Hamburg. HHLA, Siemens, Hermes, Hamburg Wasser – Frauen rücken an die Spitze großer Unternehmen. Eine Bestandsaufnahme.
Wenn Nathalie Leroy Anfang 2018 Chefin von Hamburg Wasser wird, ist das einerseits folgerichtig. Die 45-Jährige ist seit 2013 im Unternehmen, als kaufmännische Geschäftsführerin zuständig für Bereiche wie Finanzen, Personal und Vertrieb. Andererseits ist es auch ziemlich außergewöhnlich.
Schon bei der Bekanntgabe der Personalie im Juli betonte das Unternehmen, dass damit erstmals in einer deutschen Metropole eine Frau an die Spitze eines großen öffentlichen Wasser- und Abwasserunternehmens rückt. Ob sie will oder nicht, die Managerin wird durch ihren Aufstieg zu einer Ausnahmefrau – und steht damit unter besonderer Beobachtung.
Auch wenn sie nicht ganz allein ist. In diesem Jahr haben eine ganze Reihe von Frauen in Hamburg Jobs im Topmanagement besetzt, die bislang Männern vorbehalten waren, und das in Branchen, die als Männerdomäne gelten:
Angela Titzrath ist seit Anfang 2017 Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA).
Sonja Neubert stieg im April an die Spitze der Hamburger Siemens-Niederlassung auf. Im November wurde Carole Walker zur Vorstandsvorsitzenden von Hermes Europe ernannt.
Und mit einem Paukenschlag entschied sich das Präsidium der Hamburger Handelskammer für Christi Degen als neue Hauptgeschäftsführerin. Ihre Wahl durch die Delegierten in der nächsten Woche gilt als sicher.
Dazu kommen die Frauen, die schon länger in den Führungsetagen großer privater und öffentlicher Hamburger Firmen die Geschäfte lenken, wie etwa Constanze Hufenbecher, Finanzvorstand bei Lufthansa Technik, Claudia Hoyer, Vorstand bei TAG Immobilien oder Petra Scharner-Wolff, Finanzvorstand bei der Otto Group. Fasst man den Bogen etwas weiter, zählt Katja Karger dazu, die gerade erneut zur Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hamburg gewählt wurde. Auch in verschiedenen Einzelgewerkschaften sind Frauen die Chefs. Man möchte meinen: Hamburgs Wirtschaft wird weiblich(er).
Aber noch kein Durchbruch
Zumindest auf den ersten Blick. „Es ist generell eine gute Entwicklung, wenn in Hamburger Unternehmen mehr Frauen an der Spitze stehen“, sagt Corinna Nienstedt, Geschäftsführerin des Bereichs International in der Handelskammer und eine der ersten Frauen, die es in die Chefetage der traditionsreichen Kaufmannsvertretung schaffte. Einen Durchbruch sieht sie allerdings nicht.
So ergab eine Analyse der Kammer für die knapp 160.000 Mitgliedsunternehmen, dass der Anteil von weiblichem Führungspersonal 2017 bei lediglich 25 Prozent lag. Der Unterschied zum Vorjahr: keiner. Und das, obwohl neben Vorstandsfrauen auch Geschäftsführerinnen, Prokuristinnen und Inhaberinnen im Kleingewerbe gezählt wurden. Die meisten Chefinnen gibt es in den Bereichen Dienstleistungen, Medien und Einzelhandel. Aber Nienstedt sieht durchaus Veränderungen. „Die Wirtschaft wird diverser“, sagt sie. „Neue Sichtweisen, andere Wege werden zunehmend wichtiger in einem globalisierten Wettbewerb.“
Bundesweit mehr Frauen in Führung
Trotzdem wächst auch bundesweit die Zahl von Frauen in Führungspositionen nur sehr langsam. Zwar sitzen nach der Einführung einer gesetzlichen 30-Prozent-Quote in den Kontrollgremien großer Unternehmen jetzt mehr Aufsichtsrätinnen. Aber das Wachstum habe sich deutlich abgeschwächt, kritisiert der Verein FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte) im aktuellen Women-on-Board-Index von Ende Oktober dieses Jahres. Bei den 185 in den Börsenindizes DAX, MDAX, SDAX und TecDAX sowie den im Regulierten Markt notierten, voll mitbestimmten Unternehmen der Privatwirtschaft sind demnach mittlerweile 27,6 Prozent Frauen in den Kontrollgremien präsent. Das entspricht einer Steigerung von 1,7 Prozentpunkten seit Anfang des Jahres (25,9 Prozent). In Hamburg waren laut FidAR insgesamt 76 Frauen in Aufsichtsräten vertreten.
Und das ist noch die gute Nachricht. Je nach Untersuchung liegt der Frauenanteil auf Vorstandsebene bei diesen Unternehmen zwischen 6,5 und 7,2 Prozent. Anders als für Aufsichtsräte gilt für Vorstände keine Quote, sondern eine sogenannte Zielgrößenverpflichtung. Danach müssen Unternehmen, die börsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils abgeben. In Hamburg haben das zum Stichtag 30. Juni 2017 gerade mal sechs Unternehmen getan, und zwar hauptsächlich für die erste und zweite Führungsebene. Nur die Beiersdorf AG (10 Prozent) und die HHLA (25 Prozent) haben ihre Ziele auch für den Vorstand eingereicht.
Männer müssen neu denken lernen
„Es ist ein gutes Signal, wenn mehr Frauen ins Vorstandsressort aufrücken“, sagt Professorin Manuela Rousseau, die in den Aufsichtsräten von Beiersdorf und der Holding Maxinginvest (Beiersdorf, Tchibo) sitzt. Sie sieht Männer und Frauen in der Verantwortung. „Männer müssen ihr Denken verändern, alte Stereotype ablegen. Frauen müssen deutlich sagen, dass sie Verantwortung übernehmen wollen“, sagt die Hamburgerin, die bei FidAR aktiv ist. Bei Beiersdorf und Tchibo, beobachtet sie, „hat sich die Suche nach Frauen für Führungsjobs deutlich verstärkt“.
Die designierte Hamburg-Wasser-Chefin Nathalie Leroy ist eine, die es an die Spitze geschafft hat. Und ein Beispiel dafür, dass Hamburgs Wirtschaft weiblicher wird. Sie ist überzeugt, „dass wir mehr Frauen in Führungspositionen benötigen und dass gemischte Teams auf allen Ebenen eines Unternehmens erfolgreicher sind“. Ist sie ein Vorbild? „Ich hoffe, ich kann eines sein“, sagt sie und ermutigt diejenigen, die Führungsverantwortung übernehmen wollen, dafür zu kämpfen – so wie es Männer in Führungsposition auch tun. „Ich bin in meine heutige Position nicht nur durch Glück oder dank der Debatte um die Frauenquote gekommen“, sagt sie. „Es war und ist viel Arbeit und manchmal auch ein Kampf. Aber es lohnt sich.“
Keinen Widerstand erlebt
Die neue Chefin von Siemens in Hamburg, Sonja Neubert, sagt, echten Widerstand gegenüber Frauen in Führungspositionen habe sie bei Siemens nie erlebt. Ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht formuliert Neubert so: „Sicherlich bekommt man die eine oder andere Testfrage mehr gestellt als ein Mann. Aber wenn man den eigenen Weg geht und sich treu bleibt, relativiert sich das schnell.“ Die Voraussetzungen für einen Aufstieg in der Hierarchie – Sachkunde, Durchsetzungsvermögen, ein Netzwerk – seien für Frauen die gleichen wie für Männer.
Aber Frauen müssen für einen Topjob in der Regel eben meistens immer noch mehr mitbringen als Männer. „Es reicht nicht, gut zu sein“, sagt Daniela Rastetter, Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personal und Gender an der Universität Hamburg. Ähnlich wie Neubert zählt sie Engagement, Vernetzung, Planung und Förderung zu den Karriere-Voraussetzungen. „Außerdem müssen Frauen viel deutlicher ihre Aufstiegsbereitschaft signalisieren, sonst werden sie übersehen“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie sieht eine langsame Steigerung, aber keine Trendwende. „Damit gemischte Vorstände das werden, was sie eigentlich sein sollten, nämlich Normalität, müssen mehr Frauen in Spitzenfunktionen kommen“, sagt Rastetter.
Für DGB-Chefin klappt Gleichstellung nur mit Quote
Es ist wie eine Spirale, die sich sehr träge dreht. Dass es funktionieren kann, zeigt ein Blick auf die Gewerkschaften. In Hamburg steht nicht nur beim DGB mit Katja Karger eine Frau an der Spitze, in Einzelgewerkschaften wie der Gastro-Gewerkschaft NGG oder der Lehrer-Gewerkschaft GEW haben ebenfalls Frauen Führungspositionen.
Auch in den Betriebsräten großer Firmen von Aurubis über Airbus bis Asklepios sind die Chefs eine Frau. „Die Gewerkschaften beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Thema und setzen Quotenbeschlüsse konsequent um“, sagt Katja Karger, selbst eine Pionierin in ihrem Amt. Das liege auch daran, dass die Gewerkschaften mehr unter Kontrolle stünden als Unternehmen. Ihre Schlussfolgerung: „Ohne Verpflichtung zur Quote wird es keine echte Gleichstellung geben.“
Bloß keine Quotenfrau sein
Nathalie Leroy will genau das nicht sein, eine Quotenfrau. Ihr wäre es am liebsten, wenn das Geschlecht überhaupt kein Thema wäre, sagt sie. „Für die Bewertung meiner Arbeit sollten meine Leistung und mein Handeln als Geschäftsführerin ausschlaggebend sein.“ So weit sei es aber noch nicht ganz. Es bleibe deshalb eine gesellschaftliche Herausforderung, überholte Geschlechterrollen zu überwinden. „Dabei wird der Faktor Zeit sicher helfen“, sagt die Topmanagerin. Und hat einen Vergleich parat. „Dass ich als Französin an der Spitze eines öffentlichen deutschen Unternehmen stehe, spielt 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg glücklicherweise keine Rolle mehr.“ Sie wünsche sich, dass es keine weiteren 70 Jahre dauert, bis das Geschlecht eines Menschen bei der beruflichen und privaten Entfaltung irrelevant geworden ist.