Hamburg. Streit mit Ölkonzern sorgt für skurrile Verhältnisse. Pächter hält sich mit Verkauf von Pizza und Holz über Wasser – vorerst.
Ein schwarzer Golf biegt auf die Tankstellenzufahrt ein. Das Kennzeichen lässt ahnen, dass der Fahrer aus einer anderen Gegend stammt. Er kann also nicht wissen, was ihn erwartet. Denn der junge Mann hat sich ausgerechnet Hamburgs einzige Tankstelle ausgesucht, an der es wohl fast alles gibt außer Benzin. Genauso erstaunt blickt er denn auch, als die Zapfpistole trocken bleibt und ein Mitarbeiter herbeigeeilt kommt, um es ihm zu erklären. Wobei es gar nicht so einfach ist, kurz in Worte zu fassen, was sich da derzeit im beschaulichen Othmarschen abspielt.
Der Versuch einer Kurzversion: Zwischen dem langjährigen Pächter Ibrahim Keklikci und dem Mineralölkonzern Orlen tobt seit Monaten ein Kampf, bei dem es nur Verlierer gibt. Klar ist, dass der Streit auf Kosten der Kunden geht, die sich gern mit Sprit an der Tankstelle am Kreisverkehr Ecke Bernadottestraße und Liebermannstraße versorgen würden. Das können sie bereits seit Monaten nicht mehr. Der unversöhnliche Kampf um die Tankstelle zieht immer weitere Kreise. Juristen, Anwohner, Politiker und Rathausmitarbeiter sind mittlerweile involviert.
Drei Tageseinnahmen fehlten
Wie es so weit kommen konnte? Für die Langversion muss man weiter ausholen. Der Streit eskalierte nach einigen vorherigen Auseinandersetzungen zwischen dem, wie er selbst von sich sagt, unbequemen Pächter und dem Mineralölkonzern Orlen Anfang dieses Jahres. Anlass waren drei Tageseinnahmen, die Keklikci im Februar nicht unverzüglich an Orlen abführte. „Mein Vater ist gestorben. Ich habe seinen letzten Wunsch erfüllt und ihn in der Türkei beerdigen lassen“, erklärt Keklikci. Die Geschäfte übergab er einem Mitarbeiter, seine Abwesenheit und den Grund teilte er dem Bezirksleiter mit. Das soll eine SMS beweisen, die er zeigt.
Fakt ist, dass drei Tageseinnahmen nicht zeitgerecht beim Unternehmen Orlen landeten – was einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellt, der auch vom Hamburger Landesgericht bestätigt wurde.
„Das ist doch nur ein Vorwand, um mich loszuwerden“, ist sich Keklikci sicher. „Die wollen einen Pächter, der alles macht, was sie ihm sagen.“ Keklikci selbst erklärt, dass er sich geweigert habe, ein Backshopkonzept umzusetzen. „Ich bin Mechaniker und kein Bäcker“, sagt er. Orlen hält dagegen. „Der Pächter hat nachgewiesenermaßen Kunden geschädigt“, lässt das Unternehmen auf Abendblatt-Anfrage mitteilen. Ein wiederholtes Fehlverhalten habe zum Verlust der partnerschaftlichen Vertrauensbasis geführt.
Am 3. November muss er räumen
Keklikci, der seit 33 Jahren an der Tankstelle arbeitet und sie vor 16 Jahren zusammen mit seiner damaligen Frau als Pächter übernahm, muss gehen. Was aus den sechs Mitarbeitern wird – darunter sind Menschen mit Behinderung, da Keklikci mit der Hamburger Hirtenschule seit Jahren zusammenarbeitet – ist unklar. Am 3. November muss er die Tankstelle räumen, so steht es in einem weiteren Urteil.
Orlen hatte vor Gericht ein Räumungsverfahren erwirkt – was zeigt, wie verhärtet die Fronten sind, zuvor hatten sie auch den Kraftstoffverkauf gerichtlich verbieten lassen. Orlen selbst sagt, dass die Othmarschener Situation in der 14-jährigen Firmengeschichte „ein absoluter Einzelfall ist“.
Viele Stammkunden halten die Treue
Völlig skurril: An der Tankstelle gibt es zwar kein Benzin, aber dafür Tiefkühlpizza, Kaminholz und Getränkekisten. Keklikci hat im Überlebenskampf umgesattelt. Mit dem Verkauf, Autowäschen und Reparaturen kann er das Geschäft aufrechterhalten. Viele seiner Stammkunden halten ihm die Treue, was der rege Kundenzulauf auch an diesem benzinlosen Tag beweist.
Viele Betroffene haben sich empört an das Bezirksamt Altona gewandt. Rund 30 Briefe sind dort im Mai angekommen, allerdings nie bei den Bezirkspolitikern – was derzeit für mächtig Wirbel hinter den Kulissen sorgt.
Denn das Tankstellengrundstück gehört der Stadt. Der Pachtvertrag läuft Ende kommenden Jahres aus. Somit gebe es unabhängig von Vermittlungshilfe andere Optionen, die in diesem Fall gezogen werden könnten. Eine Begehung durch die Bauprüfabteilung des Bezirksamtes gab es zudem. „Es ist mir völlig unverständlich, warum die Bezirkspolitik als Vertretung der Bürger Altonas zu keiner Zeit über die Vorgänge informiert wurde“, kritisiert FDP-Fraktionschefin Katarina Blume die Altonaer Verwaltung scharf. Sie hat bereits eine Anfrage formuliert, fordert Aufklärung in dem Fall. Was sie so ärgert: Den Politikern wurde dadurch unmöglich gemacht, noch etwas zu unternehmen. Denn die nächste Bezirksversammlung, in der die FDP einen Antrag hätte stellen können, ist ausgerechnet einen Tag vor der angesetzten Räumung.
Hoffen auf Gottes Hilfe
Und die wird kommen. „Aus Sicht von Orlen gibt es keinerlei Möglichkeit zur erneuten Gesprächsaufnahme“, lässt das Unternehmen auf Abendblatt-Anfrage unmissverständlich mitteilen. Versuche, sich außergerichtlich zu einigen, seien gescheitert. Ein Nachfolgepächter für den Standort sei bereits gefunden. Dessen erfolgreicher Start werde durch das Verhalten des jetzigen Pächters massiv erschwert.
Und Keklikci? Der ist verzweifelt. Noch mag er sich nicht eingestehen, dass seine Tankstellenzeit am 3. November zu Ende gehen könnte. Er baut auf das, was ihm nun wohl nur noch helfen kann: ein Wunder. „Wenn es Gott denn will, wird er helfen. Er weiß, wer ehrlich ist und wer nicht.“