Hamburg. Debussy und mehr: Sylvain Cambreling trieb das Orchester in der Laeiszhalle zu Höchstleistungen. Da stimmte einfach die Chemie.

Die Symphoniker Hamburgsind verwaist, das tut nicht nur weh, es bereitet auch organisatorische Probleme. Nach dem überraschenden Tod ihres Chefdirigenten Jeffrey Tate im vergangenen Juni müssen die Symphoniker viele Konzerte der bereits geplanten Saison neu oder umdisponieren. Wie sehr Tate nicht nur von seinem Orchester geschätzt wurde, sondern auch international von seinen Musiker-Kollegen, das zeigt sich jetzt bei fast jedem Konzert. Kürzlich kam Tates Landsmann Roger Norrington und begeisterte Musiker und Publikum mit Bach und Schubert.

Jetzt meldete sich der französische Dirigent und Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart Sylvain Cambreling und schlug vor, ein Konzert mit exakt demselben, rein französischen Programm zu dirigieren, das Tate geplant hatte und dirigieren wollte. Das sei er seinem Freund schuldig, sagte Cambreling zu Beginn des Konzerts in der recht gut besuchten Laeiszhalle. Man darf hinzufügen: Keiner ist dafür wohl besser geeignet als der ebenso energiegeladene wie sensible Franzose.

Wild und virtuos

Charmant und klug führte er mit ein paar erläuternden Worten in das Konzert ein. Das war hilfreich, denn die eröffnende Symphonie Nr. 2 „Le Dou­ble“ von Henri Dutilleux (1916–2013) und die „Fantaisies für Cello und Kammerorchester“ von Marc-André Dalbavie (geboren 1961) gehören zu den zu Unrecht selten zu hörenden Werken aus Frankreich. „Le Double“ bezieht sich bei Dutilleux’ Symphonie auf zwei Orchestergruppen, ein normales Sinfonieorchester und eine kleine zwölfköpfige solistische Gruppe - bestehend unter anderem aus Bläsern, Streichern und Pauke - die vorn im Orchester integriert ist. Heraus kam so etwas wie ein modernes Concerto grosso, ein musikantischer Wettstreit à la française.

Da breitete sich ein schillernder Farbteppich aus, zart wie ein Frühlingsduft zogen flirrende Streicher oder zwitschernde Bläser vorbei, die Solovioline zeichnete Konturen in den Klangteppich, und die Pauke durfte auch mal ein leises Glissando einstreuen. Aber im Verlauf ging es dann markant und rhythmisch zu, die Musik tänzelte sogar mit Jazz-Anklängen, wurde wild und virtuos, bis sich „Le Double“ mit einem leisen Hauch verabschiedete.

Wild und virtuos mit Tendenz zur Explosion präsentierte sich auch der Cello-Solist bei Dalbavies „Fantaisies“ mit kleiner Kammerorchester-Besetzung. Dabei vergaß der technisch brillante junge Rumäne Andrei Ioniță auch nicht die lyrischen und introvertierten Facetten dieser sechs Cello-Fantasien. Leise flirrende Klangsphären wechselten sich mit wütend und gewaltig aufbrausenden Musikwellen ab. Furios.

Die Chemie stimmte

Die Symphoniker konnten unter Sylvain Cambreling dann nach der Pause bei Claude Debussys „La Mer“ zeigen, was in ihnen steckt. Etwas untertrieben nannte der Komponist sein anspruchsvolles Stück „Symphonische Skizzen“. Es gehört zum Schwersten, was Orchestern abverlangt wird. Beim „Morgengrauen auf dem Meer“, beim „Spiel der Wellen“, beim „Dialog zwischen Wind und Meer“ mixte Cambreling gekonnt die Farbpalette, kristallisierte einzelne Schattierungen klar heraus und ließ die Symphoniker Hamburg so homogen, so ausgewogen wie selten klingen. Da stimmte einfach die Chemie.

So würde man sich den neuen Chefdirigenten für dieses Orchester wünschen.