Hamburg. Die Konkurrenten der Finanzkonzerne: Knapp 70 Hamburger Start-ups mischen die Branche mit Innovationen auf. Treffen in Hamburg.
Eine private Haftpflichtversicherung wie eine Flatrate – das soll vor allem bei jungen Leuten ankommen. Für einen Jahresbeitrag von 72 Euro sind bei dem jungen Hamburger Start-up Haftpflicht Helden alle Haftpflichtschäden abgesichert. Sie entstehen, wenn jemand einem anderen einen Schaden zufügt, sei es als Besucher, Mieter oder Fußgänger. Verbraucherschützer halten die Privathaftpflicht für eine der wichtigsten Policen, weil sonst im Schadenfall der finanzielle Ruin droht. Für die versprochene Leistung steht die seit dem Jahr 1818 bestehende NV-Versicherung ein.
Beratungsfreie Versicherung
„Wir wollten ein eigenständiges Produkt entwickeln, das weitgehend beratungsfrei ist und auch nicht immer an neue Lebenssituationen angepasst werden muss, denn das macht mit seinen Versicherungen kaum einer in der Praxis“, sagt Stefan Herbst, einer der drei Gründer der Haftplicht Helden. So werden die Tarife nicht nach Singles und Familien unterschieden und Neuerungen automatisch in den Vertrag ohne Mehrkosten übernommen.
Die Firma mit nur acht Mitarbeitern ist erst seit Sommer 2017 aktiv am Markt. „Seitdem haben wir schon einige Tausend Policen über das Internet verkauft“, sagt Mitgründer Florian Knörrich. „Wir unterscheiden uns von Wettbewerbern, indem wirklich alles mit einer Deckungssumme von 50 Millionen Euro abgesichert ist und es die in der Branche übliche Begrenzung einer Reihe von Schäden auf vier- oder fünfstellige Beträge nicht gibt“, sagt Herbst.
Haftpflicht Helden ist eines von 67 sogenannten Fintechs in Hamburg, die den Versicherungen und Banken Konkurrenz machen. Fintechs werden diese jungen Firmen genannt, weil sie traditionelle Bank- oder Versicherungsdienstleistungen mit moderner Technik verknüpfen. Versicherungen abschließen, Geld überweisen, Kapital anlegen: Für immer mehr dieser Dienstleistungen finden diese Anbieter einen neuen, für Verbraucher bequemen Ansatz.
Seit 2016 sind in Hamburg 14 Fintechs hinzugekommen
Während sich bisher Geldinstitute auf neue Konkurrenz einstellen mussten, geraten jetzt auch die traditionellen Versicherer ins Visier der neuen Anbieter. So entstehen neue Firmen, die nur eine bestimmte Versicherungssparte anbieten, etwa Berufsunfähigkeitsversicherungen oder nur Kfz-Policen. Meist reicht ein Smartphone oder Tablet, um die Angebote nutzen zu können. „Unser Produkt ist komplett digital – vom Antrag über die Police bis zu eventuellen Schadenmeldungen“, sagt Herbst. „Der Kunde leistet seine Unterschrift auf dem Versicherungsantrag mit dem Finger auf Tablet oder Smartphone. Fotos von Schäden können hochgeladen werden.“ Der Abschluss dauert nicht länger als drei Minuten.
In dieser Woche versammeln sich die Hamburger Fintechs zu einem Branchentreffen in der Hansestadt. Innerhalb eines Jahres sind noch einmal 14 Unternehmen hinzugekommen. Bei Vorträgen und Veranstaltungen treffen bis zum Freitag rund 2000 Akteure aus der Fintech- und Bankenbranche bei 24 Veranstaltungen aufeinander.
Hamburg steht zwar unter den deutschen Fintech-Standorten, gemessen an der Anzahl der Unternehmen, erst auf dem vierten Platz, wie aus einer neuen Studie von Comdirect hervorgeht. Aber seit 2016 haben die 67 Hamburger Fintechs 213 Millionen Euro an Wagniskapital eingesammelt. „Damit steht Hamburg beim Investitionsvolumen auf dem zweiten Platz hinter Berlin“, sagt Arno Walter, Vorstandschef der Comdirect.
Gefahr für die Banken
Eines der größten Fintechs in Hamburg mit mehr als 50 Mitarbeitern ist Figo. Unternehmensgründer und Geschäftsführer André Bajorat wünscht sich mehr Unterstützung von Hamburg bei der Beschäftigung von ausländischen Mitarbeitern, denn rund ein Dutzend Stellen sind unbesetzt. Zu den Kunden von Figo gehören Geldinstitute wie Deutsche Bank oder Consors. „Wir entwickeln zwar nicht die Apps, die für einen schnellen Kontowechsel oder über den Kontostand des Girokontos informieren, aber wir sind ein Dienstleister, der es verschiedenen Anbietern ermöglicht, Kontodaten auszulesen und zu analysieren, wenn der Kunde es wünscht“, sagt Bajorat.
So gibt es Apps, auf denen der Kunde die Guthaben verschiedener Konten bei unterschiedlichen Geldinstituten mit einem Klick abrufen kann. Andere Apps durchforsten alle regelmäßigen Buchungen und analysieren daraus ein Sparpotenzial. Der Nutzer bekommt dann Tipps, den Stromversorger oder die Hausratversicherung zu wechseln. Eine gefährliche Entwicklung für die Banken. „Sie können zunehmend den Kontakt zum Kunden verlieren“, sagt Bajorat. Der Kunde bestimme, wie und wo er seine Bankdaten nutzen möchte. Und die Banken müssen sie anderen Anbietern zur Verfügung stellen. Dazu zwingt die Geldinstitute im kommenden Jahr eine neue Richtlinie der EU.
Hartmut Giesen hat längst erkannt, was auf die Geldinstitute zukommt. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Anbieter wie Amazon oder Apple auch Bankdienstleistungen anbieten“, sagt er. Der Experte für Fintechs bei der Hamburger Sutor Bank sieht die neuen Anbieter nicht als Konkurrenten. „Wir arbeiten gegenwärtig mit zehn Fintechs zusammen, denn als Zahlungsdienstleister verfügen wir über eine Infrastruktur, die diese Start-ups nicht haben“, sagt Giesen.
Auch die Haspa arbeitet mit Finanz-Start-ups zusammen
Für bestimmte Dienstleistungen wie die Kontoeröffnung oder das Einlagen- und Kreditgeschäft ist eine Banklizenz erforderlich, die die Firmen nicht einfach bekommen. So vermittelt das Hamburger Unternehmen Deposit Solutions Zinsanlagen bei ausländischen Banken, das Konto für die Abwicklung haben die Kunden aber bei der Sutor Bank. „Durch Kooperationen können wir Kundengruppen erschließen, die bisher für uns unerreichbar waren“, sagt Giesen.
Die Haspa plant mit Investify eine computergestützte Vermögensverwaltung auch für kleinere Beträge ab 5000 Euro. Solche Computerprogramme mit künstlicher Intelligenz unterbreiten dem Anleger nach verschiedenen Kriterien Vorschläge für Investments. Die Besonderheit bei Investify ist, dass auch in spezielle Themenfelder wie zum Beispiel von Gründern geführte Firmen, nachhaltige Anlagen oder auch Gold investiert werden kann.
Zusammenarbeit mit der Haspa
„Fintechs entwickeln spannende Lösungen für unsere Kunden, die wir als Haspa gut mit unseren eigenen Kompetenzen verbinden können“, sagt Tobias Lücke, Leiter Digitaler Vertrieb der Haspa. Mit anderen Fintechs hat die Sparkasse bereits einen digitalen Kontowechselservice und die Fotoüberweisung entwickelt. Das Abfotografieren einer Rechnung erspart das Ausfüllen einer Überweisung.
Mehr als 15 Prozent der Haushalte in Deutschland haben noch keine Haftpflichtversicherung, bei den unter 25-Jährigen sind es sogar 38 Prozent. Daher sehen die Gründer der Firma Haftpflicht Helden für ihr Produkt einen großen Markt. Viele Verbraucher hätten keine Lust, sich durch Vergleiche und Versicherungsbedingungen mit vielen Ausnahmen zu quälen. Als Nächstes ist eine Haftpflicht für Hunde- und Pferdehalter geplant.
Vor Versicherungsbetrügern sind zwar auch die Haftpflicht Helden nicht gefeit. Doch auch hier helfe die digitale Technik, sagt der dritte der Firmengründer, Jan Schmidt: „Wenn die Fotos vom angeblichen Schaden noch vor dem Datum des Versicherungsantrags entstanden sind, ist der Fall klar.“