Hamburg. Mehr Platz, weitere Attraktionen und ein Buch – die komplette Geschichte der Brüder Frederik und Gerrit Braun.

Es gibt kaum ein Foto, auf dem Frederik und Gerrit Braun nicht freundlich schauen. Als Jugendliche mit coolen Rennautos, beim Tüfteln auf ihren Modellgleisen, auf dem roten Teppich, bei der Eröffnung der Elbphilharmonie – immerzu blickt die Lebensfreude aus ihren Augen. Ist es ein aufgesetztes Lachen, wenn der Auslöser klickt? Oder haben sich die beiden tatsächlich die kindliche Neugier auf die Welt und die Spielfreude aus früheren Tagen bewahrt? Ein Buch, das gerade im Atlantik Verlag erschienen ist, erzählt die Geschichte zweier Jungs, die sich ihren Lebenstraum erfüllt haben.

Das Buch

„Kleine Welt, großer Traum: Die Erfolgsgeschichte der Gründer des Miniatur Wunderlandes“ gibt private Einblicke in ihre Kinder- und Jugendtage, die nicht immer ganz so sonnig waren. Die Eltern trennten sich, als die eineiigen Zwillinge zwei Jahre alt waren. Die Mutter zog mit ihren kleinen Jungs in eine Wohngemeinschaft im Grindelviertel.

Warum ich ein Fan des Miniatur Wunderlandes bin

Dass sie sich als Geschwister auf Augenhöhe und viele, viele bunte Spielsachen hatten, war für die Braun-Brüder ein Glück: „Klar, jedes Kind spielt, und alle Kinder nehmen ihre Spiele ernst, aber für uns waren die Kinderspiele mehr als das. Sie waren eine Möglichkeit, uns eine Welt zu schaffen, die unseren Regeln entsprach, in die wir uns hineinträumen konnten und in der wir bestimmen konnten, wo es langging. Mit unseren Spielen wollten wir häufig die Welt verbessern“, schreibt Frederik Braun im ersten Kapitel. Mehr noch: „Der Sinn unseres Daseins waren unsere Spielereien.“

Schienennetz von 15.400 Meter Länge

Ein Foto im Buch zeigt Frederik, der fünf Minuten Jüngere der beiden, zwischen Schienen auf dem Fußboden liegend, vertieft ins Spiel. Auf ihre Brio-Holzeisenbahn und die später vom Vater geerbte Modelleisenbahn der Firma Märklin seien sie besonders stolz gewesen. „Wenn man uns ließ, verlegten wir unsere Gleise in der gesamten WG – inklusive Bad und Küche –, und wenn es dabei Probleme gab, war das jedenfalls für uns kein Problem. Gerade wenn es Unfälle gab oder etwas mal nicht so lief wie geplant, fanden wir das besonders spannend. Grundsätzlich haben wir aber lieber etwas aufgebaut, als länger damit gespielt. Uns lag immer mehr am Experiment und am Ausprobieren von Neuem.“

1,3 Millionen
Besucher kamen
2016 ins Miniatur
Wunderland,
mehr als in
den Kölner Dom
1,3 Millionen Besucher kamen 2016 ins Miniatur Wunderland, mehr als in den Kölner Dom © picture alliance / dpa

Interessanterweise hat sich gar nicht so viel geändert seitdem: Heute sind die Brüder Chefs der weltweit größten Modelleisenbahn-Ausstellung mit einem Schienennetz von 15.400 Meter Länge, auf denen 1040 Züge an 1038 Signalen vorbeifahren. Kurz bevor die reale Welt durch die Anschläge am 11. September 2001 in ihren Grundfesten erschüttert wurde, bauten sie ihre kleine heile Welt auf. Mittlerweile ist die 6800 Quadratmeter fassende Modellfläche in der Speicherstadt die beliebteste Sehenswürdigkeit Deutschlands. Unter den jährlichen Millionen Besuchern waren auch schon Stars wie die Sängerinnen Adele und Katy Perry sowie die Schauspielerin Kirsten Dunst, die während ihrer Deutschland-Aufenthalte im Miniatur Wunderland vorbeischauten.

Experimentierfreude ohne Grenzen

Die Experimentierfreude der Brüder Braun kennt anscheinend keine Grenzen: Dem Prinzip der offenen Baustellen folgend, wächst das Wunderland stetig. 2016 wurde der Abschnitt Bella Italia mit Rom, der Toskana und Pompeji samt Vesuv eröffnet. Demnächst sollen Monaco mit der Formel-1-Rennstrecke durch die Stadt und einem extra dafür ausgetüftelten neuen Car-System, außerdem Frankreich und England – das Ursprungsland der Eisenbahn – dazukommen. Auch vorstellbar: „Eine Bahnverbindung, die von der Elfenbeinküste durch den tropischen Regenwald führt, die Sahelzone durchquert, in der Hitze der Sahara gegen Sandstürme kämpft und vorbei an Pyramiden in Kairo zum Ziel kommt“, heißt es auf der Internetseite.

Um den neuen Attraktionen Raum zu geben, wird sich das Miniatur Wunderland in naher Zukunft vergrößern. Gerade wurden die Baupläne für eine Erweiterung genehmigt: 2019/20 werden über den Kehrwiederfleet hinweg 3000 Quadratmeter Fläche hinzukommen, inklusive Brücke. „Wir bauen quasi den Ärmelkanal nach“, sagt Frederik Braun. „Frankreich steht schon. Nun kommt England auf der anderen Seite dazu.“

Frederik und Gerrit
Braun wuchsen in
einer WG auf
Frederik und Gerrit Braun wuchsen in einer WG auf © Miniatur Wunderland Hamburg

Reale Expansionspläne ins Ausland hätten die Brüder aber bislang abgelehnt. „Obwohl es Hunderte von Angeboten gibt, darunter sogar von einem Scheich, der gerne ein Wunderland hätte. Aber wir möchten in Hamburg bleiben, weil wir die Stadt lieben. Und unsere Familien. Wir möchten in Zukunft lieber mehr Zeit mit ihnen verbringen als mehr Geld zu verdienen.“ Das Buch, der Erweiterungsbau – insgesamt sei das eine sehr spannende Zeit, erzählen die Brüder während der Autofahrt vom Nürnberger Flughafen zur Druckerei nach Nördlingen. Dort werden gerade die letzten Exemplare ihrer Biografie zur Auslieferung gebracht.

Entzündung an Hand durch viele Unterschriften

Und die Brauns hatten – mal wieder – eine verrückte Idee, um schon im Vorfeld ordentlich Wirbel um ihr neues „Baby“ zu machen: Auf ihrer Facebook-Seite riefen sie dazu auf, das Buch nicht im Internet zu bestellen, sondern im kleinen Buchladen um die Ecke. Als Dankeschön solle jeder ein handsigniertes Exemplar bekommen. Deswegen fuhren die beiden nun zum zweiten Mal nach Nördlingen, um ihren Unterschriften-Marathon zu bewältigen: Mehrere Tausend Bücher standen am Donnerstag ab fünf Uhr morgens auf dem Programm. „Ich habe tatsächlich eine Entzündung in meiner rechten Hand und bin ziemlich angeschlagen“, sagt Frederik Braun.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Verlag hätten sie realisiert, wie schwer es der Buchhandel heute hat. „Es war schockierend zu sehen, wie bequem wir mittlerweile geworden sind und alles mit einem Klick bestellen“, sagt Frederik Braun. Mit ihrer Aktion wollen die Autoren die Branche unterstützen. „Schließlich möchten wir ja nicht, dass es bald nur noch Internetcafés und Konzerne in der Stadt gibt.“

Sie äußern öffentlich ihre Meinung

Er habe lange Zeit in Winterhude gelebt und in der Buchhandlung am Mühlenkamp eingekauft. „Häufig bin ich mit einem Buch aus dem Laden gegangen, das ich ohne die Empfehlung des Händlers wohl nicht gekauft hätte. Auch diese überraschenden und bereichernden Erfahrungen würden wir nicht machen, wenn es die Buchläden nicht mehr gäbe.“ Seit der Arbeit an dem Buch hätten sich Frederik und Gerrit selbst wieder mehr bemüht, lokal einzukaufen – „ein gutes Gefühl“.

Die Aufmerksamkeit, die das Miniatur Wunderland bekommt, nutzen die beiden gerne, um ihre Meinung kundzutun. Um gegen die mexikofeindliche Politik Donald Trumps zu protestieren, zäunten sie kurzerhand das nachgebaute Las Vegas ein und ernteten dafür nicht nur Lob aus ihrer Fan-Gemeinde. Vor der Bundestagswahl veröffentlichten sie bei Facebook ein Video, in dem sie ihre Mitbürger an ihre demokratische Pflicht erinnerten.

Frederik, der kreative Typ

In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung entwickelten die Brüder die Sonderausstellung „Die geteilte Stadt“, um über die Geschichte der deutschen Teilung und die Wiedervereinigung zu informieren. Nicht immer ist ihre Mission politisch, aber doch häufig an aktuelle Ereignisse angelehnt. So begleiteten die Brauns den letzten Abflug einer Air-Berlin-Maschine durch eine Aktion auf dem Knuffingen Airport in ihrer kleinen Welt.

Während der Lektüre wird die besondere Beziehung der beiden Brüder deutlich: Frederik, der kommunikative, kreative Typ, der schon während der Schulzeit als DJ in der Diskothek Posemuckel auflegte. Und Gerrit, der Tüftler mit dem technischen Verstand. „Wenn wir in einem Raum sind, lachen, streiten und spinnen wir den ganzen Tag herum. 90 Prozent unserer Ideen verwerfen wir dann wieder. Aber aus den restlichen zehn Prozent wird meist was“, sagt Frederik Braun.

Schräge Ideen

Bevor sie das Miniatur Wunderland eröffneten, betrieben die beiden die Discothek Voilà in der Conventstraße. Eigentlich war dieser Club im abgelegenen Hamm schon längst totgesagt. Aber die Brauns hatten ein Faible für „verwegene Locations“ und etablierten die „Devil Mania“-Partys – ausgerechnet am Mittwoch. Niemand glaubte an einen Erfolg – außer die Brauns. Mit Lock-Aktionen und angesagten, internationalen DJs schafften sie es. Um den Andrang vor der Tür zu befrieden, schenkten sie Getränke für die Wartenden aus und unterhielten sie. Wieder eine unkonventionelle Idee, die fruchtete.

An die schrägen Ideen seines Bruders hat sich Gerrit Braun im Laufe seines Lebens gewöhnt. So erinnert er sich natürlich noch allzu gut an einen Anruf vom 13. Juli 2000: „Ich weiß, was wir als Nächstes tun. Wir bauen die größte Modelleisenbahn der Welt.“ Damals war Frederik mit seiner Freundin nach Zürich gereist, um Freunde zu besuchen. Gerrit musste sich zu Hause um die Diskothek kümmern.

Glückliche Familienväter

Beim Schlendern durch die Stadt war Frederik auf das „Modellbahn Center Kägi“ gestoßen. „Das Geschäft erinnerte Frederik auf wundersame Weise an die Läden, an deren Schaufenstern wir uns als Kinder die Nasen platt gedrückt hatten. Die Erinnerung, dass wir einst eine große Anlage bauen wollten, in unseren Reihenhäusern, wenn wir einmal erwachsen sein würden, die war plötzlich wieder da“, schreibt Gerrit Braun im Buch. „Dabei hatte keiner von uns zu diesem Zeitpunkt Kinder, was ansonsten als Auslöser für diesen Flashback erklärbar gewesen wäre. Die Idee traf ihn tatsächlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel.“

Heute, 17 Jahre später, sind beide Brüder glückliche Familienväter. Die naheliegende Vermutung, dass die Kinder den Arbeitsplatz ihrer Väter in- und auswendig kennen, wehrt Frederik Braun ab: „Ich war tatsächlich erst zweimal mit ihnen dort. Im Miniatur Wunderland fällt es mir einfach sehr schwer, privat zu sein.“ Lieber besucht er mit seinen Zwillingen (3) und dem zweijährigen Sohn Baustellen, guckt sich Flugzeuge am Helmut Schmidt Airport oder Züge an Bahnübergängen an. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn in den Kinderzimmern nicht irgendwann eine Modelleisenbahn auftauchen würde. Und wenn’s nur dem Vater zuliebe wäre.