Hamburg. Wie SPD, CDU, Grüne, Linke, FDP und AfD die Ereignisse rund um den Gipfel im Juli und die bisherige Aufklärung bewerten.

Mittlerweile sind 100 Tage seit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangen. SPD-Bürgermeister Olaf Scholz hat die Hamburger dafür um Entschuldigung gebeten, dass er sein Sicherheitsversprechen nicht gehalten hat und es über Tage massivste Ausschreitungen in der Stadt geben konnte. Die Aufarbeitung der Ereignisse läuft in einem Sonderausschuss der Bürgerschaft. Wie aber bewerten die sechs Fraktionen den Gipfel und die Aufarbeitung aus heutiger Sicht? Eine Zwischenbilanz in acht Fragen.


War es aus heutiger Sicht ein Fehler, den Gipfel in Hamburg auszurichten?

SPD, CDU, FDP und AfD verneinen diese Frage. Sie sind sich einig in der Einschätzung, dass es möglich sein müsse, dass Staatschefs sich in Großstädten treffen. Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller dagegen sagt zum Treffen in den Messehallen: „Wir sehen uns in unserer Kritik an dem gewählten Standort bestätigt.“ Für die Linken war das Abhalten eines solchen Gipfels (in Hamburg) schon von Beginn an ein Fehler.

Rechtfertigen die Ergebnisse des Gipfels Aufwand, Kosten und Schäden? Ja, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel – und verweist auf die Waffenruhe in Syrien und das Bekenntnis zum freien Welthandel. Nein, sagt Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir: „Die Ergebnisse des Treffens tragen ganz sicher nicht zu einer besseren Welt bei.“ AfD-Innenpolitiker Dirk Nockemann sieht das ähnlich. Es habe „viel heiße Luft“, aber kaum belastbare Ergebnisse gegeben. Auch Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller konstatiert: Die „öffentlich gewordenen inhaltlichen Ergebnisse“ hätten „in keinem Verhältnis zur Beeinträchtigung des innerstädtischen Friedens“ gestanden – und zu den Schäden, auch für das Vertrauen in die Politik.


Hat Hamburgs weltweites Image durch den Gipfel gelitten?

Die Bilder, die aus Hamburg um die Welt gegangen sind, seien „schrecklich und verstörend“ gewesen, räumt SPD-Fraktionschef Dressel ein. Allerdings hätten die gemeinsamen Aufräumaktionen nach dem Gipfel auch ein positives Signal in die Welt gesendet. FDP-Innenpolitiker Carl Jarchow sagt, Hamburgs Image als „weltoffene und tolerante Stadt“ habe gelitten – „unter den Ausschreitungen und dem Organisationschaos“.

Auch für Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir wurde Hamburgs Image als weltoffene Stadt beschädigt – „durch die schikanöse Buskontrolle von Jugendlichen, die Behinderung der Arbeit akkreditierter Journalisten und die völlige Kritikunfähigkeit des Bürgermeisters“.


Welches waren nach heutiger Kenntnis die größten Fehler bei G20?

Für die SPD ist es noch zu früh, um diese Frage konkret zu beantworten, da die Aufklärung gerade erst begonnen habe. Es sei aber „klar, dass es Fehler gegeben hat – und zwar auf allen Seiten“, so Fraktionschef Dressel. CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator wirft dem Senat vor, im Vorwege des Gipfels die Warnungen von Polizei und Verfassungsschutz ignoriert zu haben. Das sieht auch die AfD so. Sie findet zudem, die Demonstration „Welcome to Hell“ hätte verboten werden müssen. Die scheidende FDP-Fraktionschefin Katja Suding kreidet Bürgermeister Olaf Scholz vor allem seine Sicherheitsgarantie an. Deren Bruch habe das Sicherheitsgefühl der Hamburger „nachhaltig erschüttert“.


Welche Konsequenzen bzw. Lehren sollten aus dem Gipfel gezogen werden?

SPD-Fraktionschef Dressel fordert eine klare Abgrenzung aller Hamburger von linken Gewalttätern. Er wünscht sich auch eine selbstkritische Aufarbeitung in Linkspartei und linker Szene. Auch „Teile der bürgerlichen Gesellschaft“ hätten zu lange Sympathien oder Verständnis für linksextremistische Gewalt gezeigt – das müsse sich ändern. CDU-Fraktionschef André Trepoll hat ein Referendum gefordert, bei dem alle Hamburger über die Zukunft der Roten Flora abstimmen sollten. Die AfD wünscht sich ein „Austrocknen des linksextremistischen Sumpfes“.

Grünen-Innenpolitikerin Möller dagegen warnt vor „Symbolpolitik“, etwa durch die Forderung, die Rote Flora müsse weg – aber auch vor einseitigen Schuldzuweisungen an die Polizei. Die Linke fordert, dass der Bürgermeister künftig nicht mehr im Alleingang entscheiden dürfe, welche Großereignisse in die Stadt geholt würden. FDP-Innenpolitiker Jarchow sagt: „Bei zukünftigen Veranstaltungen dieses Ausmaßes müssen realistische Szenarien zugrunde gelegt werden. Die Menschen müssen seriös und ehrlich informiert und bei den Einsatzplanungen flexible Reserven für unerwartete Entwicklungen vorgehalten werden.“


Wie sind die Rollen des Bürgermeisters und der Polizei während des Gipfels und danach zu bewerten?

CDU-Fraktionschef Trepoll wirft dem Bürgermeister vor, bisher keine Konsequenzen aus den Ereignissen gezogen zu haben – etwa im Umgang mit der Roten Flora. Stattdessen habe er vieles gefordert, das gar nicht in seinem Verantwortungsbereich liege – zum Beispiel harte Strafen für Täter, Änderungen beim Demonstrationsrecht oder eine europäische Extremistendatei. Auch habe Scholz bisher kaum zur Aufklärung beigetragen. FDP-Innenpolitiker Jarchow sieht das ähnlich: „Nach den Ausschreitungen gab es nur Ankündigungen von Bürgermeister Scholz, denen bis heute keine konkreten Taten gefolgt sind.“

Die Linke spricht von einem „jämmerlichen Bild“ des Bürgermeisters. „Erst die große Pose“, so Fraktionschefin Özdemir, „und nach der selbst verschuldeten Eskalation dann Wegducken und Vertuschung der Verantwortung“. Die SPD konstatiert, dass sich alle im Sonderausschuss ihrer Verantwortung stellten – auch die Polizei, die die Ereignisse ebenfalls (selbst-)kritisch aufarbeite. In den Augen von AfD-Innenpolitiker Nockemann hätte Scholz die Polizei früher darüber informieren müssen, dass der Gipfel in Hamburg stattfinden solle. Und die Polizei hätte „massiver auf ihre Bedenken hinweisen müssen“.


Ist Hamburg zu nachlässig mit Linksextremisten umgegangen, und hatte das Einfluss auf das G20-Chaos?

Ja, sagte CDU-Innenpolitiker Gladiator: „Seit Jahren ist bekannt, wie die Autonomen und Linksextremisten agieren.“ Für die Linke kann diese Frage derzeit nicht beantwortet werden, da es noch zu viele Unklarheiten etwa über die Krawallnacht in der Schanze gebe. FDP-Innenpolitiker Jarchow dagegen befindet: „Der Umgang mit dem Linksextremismus in Hamburg war in der Vergangenheit weder strukturiert noch stringent.“ Laut AfD-Innenpolitiker Nockemann war und ist es „ein unverzeihlicher Fehler, die linksextremistische Szene nicht hinreichend bekämpft zu haben“.


Wie ist die bisherige Aufarbeitung im Sonderausschuss zu bewerten?

CDU-Innenpolitiker Gladiator wirft dem Senat, vor allem Innensenator Andy Grote (SPD) vor, jede Aufklärung zu blockieren. Die SPD-Taktik sei: „Abwiegeln, schweigen und andere beschuldigen.“ Bei den Ausschusssitzungen zur Aufklärung habe Grote so lange Vorträge gehalten, dass am Ende kein Bürger oder Journalist mehr habe folgen können.

Die AfD kritisiert die „massiven Aktenschwärzungen und Entnahmen von Aktenstücken“ durch Polizei bzw. Senat. Sollte es dabei bleiben, werde es keine Aufklärung geben und man könne sich den Sonderausschuss sparen. Linken-Fraktionschefin Özdemir ist ebenfalls unzufrieden: „Wir erleben Hinhaltetaktik, Verschleierung und Ausreden.“ Sie bekräftigt, dass eine wirkliche Aufarbeitung nicht mit einem Sonderausschuss, sondern nur mit einem echten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) möglich sei – weil der mehr Rechte habe.

Grünen-Innenpolitikerin Möller mahnt den Senat: „Gelingen kann die Aufarbeitung nur, wenn die parlamentarische Kontrolle respektiert wird und weitestgehende Transparenz gewährleistet ist.“ SPD-Obfrau Martina Friederichs dagegen betont das Aufarbeitungsinteresse auch ihrer Partei. „Alle Fragen kommen auf den Tisch, alle Akteure sollen ausführlich gehört werden“, so Friederichs. „Ziel unserer Arbeit ist eine Analyse der gesamten Geschehnisse.“