Hamburg. Der IG-Metall-Chef im Bezirk Küste über die Forderung der Gewerkschaft nach einem Recht auf Reduzierung der Arbeitszeit.

Sechs Prozent Lohn für die nächsten zwölf Monaten sowie ein individuelles Recht auf die befristete Reduzierung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden pro Woche für alle Mitar­beiter. Und: Wer Arbeitszeit reduziert, um Angehörige zu pflegen, eigene Kinder zu betreuen oder um Belastungen durch Schichtarbeit zu verringern, soll vom Arbeitgeber trotzdem zumindest einen teilweisen Lohnausgleich erhalten.

So lauten die zentralen Forderungen der IG Metall in der Mitte November in Hamburg beginnenden Tarif­runde für ihre 140.000 Mitglieder in der Metall- und Elektroindustrie in Norddeutschland. Das beschloss die Tarifkommission der Gewerkschaft im Bezirk Küste am Dienstag in der Hansestadt. Das Abendblatt sprach mit Bezirksleiter Meinhard Geiken über Arbeitszeitreduzierung in Zeiten des Fachkräftemangels, über Lohnausgleich für nicht geleistete Arbeitsstunden – und über seine Erwartungen für die Verhandlungen.

Herr Geiken, wann hatten Sie zuletzt das Gefühl, dass Sie weniger arbeiten sollten?

Meinhard Geiken: (lacht) Wenn ich im Urlaub bin, kommt mir schon manchmal der Gedanke, dass ich insgesamt weniger arbeiten könnte. Aber ich bin ja ohnehin in der Luxussituation, mir die Arbeit in gewissem Umfang einteilen zu können. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen, die täglich unter oft hoher körperlicher oder psychischer Belastung in den Betrieben tätig sind, ist das anders. Für sie wollen wir jetzt erreichen, dass sie ihre Arbeitszeit stärker nach individuellen Bedürfnissen gestalten können.

Wie hält es die IG Metall selbst in solchen Fällen. Würden Sie einer Mitarbeiterin, die weniger arbeiten möchte, um zeitweise ihre Kinder zu betreuen, das gewähren?

Geiken: Ja. Wir würden gemeinsam einen Weg finden, das umzusetzen. Ich will aber, dass die Kollegin nicht zu mir kommt und ,bitte, bitte‘ sagen muss, sondern, dass sie sagen kann: ,Ich habe ein Recht darauf.‘

Wie viel Prozent des Gehalts, auf das die Mitarbeiterin verzichten müsste, würde die Gewerkschaft ihr freiwillig zahlen?

Geiken: Genau das ist der springende Punkt, dass man darüber diskutieren müsste. Und das ist falsch. Es geht darum, einen Rechtsanspruch festzuschreiben.

Bei der IG Metall ist also bisher auch noch nicht umgesetzt, was sie jetzt von den Arbeitgebern fordern?

Geiken: Bei der IG Metall gelten im Moment keine anderen Regelungen als in der Wirtschaft insgesamt. Aber natürlich würden wir als Gewerkschaft solche neuen Regelungen für den gewerblichen Bereich auf uns selbst übertragen.

Auch die Arbeitgeber wollen ja in dieser Tarifrunde über die Arbeitszeit reden, wenn auch mit ganz anderen Zielen. Macht das die Verhandlungen absehbar leichter?

Geiken: Das wird sich erst in den Gesprächen selbst zeigen. Wenn es um Arbeitszeit geht, sind die Verhandlungen immer intensiver, als wenn es vornehmlich um Lohnerhöhungen geht. Ich gehe aber davon aus, dass wir auch in dieser Runde einen vernünftigen Weg zu einem Kompromiss finden können. Wobei: Die Arbeitgeber reden zwar von Flexibilisierung, tatsächlich geht es ihnen aber um eine Verlängerung von Arbeitszeit. Dabei werden in der gesamten Wirtschaft schon heute pro Jahr 1,6 Milliarden Überstunden geleistet.

Der Arbeitgeberverband Nordmetall, der Verhandlungspartner der IG Metall, hat gewarnt, die Umsetzung Ihrer Forderungen würde in den Betrieben eine Lücke von 22.000 Mitarbeitern reißen ...

Geiken: Die Berechnung würde ich gern mal sehen. Ich weiß wirklich nicht, wie Nordmetall auf diese Zahl kommt. Die ständige Steigerung der Produktivität wird offensichtlich überhaupt nicht berücksichtigt. Wir sind überzeugt, dass die großen Zukunftsherausforderungen für die Wirtschaft wie Digitalisierung, wie Industrie 4.0 nach einer modernen, zeitgemäßen Form der Arbeitszeitgestaltung verlangen. Wenn es die gäbe, wäre auch die Besetzung freier Arbeitsplätze und die Nachwuchsgewinnung ein weniger großes Problem.

Womit wir beim Thema Fachkräftemangel wären. Nordmetall sagt, ein Recht auf individuelle Arbeitszeitverkürzung komme auch deshalb zur Unzeit, weil es in der Branche 18.000 unbesetzte Stellen gebe.

Geiken: Da muss man dann aber auch mal über die Personalbemessung reden, über die Frage, wo und wie die Mitarbeiter eingesetzt werden. Auch hier wird die steigende Produktivität offenbar nicht berücksichtigt. Und: Wer jetzt über Fachkräftemangel klagt, muss sich fragen lassen, ob er in der Vergangenheit genug für die Ausbildung von Nachwuchskräften getan hat. Dazu braucht es eine Ausbildungsquote von etwa acht Prozent. Es gibt leider viele Betriebe, die davon sehr weit entfernt sind.

Wenn viele Beschäftigte tatsächlich die Arbeitszeit reduzieren: Wer macht denn dann die Arbeit?

Geiken: Personalplanung ist sicherlich eine Herausforderung, aber die Betriebe und Unternehmen haben auch Mittel an der Hand. Angesichts der engen Personaldecke ist es meiner Auffassung nach sowieso erforderlich, neue Beschäftigte einzustellen oder Teilzeitbeschäftigten eine Vollzeitstelle anzubieten, statt nur auf Mehrarbeit zu setzen. Diese Mittel stünden auch zur Verfügung, wenn Beschäftigte ihre Arbeitszeit verkürzen.

Nordmetall erwartet, dass es diesmal besonders harte Verhandlungen gibt. Die Friedenspflicht läuft Ende des Jahres aus, dann könnte es Warnstreiks geben. Erwarten Sie eine Einigung vor Weihnachten?

Geiken: Nein. Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe von Tarifrunden mitgemacht. Bisher hat es noch nie eine Einigung vor Auslaufen der Friedenspflicht gegeben.

Die Forderung im Bezirk Küste entspricht der in anderen Bezirken. Dennoch hat die Tarifkommission in Hamburg länger diskutiert als geplant. Wollte die Basis mehr?

Geiken: Viele Kollegen haben an Beispielen aus Betrieben deutlich gemacht, warum ein Recht auf Arbeitszeitreduzierung wichtig ist. Bei der Lohnforderung gab es tatsächlich Diskussionen. Einige haben gesagt, sechs Prozent seien zu wenig, andere fanden, es sei zu viel. Wir haben uns dann in der Mitte getroffen. Und es ging auch um spezielle Themen an der Küste, unter anderem die Höhe der Schichtzulagen. Bei ihnen ist der Bezirk derzeit bundesweit das Schlusslicht.