Wilhelsmburg. Jens Kerstan stellt lediglich Eckpunkte vor. Müllverbrennung und Industrie sollen liefern. Entscheidung aber erneut verschoben

Die Entscheidung darüber, wie Hamburg künftig mit Fernwärme versorgt werden soll, verzögert sich erneut um ein weiteres Jahr. Anders als bisher vorgesehen, hat der Aufsichtsrat der Wärmegesellschaft zu Wochenbeginn nicht konkret festgelegt, auf welche Weise das Kohlekraftwerk Wedel ersetzt werden soll, das bisher rund 150.000 Hamburger Wohneinheiten mit Wärme versorgt – aber laut Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) möglichst Ende 2021 vom Netz gehen soll.

Statt sich festzulegen, habe der Aufsichtsrat lediglich 6 Millionen Euro als Planungsmittel freigegeben, um mögliche Szenarien zu prüfen, sagte Kerstan am Dienstag. Eine abschließende Entscheidung werde im dritten oder vierten Quartal 2017 fallen. Grund für die weitere Verschiebung sei die komplizierte Markt- und Gesetzeslage. Es sei besser, sorgfältig zu prüfen, als schnell zu entscheiden. Bisher hatte die Umweltbehörde stets angekündigt, noch 2016 eine Entscheidung vorzustellen.

Klar sei, dass für Wedel als Ersatz voraussichtlich kein großes Gas-und-Dampf-Kraftwerk gebaut werde, so Kerstan. Diese Lösung behalte man lediglich als „Plan B“ in der Schublade, man wolle sie aber nicht weiter verfolgen. Es gibt zwei mögliche Szenarien für den Ersatz von Wedel: ein „Szenario Nord“ und ein „Szenario Süd“ mit einer Wärmeleitung unter der Elbe, das Kerstan vorziehen würde, weil es laut Planung einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien garantieren würde.

Die Wärme im Süd-Szenario kommt vor allem aus der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm – außerdem aus einer „noch zu bauenden Abwasser-Wärmepumpe (Dradenau)“ und aus industrieller Abwärme. Nötig wäre eine Wärmeleitung unter der Elbe, „an die zukünftig weitere industrielle Abwärmequellen (Trimet und Arcelor) und Quellen als erneuerbarer Energie angeschlossen werden“ können.

„Wir sehen großes Potenzial in Hamburg, steigen jetzt in die konkreten Planungen im Norden und im Süden der Stadt ein und planen, wie das Leitungsnetz dafür ergänzt werden soll“, so Kerstan. „Wir haben uns mit Vattenfall darauf verständigt, diese Planungen zu intensivieren. Die Stadtreinigung Hamburg und Hamburg Wasser sind beauftragt, unter anderem die Möglichkeiten aus der Müllverwertung für die Wärme auszuschöpfen und Wärmepumpen am Klärwerk Dradenau auf konkrete Umsetzung zu prüfen.“

Zudem könne ein moderner Grundwasserspeicher „Hamburg eine bislang einzigartige Möglichkeit zur Speicherung von Wärme verschaffen“, so der Senator. „Auch industrielle Abwärme von Aurubis, Arcelor und Trimet soll ins Wärmenetz eingebunden werden. Das Kraftwerk Moorburg spielt in unseren Szenarien keine Rolle und war auch kein Gegenstand von Diskussionen oder Beschlüssen im Aufsichtsrat.“ Weil die Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm eine tragende Rolle spielt, will die Stadt diese vollständig von Vattenfall erwerben. Bisher gehört sie laut Umweltbehörde zu 55 Prozent Vattenfall und zu 45 Prozent der Stadt.

In beiden Szenarien soll eine laut Kerstan bisher in diesem Umfang noch nie genutzte Technik zur Wärmespeicherung zum Einsatz kommen: der Aquifer-Speicher. Dabei soll unterirdisches Wasser Wärme über viele Monate speichern können. Dieser Grundwasserspeicher soll im Sommer nicht benötigte Abwärme bis zu den kalten Wintermonaten speichern können.

Opposition kritisiert erneute Vertagung der Entscheidung

„Wir werden neue Wege gehen und Dinge tun, die in der Welt noch nicht getan wurden“, sagte Kerstan. Das Konzept sei daher noch nicht fertig. „Wir stehen vor einer Riesenherausforderung.“ Wichtig sei, dass Energie bezahlbar bleibe, so Kerstan. „Wir werden keinen Klimaschutz um jeden Preis betreiben, keinen Klimaschutz, den die Mieter der Saga teuer bezahlen müssen.“

Die Opposition reagierte am Dienstag mit scharfer Kritik. „Jens Kerstan bringt es fertig, alle Hamburger zu verschaukeln“, sagte FDP-Wirtschaftspolitiker Michael Kruse. „Die Wärmewende ist nichts als eine Summe von Prüfaufträgen.“ Es drohe eine Versorgungslücke, „die notfalls mit Gasturbinen geschlossen werden soll“, so Kruse. „Das ist eine Farce. Es ist peinlich, was hier als Durchbruch verkauft wird. Die Nichtnutzung des Kraftwerks Moorburg für die zukünftige Wärmeversorgung der Stadt Hamburg ist die größte Ressourcenverschwendung, die je ein Umweltsenator dieser Stadt zu verantworten hatte.“

CDU-Energiepolitiker Stephan Gamm sagte: „Obwohl Rot-Grün eine Lösung zum Ersatz der alten Kohledreckschleuder in Wedel schon für 2015 versprochen hatte, ist diese immer noch nicht absehbar.“ Dass nun erst Ende 2017 entschieden werde, sei „ein Bruch der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag“. Inzwischen sei „rund eine Million Euro für energiewirtschaftliche Gutachten von der Umweltbehörde ausgegeben“ worden, „ohne dass dabei ein Ergebnis gefunden wurde“. Es werde „immer deutlicher, dass Umweltsenator Kerstan mit der Sicherung der Wärmeversorgung überfordert ist.“

Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch misstraut derweil der Absage Kerstans an eine Nutzung des Kraftwerks Moorburg. „Moorburg ist mehr denn je im Spiel, der Herr Senator mag nur nicht zu den Konsequenzen seiner Planung stehen“, sagte Jersch, „Das Kohleheizkraftwerk ist Teil der Vorplanungen für eine Wärmetrasse durch die Elbe, die Vattenfall den Weg nach Hamburgs Westen öffnet. Vattenfall kann sich freuen.“

Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) warnte vor einem Anschluss des Kraftwerks Moorburg, bezeichnete das vorgelegte Konzept aber als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“.