Hamburg. Kritiker fürchten, dass Kunden für die Umstellung zahlen müssen – und fordern den Anschluss des Kraftwerks Moorburg.

Nach der Vorstellung des neuen Fernwärmekonzepts durch Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) wächst die Angst vor massiven Preiserhöhungen für Hunderttausende Wärmekunden. „Kerstans Wärmekonzept wird das Wohnen für Hunderttausende Hamburger dramatisch verteuern“, sagte CDU-Energiepolitiker Stephan Gamm. „Sollte es so umgesetzt werden, hätte es mittelfristig für mehr als 250.000 Haushalte, die an das Fernwärmenetz von Vattenfall angeschlossen sind, erhebliche Preissteigerungen zur Folge.“

Hintergrund: Nach dem erfolgreichen Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze übernimmt Hamburg 2019 auch das Fernwärmenetz und die Kohlekraftwerke Tiefstack und Wedel von Vattenfall. Umweltsenator Kerstan hatte vor knapp zwei Wochen sein Konzept vorgestellt, wie die Fernwärme bis 2025 ohne Kohleverfeuerung aus Wedel und Tiefstack auskommen soll. Dazu sollen vor allem industrielle Abwärme und Müllverbrennung genutzt werden. Nötig ist der Bau einer Leitung unter der Elbe, da die meisten Erzeugungsanlagen südlich der Elbe liegen. Kerstan hatte von moderaten Preissteigerungen für die Wärmekunden gesprochen. „Mehr als zehn Prozent kann ich mir nicht vorstellen“, so der Senator.

Massive Kostensteigerungen

„Diese Aussage ist unseriös, zumal der Senat diese mit keiner einzigen Zahl belegt“, sagt nun CDU-Politiker Gamm. „Wie teuer der Umbau der Fernwärme tatsächlich werden kann, zeigt ein Blick nach Kiel. Dort ist es zu Preissteigerungen von mehr als 30 Prozent gekommen. Für einen durchschnittlichen Hamburger Haushalt mit 70 Quadratmetern und etwa 1000 Euro Wärmekosten pro Jahr wären das bis zu 300 Euro mehr.“ Es sei zudem „ökologisch und wirtschaftlich unsinnig, die im Kraftwerk Moorburg entstehende Wärme ungenutzt zu lassen“, so Gamm. Gerade die von Kerstan gewählte sogenannte Süd-Variante biete die Chance, „mit geringem Aufwand die ohnehin vorhandene Wärme zu nutzen und damit einen wichtigen Beitrag für langfristig stabile Preise zu leisten“.

Der CDU-Wirtschaftsrat forderte von Umweltsenator Kerstan eine „fundierte Auskunft“, auf welche Kostensteigerungen sich die Fernwärmekunden einstellen müssten. FDP-Fraktionschef Michael Kruse lobte, dass Kerstan „sich endlich zu einer Lösung für die Zukunft des Fernwärmenetzes durchringen konnte“. Allerdings könnte die Fernwärmetrasse unter der Elbe weiter sein, „wenn die Grünen diese nicht blockiert hätten“, so Kruse. „Die massiven Kostensteigerungen sind ein harter Schlag für die Fernwärmekunden. Sie müssen teuer dafür bezahlen, dass der Scholz-Senat konsequent Entscheidungen verschoben hat, wodurch etwa die Verlängerung des Kraftwerks Wedel notwendig wurde.“

Die Verbraucherzentrale Hamburg, die als Mitglied der Volksinitiative den Rückkauf der Energienetze mit durchgesetzt hatte, warnt nun vor Preiserhöhungen – und droht Kerstan sogar indirekt mit Klagen. „Es wird für den künftigen kommunalen Fernwärmeanbieter schwierig sein, Preiserhöhungen durchzusetzen, da die Kunden mit bestehenden Verträgen übernommen werden“, sagte Verbraucherzen­tralen-Vorstand Michael Knobloch dem Abendblatt. „Aus unserer Sicht werden einseitige Anpassungen der Preisanpassungsklauseln durch den übernehmenden Fernwärmeanbieter nicht möglich sein. Hier prozessieren wir in einem parallel gearteten Fall aktuell gegen HanseWerk Natur wegen Unterlassung der einseitigen Abänderung der Preisänderungsklausel. Wir halten die Klage für aussichtsreich.“

Der Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Manfred Braasch, lobte zwar das Kerstan-Konzept, warnte aber vor einem späteren Anschluss des nahe an der neuen Leitung gelegenen Kohlekraftwerks Moorburg an das Fernwärmenetz. „Dies muss dauerhaft ausgeschlossen werden“, sagte Braasch. „Wir brauchen in Deutschland bis spätestens 2030 einen kompletten Ausstieg aus der Kohle. Da wäre es geradezu widersinnig, wichtige Versorgungsstrukturen vom Kohlekraftwerk Moorburg abhängig zu machen.“

Rest des Bedarfs soll mit Gas gedeckt werden

SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal wies darauf hin, dass Hamburg es mit dem neuen Wärmekonzept bis 2030 schaffen könne, seine CO2-Belastung um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. „Während für die Wärmeproduktion gegenwärtig nur 14 Prozent erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, werden es in dem Hamburger Konzept etwa knapp 50 Prozent sein. Der Rest des Bedarfs soll mit Gas gedeckt werden. Der Einsatz von Energiequellen bei der Wärmeproduktion, die ohnehin vorhanden sind, ist wegweisend.“ Grünen-Umweltpolitikerin Ulrike Sparr betonte, dass man mit dem Konzept das Klimaziel im Bereich Fernwärme früher als geplant erreichen und damit auch einen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen leisten könne.

Umweltbehördensprecher Jan Dube sagte mit Blick auf die Ängste vor Preissteigerungen, es habe „auch in der Vergangenheit bei der Fernwärme Preisanpassungen gegeben“. Für die künftige Wärmeversorgung sollten diese sich „im Rahmen der Schwankungen vergangener Jahre bewegen“. Genaue Zahlen ließen sich noch nicht nennen, da bisher nicht alle Details des Konzepts feststehen und auch Marktbedingungen sich ändern könnten. „Die beispielhaft genannte Zahl von bis zu zehn Prozent liegt eher am oberen Ende des erwartbaren Korridors und bezieht sich auf die Basis des heutigen Preises.“

Die Forderung nach Anbindung des Kraftwerks Moorburg wies der Behördensprecher zurück. „Wenn wir uns in der Wärme jahrzehntelang komplett an ein Kohlekraftwerk binden, würde das den Ausbau der erneuerbaren Energien hart ausbremsen“, so Dube. „Unsere Klimaziele könnten wir dann schon heute über Bord werfen.“