Leipzig. Bundesverwaltungsgericht verhandelt erneut über Hamburgs Pläne. Cuxhaven geht juristisch gegen sie vor. Darf die Stadt das überhaupt?

Es sitzen neue Entscheider hinter dem Richtertisch und neue Kläger davor. Aber das Thema, das sie zusammenführt, ist alt: die Elbvertiefung. Nach elf Jahren Planung und annähernd fünf Jahren Rechtsstreit geht der Mammutprozess um das Baggerprojekt seit Donnerstag vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in eine neue Runde.

Nachdem das höchste deutsche Verwaltungsgericht im Februar bereits über die Klagen der Umweltverbände entschieden und die Stadt Hamburg und den Bund zu Nachbesserungen ihrer Pläne verdonnert hat, stehen nun die Klagen der Gemeinden Cuxhaven und Otterndorf, dreier Jagdverbände und von rund 50 Elbfischern zur mündlichen Verhandlung an.

Hamburger Politprominenz fehlt

Der Saal des 7. Senats ist groß, einige Sitzreihen sind leer, weil die Hamburger Politprominenz anders als bei den bisherigen Verhandlungen fehlt. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) lässt sich durch Staatsrat Rolf Bösinger vertreten. Die Hafenwirtschaft fehlt. Die HHLA hatte beim letzten Mal noch ihren Vorstand geschickt. Jetzt hält sich das Interesse in Grenzen.

Ganz anders sieht es auf der anderen Seite aus. Harald Zahrte, der Bürgermeister der Samtgemeinde Land Hadeln, zu der Otterndorf gehört, ist selbst nach Leipzig gereist, um seine Vorbehalte gegen die Elbvertiefung vorzutragen. Otterndorfs Bürgermeister Thomas Bullwinkel und Cuxhavens Erste Stadträtin Andrea Pospich sind da. Zahlreiche Fischer und ihre Anwälte auch – und alle sind gut vorbereitet.

Ist die Deichsicherheit gefährdet?

Aber sind auch alle wirklich klageberechtigt? „Wir haben da einige Zweifel“, sagt der Vorsitzende Richter ­Andreas Korbmacher und meint damit die beiden klagenden Kommunen. Die Stadt Cuxhaven befürchtet, dass durch die Elbvertiefung die Verschlickung der Wattflächen an ihren Stränden zunimmt und dass Tourismus und Fremdenverkehr darunter leiden. „Dann würde Cuxhaven eine der Haupteinnahmequellen wegbrechen, nämlich der Tourismus“, sagt ein Anwalt der Kläger.

„Aber die Wattflächen gehören nicht der Gemeinde, und sie werden auch nicht durch Einrichtungen der Gemeinde direkt genutzt“, erwidert Richter Korbmacher und schaut den Anwalt stirnrunzelnd an. Ähnlich lauten die Bedenken des Gerichts gegen die Klage Otterndorfs. Dort sorgt man sich, dass durch die Elbvertiefung die Hochwassergefahr wächst und die Deichsicherheit gefährdet ist.

Keine Entscheidung des Gerichts

„Aber die Deichsicherheit liegt nicht im Gemeinderecht. Das ist Aufgabe der Deichverbände, die eigenes Klagerecht haben, aber davon in diesem Verfahren keinen Gebrauch machen“, entgegnet Korbmacher. „Wie gesagt, wir haben unsere Zweifel.“ Eine Entscheidung fällt das Gericht zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

Bei der Aussprache über das Strombaukonzept, das der Elbvertiefung zugrunde liegt, hält sich das Gericht mit einer Wertung zurück. Das Konzept ist der womöglich entscheidende Punkt des Verfahrens. „Das ist ja ein fundamentaler Angriff gegen das Planfeststellungsverfahren“, sagt Korbmacher nach dem Vortrag der Kläger. Sie behaupten, dass das Konzept der Planer nicht funktionieren könne.

Negative Auswirkungen verringern

Sicher ist: Die Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne führt zu einer Zunahme des Tidenhubs und der Strömungsgeschwindigkeit. Um diese negativen Auswirkungen der Baggerarbeiten zu verringern, sollen in der Medemrinne, einem Priel in der Elbmündung, unter der Wasserlinie künstliche Schlickhügel entstehen, die den Flutstrom aus dem Meer dämpfen.

„Das hat noch niemand auf der Welt gemacht. Und warum nicht? Weil es nicht funktioniert“, ruft ein Anwalt der Kläger. Nach deren These ist die Größe einer Flussmündung vom Tidenhub abhängig. Es gebe da ein Gleichgewicht. „Wenn wir durch die Unterwasserbauwerke den Mündungsquerschnitt verringern, wird der Tidenhub für erhebliche Erosionen sorgen, damit der alte Flussquerschnitt wiederhergestellt wird“, sagt der Sachverständige der Kläger.

Andreas Korbmacher, der neue Richter
im Verfahren um die Elbvertiefung
beim Bundesverwaltungsgericht
Andreas Korbmacher, der neue Richter im Verfahren um die Elbvertiefung beim Bundesverwaltungsgericht © dpa

Hamburg und der Bund sehen das völlig anders. „Es gibt kein Gleichgewicht, weil wir ständig baggern“, sagt der Planungschef des Bundes, Jörg Osterwald. „Wir stellen durch die Unterwasserbauwerke das Gleichgewicht erst her.“ Es folgt eine ausführliche Fachdebatte: Die Kläger zweifeln insbesondere das Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) an. Nach dessen Berechnungen wird durch die künstlichen Schlickhügel in der Medemrinne der Tidenhub abgesenkt. „Wir wollen die Erfahrung der BAW nicht infrage stellen, aber manchmal machen Menschen Fehler“, sagt ein Anwalt. Das passiere sogar Anwälten und Richtern. „Aber sehr selten“, sagt Korbmacher.

Waidmänner sorgen sich um Jagdgründe

Um 17.30 Uhr ruft er die Klagen der Jagdverbände auf. Sie gelten als Umweltverbände und haben von allen Klägern in diesem Verfahren die umfangreichsten Klagerechte, erklärt Korbmacher. Die Waidmänner stört, dass sie Jagdgründe an einem Außendeich bei Freiburg am niedersächsischen Stromufer verlieren sollen. Dort will der Bund Naturausgleichsflächen für die Elbvertiefung ausweisen. Es geht um den Lebensraum von Beutegreifern, es geht um Füchse und Marderhunde. Aber auch hier gilt: Die Richter hören zu, entschieden wird später. Das Verfahren wird heute fortgesetzt.