Hamburg. Die Bäumchen mit dem eigentlichen Namen Bitterorangen sind mein Traum fürs Frühjahr. Aber sie brauchen auch einen Raum zum Überwintern.

Meine Frau Anke und ich sind nur durchschnittlich glücklich. Das haben wir schwarz auf weiß. Festgestellt hat das ein gewisser Professor Raffelhüschen. Ein Finanzwissenschaftler. Der muss es ja wissen. Er gibt den Glücksatlas der Deutschen Post heraus – und darin steht das Wendland, wo unser kleiner Mühlenpark liegt, nur im Mittelfeld. Weil es zum Befragungsraum „Niedersachsen/Hannover“ gehört. Weit hinter Schleswig-Holstein und Hamburg, die regelmäßig die Spitzenplätze belegen.

Also, uns hat der Mann nicht befragt. Wir sind nämlich glücklich. Mit­einander – auch wenn wir nicht zu den Menschen zählen, die dauernd Luftsprünge machen vor lauter Glück. Ich wär schon zufriedener, wenn die Post jeden Tag käme – und nicht bloß alle paar Tage. Oder der Paketbote wirklich klingelt und nicht gleich den Abholschein in den Briefkasten steckt. Vielleicht sollte die Post einfach mehr Briefträger einstellen – was auch die Seelenlage ihrer Kunden nachhaltig verbessern könnte.

Im November beginnt auch die Zeit des Träumens

Und sonst? Grau in Grau wie mancher Novembertag? Stundenlang Laub harken setzt nicht gerade Glückshormone in Massen frei. Manche finden das ja nachgerade meditativ. Ich finde es schon anstrengend – bei den vielen Eichen in unserem Mühlenpark. Das Alter. Der Rücken. Ein Laubbläser? Kommt trotzdem nicht in die Tüte. Zerstört Bodenflora und tötet Insekten. Also: Watt mutt, dat mutt. Wie zum Beispiel das Zusammenbinden von hohen Gräsern oder Chinaschilf (Miscanthus), um sie vor Kälte und Nässe zu schützen.

Karl Günther Barth
Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

Und dann gibt es ja noch echte Stimmungsaufheller. Man spricht von Reif, wenn etwa in kalten Nächten unter null kleine Tautröpfchen aus der Luftfeuchtigkeit gefrieren und zum Beispiel Gräser und Gehölze mit einer feinen weißen Schicht überziehen. Etwa die letzten Blüten von Rosen, die bis zum ersten Frost noch nachschieben wie meine Lieblings-Strauchrose, die wegen ihrer weißen Blüten schon den Namen Schneewittchen trägt. Die spitzen Kristalle des Raureifs bilden sich erst bei Temperaturen unter minus acht Grad, hoher Luftfeuchtigkeit und schwachem Wind. Nur so bilden sich die wunderschönen Kristalle an Zweigen, Gräsern oder Blättern. Eine Sonderform des Raureifs sind die Eisblumen, die sich auf schlecht isolierten kalten Fensterscheiben durch die Luftfeuchtigkeit im Zimmer bilden. Aber Eisblumen sind vom Aussterben bedroht – weil es so schlecht isolierte Fenster immer weniger gibt.

Im November beginnt für den Gärtner auch die Zeit des Träumens. Was pflanze ich im nächsten Frühjahr? Mir geht die Pomeranze nicht mehr aus dem Kopf, seit ich mich auf Bitten der Redaktion zum Reformationstag mit Katharina von Bora (1499–1552) beschäftigt habe. Luthers Frau war eine begnadete Gärtnerin. Die Mutter des Pfarrgartens hatte dort auch Bitterorangen, die auch Pomeranzen hießen. Angeblich liebte der Gatte die Früchte, die im Frühjahr reif wurden. Dabei sind die ziemlich sauer. Vielleicht wollte der Reformator auch nur ein wenig Adel-Style in seinen Wittenberger Klostergarten holen. Bitterorangen galten in fürstlichen Parks als Symbole der Macht. Exotisch und teuer.

Bitterorange braucht Temperaturen von nicht unter fünf Grad

Die Pomeranze, eine Kreuzung aus Pampelmuse und Mandarine, kam im elften Jahrhundert aus China nach Spanien, das damals von den islamischen Mauren teilweise besetzt war. Über die Gärten des Zisterzienser-Ordens gelangte sie über Frankreich auch nach Deutschland. Der Orden kannte schon im zwölften Jahrhundert Kalthäuser für die Überwinterung frostempfindlicher Pflanzen. Luthers Frau, eine Ex-Nonne, kannte wohl diese Technik, aus der sich später die prachtvollen Orangerien der Fürstenhöfe entwickelten.

Die Bitterorange braucht einen Raum, in dem von November bis etwa Mitte April die Temperatur nicht unter etwa fünf Grad fällt. Ein beheiztes Treppenhaus mit ausreichend Licht tut’s auch. Man sollte sich schon im guten Fachhandel über die beste, etwas komplizierte Pflege informieren. Die echte Pomeranze, die von Luther, hat den botanischen Namen Citrus x aurantium und ist immergrün. Handelsüblicher – und pflegeleichter – ist eine Verwandte. Citrus trifoliata ist in milden Weinbaugebieten sogar bei uns winterfest. Dafür wirft sie im Herbst ihre Blätter ab.

Falls ich tatsächlich zwei schöne Hochstämmchen für jeweils etwas unter 100 Euro vor den Eingang zur Mühlenküche setze, sollen sie in einem Jahr in unserer Remise überwintern. Die hat, neben der Garage, zwei Räume mit Fenster. Als ich Anke von meinen Pomeranzen-Plänen erzählte, guckte sie etwas skeptisch. Als ich hinzufügte, ich würde die Remise dafür aufräumen, seufzte sie, zustimmend: „Endlich, na gut.“

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth