausdruck eines angemessenen Interessensausgleichs zwischen den verkehrlichen Belangen und dem notwendigen Schutz der Anwohner“, befürchten Wirtschaftsvertreter eine Verschiebung, die Hamburg ökonomisch schaden könnte. „Bei allem Verständnis für die vom Fluglärm Betroffenen läuft Hamburg Gefahr, in die Provinzialität zurückzufallen“, sagte Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. „Wir müssen weiterhin attraktiv für Touristen bleiben.“ Schaden für den Tourismus befürchtet auch Jens Assmann, Leiter der Abteilung Verkehr, Hafen und Schifffahrt bei der Handelskammer. Hinzu kämen Risiken für „die Mobilität unserer Mitgliedsfirmen, die Bindung von Fluglinien und Luftfrachtspediteuren an diesen Standort“.
Wachsende Stadt – auch am Flughafen?
"Die Empfehlung der Fluglärmschutzkommission gefährdet den Wirtschaftsstandort Norddeutschland“, sagte der Präsident des Unternehmerverbands UVNord, Uli Wachholtz. „Sehr besorgt“ zeigte sich der Verein Hamburger Exporteure. Ähnlich äußerte sich der Industrieverband Hamburg.
Rückendeckung für diese Haltung kam von CDU und FDP. „Für die Wirtschaft ist das nicht das richtige Zeichen“, sagte David Erkalp (CDU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses der Bürgerschaft. „Wir sind eine wachsende Stadt – diese Entwicklung sollte man nicht bremsen.“ Der umweltpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Kurt Duwe, sagte: „Die Empfehlung der Fluglärmschutzkommission ist ein sehr weitreichendes Zugeständnis an die Initiativen, das für den Flughafen starke wirtschaftliche Folgen haben könnte.“
Ausgangspunkt für die vorgeschlagene Verschärfung der aktuellen Regelung ist eine erhebliche Zunahme von verspäteten Starts und Landungen zwischen 23 und 24 Uhr am Hamburger Flughafen. Wurde die Verspätungsregelung im Jahr 2013 noch in 420 Fällen genutzt, waren es in diesem Jahr bis zum 29. November 963 Fälle. Bis zum Jahresende werden es rund 1000 verspätete Starts und Landungen nach 23 Uhr sein, schätzt die Fluglärmschutzbeauftragte Gudrun Pieroh-Joußen. Der Flughafen begründet dies vor allem mit dem stark gestiegenen Passagieraufkommen. Harald Rösler, Vorsitzender der Lärmschutzkommission, sieht noch einen weiteren Grund: „Wenn es sehr häufig zu Verspätungen kommt, deutet das darauf hin, dass es sich um Fehler bei der Flugplanung handelt.“
Vom Flughafen heißt es, darauf habe man kaum Einfluss, da der Flughafenkoordinator der Bundesrepublik über die Zuweisungen für die Airlines entscheide. Aber: „Wenn Flüge auffällig werden, die häufiger die Verspätungsregelung in Anspruch nehmen, suchen wir das Gespräch mit den Airlines“, sagte Flughafensprecherin Janet Niemeyer.
Umweltausschuss lädt Sachverständige ein
Allein seit September dieses Jahres sind schon 40 Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Airlines angestrengt worden, die die aktuelle Verspätungsregelung im Übermaß nutzen. Im Prinzip wäre ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro möglich. Allerdings würden die Fluggesellschaften meistens den Piloten nicht nennen, sagte Gudrun Pieroh-Joußen. Dann habe man es rechtlich schwer. „Unsere Juristen prüfen noch, was wir in solchen Fällen tun können.“
Mit den rechtlichen Vorgaben für Verspätungsregelungen bei Flügen beschäftigt sich der Umweltausschuss der Bürgerschaft. Anfang 2018 sollen dort Sachverständige angehört werden. Anschließend soll die Bürgerschaft darüber diskutieren. Ob die Empfehlungen der Lärmschutzkommission umgesetzt werden können, wird sich dann zeigen.