Hamburg. Die Premiere von “Der goldene Handschuh“ mit Charly Hübner im Schauspielhaus stellte die Weihestätte der Hochkultur auf die Probe.
Es geht um den Doornkaart, den Abschuss, das Sumpfen. Ja, genau, der Sumpf, der anderswo auch Reeperbahn genannt wird oder Kiez. Er ist der Hauptgegenstand, das Zentrum der Betrachtung, der Ort dieses vollendeten Deliriums, der wie die Kneipe auf St. Pauli und das Theaterstück „Der goldene Handschuh“ heißt. Die Premiere im Schauspielhaus stellte die Weihestätte der Hochkultur durchaus auf die Probe.
Meisterhaft erzählt
Ob das Abonnementspublikum jene eher durchlitt als durchlebte, ließ sich abschließend nicht feststellen. Das Lachen blieb vielen jedenfalls oft im Halse stecken, was ja kein Wunder ist, denn „Der goldene Handschuh“ ist nicht nur ein komödiantisches Drama, es ist auch die von Heinz Strunk zuerst meisterhaft in Romanform gegossene Mörderballade des Frauenverächters Fritz Honka. Für die Bühne hat Strunk im Verein mit seiner Komödiantenclique Studio Braun den Stoff nun in eine nicht minder stinkende und triefende Revue aus der Gosse verwandelt. Ob damit in dieser Saison das Schauspielhaus sturmreif geschossen werden soll?
Kurzweiliger Abend
Der Beginn des erfrischend kurzweiligen Theaterabends legt es nahe. Da heulen die Sirenen, und die Bomben schlagen ein. Das Drama des Fritz Honka, dessen Morde hier handlungsmäßig bis auf einen späten ausgespart werden – siehe oben: es geht um Schnaps, nicht Leiche – spielt sich auf den Ruinen des Weltkriegs ab, der Anfang der Siebziger noch nicht gar zu lange her war. Es sind menschliche Ruinen wie Soldaten-Norbert, den Rocko Schamoni als gelockten Tresen-Assi gibt; ein ewig Labernder wie alle auf dem Planeten Spelunke. Heinz Strunk ist der Kneipier Herbert, dessen „Goldener Handschuh“ die Endstufe aller Kneipenträume ist: eine Abfüllanlage, geformt wie ein Aschenbecher, die Urinale gleich mit dran am Ausschank. Überhaupt, das Bühnenbild. Es ist superb, ein Perpetuum mobile der Nacht und des Bodensatzes mit formidabler, sich wild drehender Liveband.
Mörderisches Schicksal
Von den Schnack-Kaskaden – das Theaterstück veredelt mit seinem Dialogwahnsinn die literarische Vorlage – fährt „Der goldene Handschuh“ direkt in die wahre Hölle: Honkas Suffbutze, in der die aufgegabelte Prostituierte mit Flaschen und Leichenteilen hantiert, und Elbchaussee, an der der Reederadel seine Wohlstandsverwahrlosung pflegt. Bettina Stucky überzeugt in einer Doppelrolle als Schabracke und Societylady. Genau wie Charly Hübner als „Fiete“ Honka, der mit offenem Hosenstall in sein mörderisches Schicksal wankt. Die Tragik dieses derangierten Mannes wird auch in der theatralen Version des „Goldenen Handschuh“ herausgearbeitet. Honka ist, in all seiner Scheußlichkeit, eine mitleiderregende Figur. Er ist der einsamste Mensch der Welt. Es wäre verfehlt, von einer Würde zu sprechen, die seiner Existenz abgewonnen wird: Hier ist wirklich alles grauenvoll.
Die Milieu-Begehung fördert nichts als Gefallene zutage, die im Suff Erlösung suchen. Der von seiner quälenden Geilheit gepeitschte Mann ist der Antiheld des Stoffes, und er tritt ganz anders auf als sein übergriffiger Geschlechtsgenosse, der derzeit öffentlich am Pranger steht. Hübners Honka ist ein Ohnmächtiger – aber auch einer wie er findet Frauen, die er quälen kann. Im Theater stellt sich dasselbe Gefühl wie bei der Lektüre ein. Man fühlt sich als Voyeur, der sich selbst die Füße im Rinnstein nicht schmutzig macht.
Es geht um das Glotzen
Deswegen funktioniert die Romantik des Abschaums so gut: Auf St. Pauli geht es immer schon besonders um das Glotzen. Das dantische Inferno, in das „Der goldene Handschuh“ im Finale mündet, als auch die Reederei-Erben jederlei Benimm fahren lassen, ist die Vollstreckung des dunkeldionysischen Gedankens: Katharsis ist erst, wenn alle Schönheit, alle Moral und alles Mitgefühl vollends suspendiert ist. Der Kiez dreht sich in dieser Schlusssequenz wie ein Karussell, auf das jeder auf-, und von dem aber keiner abspringen kann: Suff bedeutet lebenslänglich. Als Verdichtung und gesteigerter Ausdruck der Romanhandlung sind übrigens auch die Szenen bei den von Dohrens, den Elbchaussee-Degenerierten, glänzend umgesetzt, wie überhaupt die vom Epischen ins Dramatische transportierten Proportionen stimmen.
Es braucht eine Lust am Ekel, um dieses glorreiche Elend ins Werk zu setzen. Das Ensemble, in dem Josef Ostendorf als oberprolliger Nachtwächtäää noch heraussticht, glänzt mit Körpereinsatz und Mut zur Hässlichkeit. „Lachen und kotzen“, heißt es einmal, „sitzen nebeneinander in der Kehle“, und deswegen ist hier im Grunde alles auch komisch.
Der Schluss-Applaus war nicht wirklich verhalten, aber auch nicht überbordend. Wahrscheinlich ließ manch einen die Kultur der Kloake ratlos zurück.
„Der goldene Handschuh“ nächste Vorstellungen 10.12., 18 Uhr, 11.12., 19.30 Uhr, 17.12., 17 Uhr (alle ausverkauft)