Hamburg. Vier Minitiger machen bei Hagenbeck Stress. Beim ersten Treffen von Raubkatzenvater und seinen Jungen wollte der Kater nur noch weg.
Werktätige Familienväter kennen das: Man kommt nach einem harten Tag nach Hause und will eigentlich nur seine Ruhe, da hat man schon die Kinder am Hals. Hände in den Haaren, Füße im Gesicht, Speichel am Ärmel, Papa hier, Papa da – und noch nicht mal die Jacke aus. Warum sollte es Tigervätern anders gehen?
Yasha, Hagenbecks Tigerkater, naturgemäß Einzelgänger und neuerdings Vierfachvater, erfuhr am Donnerstag im Tierpark, was es bedeutet, von seinen Kindern in Beschlag genommen zu werden. Bei der ersten Familienzusammenführung seit der Geburt des Sibirischen Tigernachwuchses vor fast fünf Monaten begegnete die mit zwei Jahren recht unerfahrene Großkatze zum ersten Mal seinen Kleinen. Erste Reaktion: ein ausgeprägter Fluchtimpuls.
Keine Berührungsängste der Tigerbabys
Ohne Umschweife stürmten die vier gar nicht mehr so kleinen Minitiger ihren Berg von Erzeuger. Der hatte gerade dösig sein Revier mit Duftmarken abstecken wollen, als ihn die erste Tatze von hinten erwischte. Huch, vor Entsetzen tunkte der Alte glatt den Schwanz in den Wassergraben. Nass geworden auch noch. Als Tatze zwei, drei und vier nicht lange auf sich warten ließen, musste etwas passieren. Und zwar eine wilde Hatz durch die 600 Quadratmeter große Außenanlage. Rette sich, wer kann!
„Dafür, dass es seine ersten Kinder sind, macht er es super“, resümierte Tierpark-Arzt Michael Flügger am Rand der Anlage. An der Tatsache, dass selbst der erfahrene Veterinär etliche Handyfotos schoss, konnte man ablesen, dass die Begegnung der Tigergroßfamilie auch bei Hagenbeck nicht alltäglich ist.
Risiko für Übergriffe des Katers gering
Der erste Nachwuchs nach 15 Jahren im Tierpark hatte die Verantwortlichen mittelschwer überrascht. Weibchen Marushka mit fünf Jahren und Männchen Yasha mit zwei Jahren schienen eigentlich zu jung für einen schnellen Zuchterfolg. Und dann gleich ein Viererwurf.
Obwohl Tiger in der Wildbahn Einzelgänger sind, schätzten Tierarzt Flügger und Tierpfleger Tobias Taraba das Risiko eines Übergriffs vom Vater auf den Nachwuchs gering ein. Flügger: „In der Natur kümmert sich das Männchen nicht um seinen Nachwuchs, er schaut in seinem Revier nur ab und an in den überlappenden Weibchenrevieren vorbei.“ Aber, so Flügger: „Es gibt keinen Grund, warum er seinen Kindern hier etwas antun sollte.“
Gleichwohl müsse sich der unerfahrene Kater erst an den intensiven Kontakt mit seinen Kindern gewöhnen. Laut Tierpfleger Tobias Taraba besitze der junge Tigervater aber ein ausgeglichenes Gemüt: „Sieht man ja auch, er ist ein liebevoller Vater.“
Tigerjunge kriegen zwölf Kilogramm Fleisch am Tag
Tatsächlich kehrte nach einer halben Stunde, in der so ziemlich alle vier Tigerjungen – namentlich Anushka, Dascha, Mischka und Vitali – mal auf den Rücken des Alten geklettert waren, Ruhe ein. Der Rest der Familienzusammenführung war ein orange-weiß-schwarz-gestreiftes Knäuel aus Eltern- und Jungtieren.
Während Weibchen Maruschka zuvor langsam in die Mutterrolle wachsen konnte, bestand für den Kater verhaltensbiologisch die Herausforderung, umgehend und ohne Testphase Spielkamerad zu sein. Eine Rolle, die er trotz vorangegangener zarter Kontakte am Schmusegitter erst annehmen muss. Deshalb wurde der Nachwuchs nach dem ersten Abtasten auch hin und wieder in seine Schranken gewiesen. Übersetzt in Tigersprache: Brüll! Fauch! Krallenhieb!
Erster Tigernachwuchs nach 15 Jahren
Inzwischen sind die Jungen für väterliche Standpauken aber robust genug, werden nicht mehr gesäugt. Stattdessen bekommen sie und ihre Mutter täglich zwölf Kilogramm Fleisch. Außer sonntags“, sagt Tierpfleger Taraba. „Da ist Hungertag.“
In freier Wildbahn gibt es nur noch 450 Amurtiger, wie Sibirische Tiger auch genannt werden. Die größte Raubkatze der Erde gilt als vom Aussterben bedrohte Art. In Europas Zoos leben zusätzlich etwa 260 Exemplare, der verfügbare Genpool im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm EEP ist demnach begrenzt.
Zuletzt waren in Hamburg im Jahr 2002 Tigerjunge zur Welt gekommen, ein Wurf im Jahr 2015 starb nach der Geburt. Die vereinte Tigerfamilie ist von nun an täglich von 9.30 bis 16.30 Uhr zu sehen.