Hamburg. Das neue bundesweite Modellprojekt “Begabungspiloten“ soll helfen, hochbegabte und leistungsstarke Schüler besser zu erkennen.

Nennen wir ihn Paul: Die große Stärke des Achtklässlers ist Physik. Paul ist so weit im Lernstoff, dass er den Physikkurs der elften Klasse besuchen kann. Während er bei den „Großen“ lernt, versäumt er den zeitgleichen Englischkurs seiner achten Klasse. Den Stoff holt Paul allein nach, wenn seine Mitschüler den „normalen“ Physikunterricht haben.

Das klingt vielleicht kompliziert, ist aber ein typisches Beispiel für die Förderung von hochbegabten und leistungsstarken Schülern an der Stadt­teilschule Kirchwerder. „Wir müssen Inklusion auch nach oben denken“, sagt Lehrer Jörg Mexner. Soll heißen: Auch die leistungsstarken Schüler sollen mit ihren Bedürfnissen in den Unterricht einbezogen werden. An der Stadtteilschule werden im Rahmen des Begabtenförderungskonzepts des Senats seit 2015 Programme für die Leistungsspitze entwickelt, an denen mittlerweile 120 der 1050 Schüler teilnehmen. Die Schule im Südosten ist jetzt eine von zwölf Hamburger Schulen, an denen hochbegabte und leistungsstarke Kinder in Zukunft noch besser erkannt und gezielter gefördert werden sollen.

Zwei Prozent aller Schüler gelten als hochbegabt

Am getrigen Mittwoch startete das bundesweite, von Hamburg initiierte Modellprojekt „Begabungspiloten“, das auf zehn Jahre angelegt ist. Die Schulen sollen ein Förderkonzept entwickeln, ihr Beratungsangebot verbessern, den Unterricht verändern, um den Bedürfnissen der Leistungsstarken gerechter zu werden, und zusätzliche Angebote außerhalb des Unterrichts schaffen.

Zwei Prozent aller Schüler gelten als hochbegabt, etwa 15 Prozent als leistungsstark. „Leistungsstarke und Hochbegabte langweilen sich oft im Unterricht, sind unterfordert. Manchmal werden sie zum Klassenkasper oder Außenseiter, weil die Schule ihr besonderes Potenzial nicht erkennt“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Das Bundesbildungsministerium finanziert die wissenschaftliche Begleitung des Bund-Länder-Projekts mit 62,5 Millionen Euro. Hamburg gibt für zusätzliche Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer und zusätzliche Lehrerstunden 1,5 Millionen Euro bis 2022 aus. „Die zwölf Schulen sind die Speerspitze für eine bessere Begabtenförderung“, so Rabe. „Nach fünf Jahren sollen die von den Standorten entwickelten Angebote auf alle Schulen übertragen werden.“

Zwölf Hamburger Schulen haben sich durchgesetzt

„Jahrelang hat sich der Senat auf die Förderung schwächerer Schüler fokussiert und versäumt, auch die leistungsstärkeren zu fördern“, sagt CDU-Bildungspolitikerin Birgit Stöver, die den Modellversuch begrüßt, „denn jeder Schüler verdient die Möglichkeit zur optimalen Entfaltung seiner Potenziale“. Für Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) wirft Rabe „erneut mit Wort­hülsen um sich und etabliert Begabungspiloten ohne Aufträge“. Die FDP-Politikerin fordert Schwerpunktschulen für Hochbegabte. Sabine Boeddinghaus (Linke) weist darauf hin, dass auch „alle anderen Schüler das Anrecht auf bestmögliche Unterstützung haben“.

Diese zwölf Schulen haben sich in einem Auswahlverfahren mit 41 Teilnehmern durchgesetzt: die Grundschulen Lemsahl-Mellingstedt, Am Sooren (Rahlstedt), Gorch Fock (Blankenese), In der alten Forst (Eißendorf), Am Kiefernberg (Heimfeld) und Ratsmühlendamm (Fuhlsbüttel), die Stadtteilschulen Kirchwerder, Poppenbüttel und Blankenese sowie die Gymnasien Heinrich Heine (Poppenbüttel), Meiendorf, Friedrich Ebert (Heimfeld).