Hamburg/Lanzarote. An diesem Sonnabend fällt der Startschuss für eine Atlantiküberquerung. Aus Hamburg sind neun Segelboote dabei.

Die Unterbringung klingt nach viel Enthusiasmus. Es gibt weder eine Dusche noch eine Toilette, ernährt wird sich überwiegend von gefriergetrockneten Lebensmitteln, die auf einem Bunsenbrenner warm gemacht werden. Trinkwasser ist begrenzt, und statt in einem Bett findet die Nachtruhe in einem Knautschsack in irgendeiner Ecke unter Deck statt. „Ja, komfortabel ist das nicht“, sagt Tobias Brinkmann. „Aber wir haben uns für ein schnelles Schiff entschieden, und darauf ist kein Platz für Bequemlichkeit. Außerdem gehört das zu einem Abenteuer dazu.“

Kein Bad also, keine Küche und nur zwei Rohrkojen für fünf Mann Besatzung. Wer schnell sein will, muss verzichten auf der Rennyacht „MarieJo“, einem 40-Fuß-Schiff. Aber das tun die Hamburger Brinkmann junior (41) und sein Vater Berthold (68), im Privatleben Rechtsanwälte der gleichnamigen Partnergesellschaft in der Hansestadt, sowie drei Freunde gern. Sie alle sind Segler aus Leidenschaft. Und deshalb ist es geradezu Pflicht, an dieser ganz besonderen Regatta teilzunehmen.

3000 Seemeilen bis zum Zielhafen Grenada

Am heutigen Sonnabend fällt vor Lanzarote der Startschuss für die Atlantic Anniversary Regatta. Ein zweigeteiltes ­Jubiläumsrennen des NRV, des Norddeutschen Regatta Vereins. Anlässlich seines 150-jährigen Bestehens richten die Hamburger in Kooperation mit dem 50 Jahre alten italienischen Yachtclub Costa Smeralda die Hochseeregatta aus. 23 internationale Yachten aus aller Welt, elf davon aus Deutschland, neun vom NRV, werden je nach Wetterlage 14 bis 17 Tage nonstop auf See unterwegs sein und die etwa 3000 Seemeilen über den Südatlantik bis zum Zielhafen Grenada in der Karibik zurücklegen.

Teil zwei der Reise startet dann im Sommer nächsten Jahres von Bermuda aus über den Nordatlantik bis zur Ziellinie an der Elbmündung vor Cuxhaven. Die Skipper und Teams der großen Rennyachten sind Profis, aber auch Familiencrews wie die Brinkmanns rechnen sich in ihrer Klasse eine Chance auf eine gute Platzierung aus. „Wir segeln zwar im Feld der kleineren Boote“, sagt Tobias Brinkmann. „Aber wir haben schon den Ehrgeiz, möglichst schnell zu sein.“ In ihrer Schiffskategorie, der Class 40, hält Marc Lepesqueux seit 2015 den Rekord in Sachen Atlantiküberquerung mit zwölf Tagen, zwölf Stunden und 36 Minuten.

Sohn und Vater Brinkmann eint die Segelleidenschaft
Sohn und Vater Brinkmann eint die Segelleidenschaft © Hinrich Franck Hamburg | Hinrich Franck Hamburg

Die Fünf-Mann-Crew der „MarieJo“ ist klug gewählt. Vater Berthold ist mit 68 Jahren zwar der Senior an Bord, doch mit seiner Erfahrung ist er ein wichtiger Faktor. Natürlich hat er sich besonders gerüstet vor dem Start. „Er hat das Boot auf einer Werft in Frankreich überholen lassen“, erzählt der Sohn. „Danach ist er 1300 Seemeilen gesegelt, so viel hat keiner von uns in diesem Jahr geschafft.“

Ein Arzt (Sönke Boy), ein Schiffsbauer (Robin Zinkmann) und ein Schiffsmakler (Max Minarek) ergänzen die Crew. Eine große Reiseapotheke soll die Männer vor behandelbaren Erkrankungen schützen. Das Schlimmste, den Sturz von Bord, müssen sie selbst verhindern. „Das darf nicht passieren“, sagt Brinkmann junior. Zwar sind die Schwimmwesten mit Peilsendern ausgestattet, „aber eine Bergung aus dem Wasser ist total schwierig.“ Deshalb lautet Regel Nummer eins auf dem Schiff: vorsichtig bewegen, vor allem bei heftigem Seegang.

Die erste Atlantiküberquerung war 1899

Geschlafen und gewacht wird im Drei- bis Vier-Stunden-Rhythmus. Immer zwei Mann segeln, der Senior ist von den Wachen ausgenommen. Er kann entscheiden, wann er wo sein will. „Sönke und ich sind als Väter von kleinen Kindern bestens trainiert für diese Situation“, sagt Brinkmann. „Aber auch ohne diese Voraussetzungen muss es zwei Wochen mal so gehen.“

Atlantiküberquerungen haben Tradition. 1899 wurde die erste ausgetragen. Teilnehmer sind immer Segelboote oder Segelschiffe. Zumeist verlaufen die Routen von Osten nach Westen, die Veranstalter wechseln. Bei den Amateurcrews sind Familienzusammenstellungen beliebt. Eine Seereise auf engstem Raum verbindet, und wer im Alltag harmoniert, der schafft auch unter Stressbedingungen effektives Miteinander. Vater und Sohn Brinkmann haben sich dieses Abenteuer schon einmal getraut. Das war 2003, und damals ging die Reise von Newport nach Hamburg. Veranstalter war auch dabei der Norddeutsche Regatta Verein. 60 Yachten waren am Start.

Siegervorhersagen sind beim Segeln noch schwieriger als in anderen Sportarten. Die Wetterbedingungen sind während der Reise diffizil, es muss viel zusammenkommen, damit es am Ende zum Sieg reicht. Im vergangenen Jahr war es die niederländische „Aragon“ von Besitzer und Skipper Jochen Bovenkamp, die eine Transatlantik-Regatta gewann. Experten sehen die australische „CQS“ von Ludde Ingvall als Favoriten auf den Gesamtsieg. Die finnische Segellegende nimmt schon seine 16. Atlantiküberquerung in Angriff. Seine Crew hat er mit Profis aus aller Welt bestückt, aber er gibt auch Nachwuchsleuten eine Chance.

Unter den weiteren Sieganwärtern ist neben der Admiral’s Cup-Legende Tilmar Hansen und seiner deutschen Outsider aus Hamburger Sicht mit der „Varuna VI“ auch ein NRV-Mitglied: Kaufmann Jens Kellinghusen. Der Direktor der Behn Meyer Holding AG hatte sich zuletzt 2015 einen Namen in der internationalen Hochleistungssegel-Szene gemacht, als er mit seinem Schiff eines der weltweit schwersten Rennen gewinnen konnte: Sydney-Hobart – bekannt für seine Tücken in der Meerenge zwischen Australien und Tasmanien, wo Pazifischer und Indischer Ozean aufeinandertreffen und meterhohe Wellen prodizieren.

Doch auch der Nachwuchs will sich beweisen. Auf der JV52 „Haspa Hamburg“ mit Skipper Max Gärtner (20) vom Hamburgischen Verein Seefahrt, der mit der „Broader View Hamburg“ noch ein zweites Boot dabeihat, sind nur Youngster unter 30 Jahren an Bord. Und erstmals ist auch ein reines Frauenteam dabei. Lyssandra Barbieris Dufour 40 „Hatha Maris“ trägt die italienische Flagge.

Die Brinkmanns jedenfalls sind hoch motiviert. „Wir haben uns seit Anfang des Jahres vorbereitet“, sagt der Junior. Und dafür sogar Familienurlaub abgezweigt. Siegen müssen sie nicht – das Abenteuererlebnis gewinnen sie so oder so.