Hamburg/Berlin. Während Bürgermeister Scholz der Kanzlerin “eklatante Führungsschwäche“ vorwirft, fordert Bundespolitiker Kahrs einen Deal ein.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "eklatante Führungsschwäche" bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungen vorgeworfen. Dass es nun schnell zu einer Neuauflage der großen Koalition aus Union und SPD kommen könnte, hält Scholz für unwahrscheinlich. "Sie ist eine Option. Aber nur eine. Es gibt keinen Automatismus, dass sie auch zustande kommt", sagte er dem Magazin "stern" (Donnerstag). Der Weg sei lang, aber diese Zeit müssten sich die Beteiligten nehmen, sagte der Sozialdemokrat, der in seiner Partei als einer der größten Befürworter einer Großen Koalition gilt. Große Koalitionen dürften kein Dauerzustand werden: "Wenn der politische Wettbewerb nicht mehr zwischen den beiden Volksparteien stattfindet, hat das negative Folgen für unsere Demokratie."

Zu den abgebrochenen Sondierungen für eine Jamaika-Koalition sagte Scholz, die Union mache es sich zu einfach, wenn sie das nur der FDP anlaste. "Es ist auch ein Scheitern der CDU-Vorsitzenden." Ihre Kraft habe sich offensichtlich erschöpft. Es sei fraglich, ob sie bei den Gesprächen über eine Neuauflage der Großen Koalition die Kraft finde, eine Einigung herzustellen. Etwa in den großen Fragen der Europapolitik und mit Blick auf die Initiativen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fehle es der Kanzlerin an Führungsstärke. "Ihr politischer Stil kommt offenbar an seine Grenzen", sagt Scholz, "Die Zeit des Durchlavierens ist vorbei."

Rechter SPD-Flügel fordert "Zeichen des guten Willens"

Druck aus der SPD erhält Merkel indes auch im Fall der umstrittenen Zustimmung auf EU-Ebene zum Unkrautvernichter Glyphosat. Der rechte Flügel der Sozialdemokraten fordert die Kanzlerin auf, als Zeichen des guten Willens den Weg für das von der Union blockierte gesetzliche Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit freizumachen. „Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme in Richtung SPD. Das rettet die Sache nicht, aber das Klima“, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion, der Hamburger Johannes Kahrs. „So ein Zeichen noch vor dem SPD-Parteitag in der kommenden Woche würde uns allen helfen.“

Am Donnerstag treffen sich die drei Parteichefs Martin Schulz (SPD), Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen einen Ausweg aus der Regierungsbildungskrise zu suchen. Denkbar sind eine erneute große Koalition, eine Merkel-Minderheitsregierung oder Neuwahlen.

Minister Schmidt verteidigt sein umstrittenes Vorgehen

Bei einer Abstimmung auf EU-Ebene hatte der deutsche Vertreter auf Geheiß von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) am Montag dafür votiert, dass europäische Bauern das umstrittene Glyphosat fünf weitere Jahre auf ihre Felder sprühen dürfen. Bislang enthielt sich Deutschland der Stimme, weil Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dagegen war. Merkel rügte Schmidt für einen Verstoß gegen die in der schwarz-roten Regierung verabredete Abstimmungspraxis. Aus bayerischen Regierungskreisen hieß es, Seehofer sei vorab über das geplante Ja in Brüssel informiert gewesen. In der „Süddeutschen Zeitung“ versicherte er Schmidt der Rückendeckung seiner Partei.

Durch das eigenmächtige „Ja“ Schmidts sei Vertrauen kaputtgemacht worden, sagte Kahrs. „Wenn wir miteinander reden wollen, muss wieder Vertrauen auf beiden Seiten wachsen.“ Dafür müsse die Union die Initiative ergreifen. Den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Mittwoch) sagte Kahrs: „Für die Union wird es jetzt richtig teuer.“

Rückkehrrecht zu Vollzeit auf Eis gelegt

Der Gesetzentwurf der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zum Rückkehrrecht war im Mai endgültig von Kanzleramt und der Union auf Eis gelegt worden. Nahles - inzwischen SPD-Fraktionsvorsitzende - hatte von einem Bruch des Koalitionsvertrages gesprochen und Merkel im Wahlkampf für das Scheitern verantwortlich gemacht. Besonders umstritten war, ab welcher Betriebsgröße Beschäftigte nach der Teilzeit auf eine frühere Vollzeitstelle zurückkehren könnten. Die Union wollte dies erst ab 200 Mitarbeitern ermöglichen, Nahles ab einer Schwelle von 15 Mitarbeitern. Nach Ansicht von Kahrs könnte bei grünem Licht der Union der fertig in der Schublade liegende Gesetzentwurf von Nahles bereits im Januar vom Bundestag verabschiedet werden.

Minister Schmidt verteidigte derweil erneut sein Vorgehen. „Ich habe mit einer vielleicht unpopulären Entscheidung für die Umwelt viel erreicht“, sagte der CSU-Politiker der „Bild“-Zeitung. „Durch unsere Zustimmung konnten wir unsere Auflagen für Umwelt und Anwendungsbeschränkungen, die ich in den letzten Tagen mit dem Kommissar verhandelt habe, in der Verordnung durchsetzen. Und das ist inhaltlich auch im Sinne der SPD und Ministerin Hendricks und geht sogar über deren Forderungen hinaus.“ Schmidt kündigte an, in Fragen der nationalen Umsetzung auf Hendricks zuzugehen, „und wir werden gemeinsam an einer Lösung arbeiten, um den Einsatz von Glyphosat künftig restriktiver zu gestalten“.

Glyphosat ist ein weit verbreitetes Unkrautgift. Es ist hoch umstritten und steht im Verdacht, Krebs auszulösen. Umweltschützer fürchten auch negative Folgen für Tier- und Pflanzenwelt.