Hamburg. Dem Komponisten Karlheinz Stockhausen ist ein großer Festival-Schwerpunkt gewidmet. Der Kartenverkauf hat begonnen.
Mehr als ein Monat Laufzeit, vom 27. April bis zum 30. Mai 2018. 62 Konzerte mit 41 Programmen, rund 75.000 Karten, Gastspiele an vielen anderen Adressen als Elbphilharmonie und Laeiszhalle. Das dritte Hamburger Musikfest – mittlerweile der vierte Anlauf in den letzten Jahrzehnten, um diesen Ausnahmezustand unentfernbar im Konzertkalender und im Publikumsbewusstsein zu verankern – soll sich im nächsten Frühjahr großflächig mit dem Leitmotiv „Utopie“ auseinandersetzen.
Da die allergrößte, teuerste, spektakulärste Vision der jüngeren Stadtgeschichte seit gut einem Jahr keine mehr ist, wurde es bei der Programmvorstellung in der konzerthausgewordenen Utopie Elbphilharmonie zur Einstimmung erst einmal grundsätzlich: Kultursenator Carsten Brosda erklärte, das Musikfest sei ein Fest, „das seinen kühnen Gestus schon im Titel trägt“. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sekundierte und umschrieb die programmatische Ballung von Besonderem als „große Körbe von Möglichkeiten“ – groß genug offenbar, um von 2018 an vom bisherigen Biennale-Rhythmus auf jährliche Musikfeste umzurüsten.
Auch David Bowie ist Konzertabend gewidmet
Manche Programmpunkte sind weder neu noch besonders utopisch, sondern als Teil des Saisonprogramms ins Musikfest-Termingehege eingemeindet worden. Der dickste rote Faden für 2018, bislang nur stellenweise sichtbar gewesen, sind Werke von Karlheinz Stockhausen, dem neben Henze wichtigsten deutschen Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Komponist, der wegen seiner Äußerungen zu 9/11 in der selbst erklärten Musikstadt Hamburg lange wie eine offiziell unbestätigte Persona non grata wirkte. Eine posthume Wiedergutmachung sei das nun nicht, erklärte Brosda dazu, man wolle austesten, „wie weit es mit der Musikstadt ist“.
Ein bedauerlicher Treppenwitz gerade dieser Episode der Musikgeschichte: Weil die enormen räumlichen Anforderungen – drei große Ebenen für die drei Teil-Orchester – im Großen Saal der Elbphilharmonie nicht zu haben sind, wird der Avantgarde-Klassiker „Gruppen“ im Mehr! Theater aufgeführt. Auch für andere großorchestrale oder elektroakustische Stücke Stockhausens habe sich nicht genügend Organisationsfreiraum im Belegungsplan des Großen Saales finden lassen, bedauerte dessen Hausherr Lieben-Seutter. Deswegen wurde auch die halbszenische Aufführung eines „Donnerstag“-Teils aus Stockhausens „Licht“-Zyklus ausgelagert, nach Kampnagel. „Hymnen“ wird im Resonanzraum zu erleben sein, dort widmet sich das Ensemble Resonanz Stockhausen und Cage. Als Pianist vom Fach spielt Pierre-Laurent Aimard die „Klavierstücke I-XI“.
Auch örtliche Mitwirkende
Zum generellen Programmprofil sagte Lieben-Seutter: „Es geht nicht unbedingt um ganz große Namen, um Glanz und Gloria.“ Einige sind dennoch dabei, weil sie eh gebucht waren: Mariss Jansons mit dem BR-Orchester und Mahlers Siebenter oder das Scala-Orchester mit Riccardo Chailly und dem Verdi-Requiem. Das Kronos Quartet, Mutter aller Freistil-Ensembles dieser Größe, gratuliert sich zum 50. Geburtstag mit einem Gig im Großen Saal.
Auf dem nach dem Musikfest-Rezept gefüllten bunten Teller finden sich auch örtliche Mitwirkende: NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock dirigiert Beethovens „Missa solemnis“, die so besonders ist im Werkkatalog, dass sie als Über-Utopie gelten kann; später folgt die „Eroica“. Generalmusikdirektor Kent Nagano und die Philharmoniker sind mit einem Von-bis-Programm und einem Schumann-Sortiment aus ihrem Abo-Angebot vertreten. Extra populär wird es beim NDR mit einem Konzert, das Holsts „Planeten“ mit einer „Star Wars“-Soundtracksuite kombiniert.
Joyce DiDonato singt über Krieg und Frieden
Ein kleinerer Schwerpunkt ist das Thema Musiktheater. Als Übernahme der diesjährigen Salzburger Osterfestspiele kommt Sciarrinos „Lohengrin“-Version in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Die Staatsoper montiert aus dem Roman, der Musik von Jan Dvorak und der Regie von Philipp Stölzl auf Kampnagel eine neue „Frankenstein“-Version, während die Symphoniker Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ im Großen Saal der Laeiszhalle präsentieren.
Nichtklassisch wird es an den Programmrändern, auch mit einer Hommage an den sehr späten David Bowie und sein Schwanengesang-Album „Black Star“ oder dem Engagement der Jazzsaxofonistin Anna-Lena Schnabel. Die letzten Noten des Musikfests werden von der Mezzosopranistin Joyce DiDonato und ihrem „In War and Peace“- Programm beigesteuert, zu dem sie bei der Klassik-Echo-Preisverleihung in der Elbphilharmonie gesagt hatte: „Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Schöpfung.“ Nicht die schlechteste Leitlinie für lohnende Utopien.