Hamburg. SPD nutzt die Idee einer Bürgerversicherung als Druckmittel für eine Große Koalition. Warum Hamburgs Gesundheitssenatorin dafür kämpft.

Die SPD fordert vor möglichen Koalitionsverhandlungen mit der Union zur Bildung einer neuen Bundesregierung die Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV). Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte dem Abendblatt: „Eine paritätische Bürgerversicherung ist nicht nur ein zentrales sozialpolitisches Anliegen der SPD, sondern auch ein Gebot der Vernunft. Deshalb muss das bei eventuellen Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen unsere Forderung sein.“

Leitartikel: Die Gleichmacher-Fantasie

Nach den Vorstellungen von Prüfer-Storcks sollen alle PKV-Versicherte in die neue Bürgerversicherung wechseln können. Dabei gibt es jedoch Bedenken, dass es grundgesetzwidrig sein könnte, wenn sie ihre angesparten Altersrückstellungen in die neue gesetzliche Kasse mitnehmen.

Neuversicherte kämen automatisch in die Bürgerversicherung, auch Beamte. Die alte PKV würde also langsam absterben. Private Zusatzversicherungen wären vermutlich nicht betroffen.

Ärzteverbände gegen Bürgerversicherung

Dass sich CDU und CSU in möglichen Koalitionsverhandlungen auf diese SPD-Forderung einlassen, ist derzeit unwahrscheinlich. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kann sich eine „Zwangsvereinigung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung“ nicht vorstellen. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen und praktisch alle Ärzteverbände haben sich gegen eine Bürgerversicherung ausgesprochen.

Der Hamburger Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery, sagte, alle Umfragen zeigten, dass die Deutschen das Gesundheitswesen als gut bewerten und erhalten wollen. Es dürfe so Montgomery, „keine Rationierung, keine Wartezeiten und keine Begrenzungen der Leistungskataloge wie in den Einheitssystemen der Niederlande oder in Großbritannien“ geben. Diejenigen, die es sich leisten können, sicherten sich dort „einen exklusiven Zugang zur Spitzenmedizin als Selbstzahler oder durch teure Zusatzversicherungen“.

„Zwei-Klassen-Medizin abschaffen“

Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) ist privat krankenversichert. Das hat sich in ihrer politischen Karriere so ergeben. Doch sie wäre lieber gesetzlich versichert, wie sie im Abendblatt-Interview sagte. Wechseln ist grundsätzlich schwierig bis unmöglich. Mit ihren 61 Jahren ist das für Prüfer-Storcks gesetzlich ausgeschlossen, bis 55 wäre es theoretisch machbar gewesen.

Die auch auf der Bundesebene für die SPD und Hamburg aktive Senatorin sieht in der derzeitigen politischen Gemengelage in Berlin die Chance, die Idee einer Bürgerversicherung umzusetzen, die das Ende der privaten Krankenversicherung (PKV) bedeuten würde. Genau das befürchtet die Union.

Prüfer-Storcks spricht dagegen davon, eine „Zwei-Klassen-Medizin“ zu beenden. Dazu solle auch eine neue Gebührenordnung für Ärzte beitragen. Hier sehen Deutschlands Ärzte die größte Gefahr: dass sie bei einer Bürgerversicherung Milliarden an Honoraren einbüßen. Die Senatorin aber sagt: „Heute siedeln sich Ärztinnen und Ärzte dort an, wo mehr Privatpatienten wohnen. Eine neue, moderne Honorarordnung würde die Bezahlung der Ärzte insgesamt nicht verringern.“ Das Geld der Versicherten würde nach diesen Plänen nur anders verteilt als heute.

Praxen ohne Privatpatienten nicht wirtschaftlich?

Hamburger Ärzte beklagen schon heute, dass sie allein von den gesetzlich Versicherten ihre Praxen nicht mehr wirtschaftlich betreiben können. Das ist auch der Grund dafür, dass in Stadtteilen mit wenigen Privatversicherten die Zahl der Ärzte zurückgeht. Für Mediziner vor dem Ruhestand wird es schwieriger, ihre Praxis zu verkaufen. Oberärzte im Krankenhaus scheuen die Selbstständigkeit, wenn sie keine Praxis mit ausreichend Privatpatienten übernehmen können und einen deutlichen Einkommensgewinn gegenüber der Klinik haben.

In Hamburg laufen die Anbieter von privaten Krankenversicherungen, Tausende ihrer Mitarbeiter und zum Teil sogar Gewerkschafter Sturm gegen die Bürgerversicherung. Aktuell erklärte auch der Deutsche Beamtenbund (dbb), man wolle „jedem Versuch entgegentreten, Versorgung und Rente, Beihilfe, PKV und gesetzliche Krankenversicherung in einen Topf zu werfen“.

„Kleine Bürgerversicherung“ in Hamburg

Für Prüfer-Storcks ist genauso wichtig, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer künftig wieder wie vor dem Jahr 2005 denselben Beitrag zur Krankenversicherung leisten („paritätisch“). Zurzeit zahlen die Arbeitgeber 7,3 Prozent, Angestellte aber durchschnittlich 8,4 Prozent. Prüfer-Storcks sagte: „Das wäre ein Entlastungsprogramm besonders für kleine und mittlere Einkommen in Höhe von rund sieben Milliarden Euro im Jahr.“

In Hamburg soll ab 2018 bereits eine „kleine Bürgerversicherung“ eingeführt werden. Neue Beamte sollen dann den halben Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung wie von einem gewöhnlichen Arbeitgeber erhalten. Dadurch müssten sie sich dann nicht mehr privat krankenversichern. Das ist heute für sie dank der Beihilfe günstiger. Der Beamtenbund nennt das eine „Mogelpackung“. Ob Prüfer-Storcks diese Reform umsetzen kann, ist ungewiss. Als ausgewiesene Gesundheitsexpertin könnte sie in einer neuen Großen Koalition nach Berlin wechseln.