Langwedel/Brahmsee. Das 3000 Quadratmeter große Grundstück, auf dem sich Schmidt erholte und unkomplizierte Politiker empfing, ist Geschichte.

Ein weiteres Kapitel deutscher Nachkriegs­geschichte ist nach fünf Jahrzehnten beendet. Loki und Helmut Schmidts Ferienhaus am Brahmsee befindet sich nicht mehr im Familienbesitz. Das bestätigte Tochter Susanne Schmidt dem Hamburger Abendblatt. „Dieser Schritt ist mir schwergefallen“, sagte die promovierte Volkswirtin mit Wohnsitz in der Grafschaft Kent im Süden Englands, „aber letztlich war es ein vernünftiger.“

Der Kaufvertrag sei bereits im Dezember des Vorjahres unterschrieben worden. Durch Vermittlung eines Maklers habe es mehrere Interessenten für das gut 3000 Quadratmeter große Grundstück mit dem geschichtsträchtigen Holzhäuschen gegeben. Die Wahl fiel auf eine Familie mit Kindern. „Die Familie war sehr sympathisch“, sagte Susanne Schmidt. Das Ferienhaus solle erhalten bleiben, jedoch umfassend renoviert werden. Dies habe den Entschluss erleichtert.

Susanne Schmidt verlebte hier glückliche Ferien

„Seit 20 Jahren wurde praktisch nichts mehr daran gemacht“, fügte die Tochter des im November 2015 im Alter von 96 Jahren verstorbenen Staatsmannes Helmut Schmidt hinzu. Ihre Mutter Hannelore war fünf Jahre früher auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet worden. Gemeinsam mit ihren Eltern hatte Susanne Schmidt glückliche Ferien in der ländlichen Idylle 65 Kilometer nordöstlich Hamburgs erlebt.

Die Nation war Zeuge, wie die Politikerfamilie in Schleswig-Holstein Erholung fand. Bilder privaten Glücks wurden veröffentlicht: Loki und Helmut beim Schachspiel auf dem Rasen, Loki und Susanne beim Studium besonderer Pflanzen, der Bundeskanzler beim Rasenmähen mit einer Sense. Bisweilen schipperte er mit seiner Jolle über das rund einen Quadratkilometer große und bis zu zehn Meter tiefe Gewässer an der Autobahn 7. Das Volk guckte zu, wenn Steuermann Schmidt mit Lotsenmütze an der Pinne saß. Während andere Regierungschefs in Luxus badeten, schätzte die Familie Schmidt das schlichte Leben in der Natur.

Bundeskanzler Helmut Schmidt im August 1978 in seinem kleinen Segelboot auf dem Brahmsee. Es war ein Geschenk des  kanadische Ministerpräsidenten Pierre Trudeau
Bundeskanzler Helmut Schmidt im August 1978 in seinem kleinen Segelboot auf dem Brahmsee. Es war ein Geschenk des kanadische Ministerpräsidenten Pierre Trudeau © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / Werner Baum

Hier trafen sich einst Staatspräsidenten

Dabei verfuhr der Staatsmann aus Langenhorn nach einem klaren Prinzip. Die ganz große Politik außerhalb der damaligen Hauptstadt Bonn machte er daheim am Neubergerweg. Im Häuschen am See begrüßte Helmut Schmidt überwiegend Freunde, vertraute Weggefährten und unkomplizierte Politiker aus den Nachbarländern, die auf protokollarische Schnörkel verzichteten.

Der später ermordete Olof Palme aus Schweden kam ebenso an den Brahmsee wie Norwegens Premier Odvar Nordli, Österreichs Kanzler Bruno Kreisky oder der niederländische Regierungschef Joop den Uyl. Auch Siegfried Lenz, Henning Voscherau, Peter Schulz und Künstler wie Bernstein, Celibidache und Menuhin reisten an.

Wohnzimmer, Schlafzimmer, Mini-Küche . Plus Plumpsklo

Dass es so weit kam, entsprang einem Zufall. Bei einer Dienstfahrt im Winter 1957/58 blieb der Schnellzug zwischen Bonn und Altona in Schneeverwehungen stecken. Schmidt, seinerzeit 39 Jahre alter Bundestagsabgeordneter der SPD, war ebenso genervt wie die anderen Reisenden. Die Wartezeit nutzten drei Herren in ihrem Abteil der ersten Klasse zum Gespräch. Neben Schmidt saßen sein Parteifreund Willi Berkhan, der spätere Wehrbeauftragte, und ein Busunternehmer aus Kiel.

Letzterer erzählte vom Landwirt Steffen, der sein rund 10.000 Quadratmeter großes Areal direkt am Brahmsee verkaufen wollte – zu einem fairen Preis. „Ein miserabler Acker, ein karger Sandboden“, befand Helmut Schmidt beim ersten Besuch vor Ort. Die Lage indes war genial. Lokis Begeisterung gab den Ausschlag. Da der Kaufpreis von 10.000 D-Mark, umgerechnet etwa 5000 Euro, ein Jahrzehnt nach der Währungsreform für einen alleine nicht zu tragen war, wurde das Grundstück zwischen dem im Zug fahrenden Trio brüderlich geteilt. Jeder zahlte gut 3300 D-Mark für mehr als 3000 Quadratmeter Land mit jeweils 30 Meter Seeufer.

Das Ehepaar Schmidt beauftragte eine Firma aus der Nähe Elmshorns mit dem Aufbau einer Gartenbude: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche mit zwei Herdplatten auf 30 Quadratmetern. Plus Plumpsklo. Bausubstanz: Holz und Presspappe. An Strom, Heizung und fließendes Wasser war anfangs nicht zu denken. Viel wichtiger für die neuen Besitzer: Birken, Buchen und Sträucher machten das Grundstück uneinsehbar.

Der Fortschritt hielt Einzug am „Lago di Sozi“

Nach und nach hielt der Fortschritt Einzug am „Lago di Sozi“, wie SPD-Genossen zu unken pflegten. Bauarbeiter errichteten ein zweites Gebäude, mit Räumen für vier Sicherheitsleute und den Chauffeur sowie einem Büro mit Telefon und Fernschreiber. Es folgten zwei Garagen, ein Schuppen, eine neue Küche, eine Gästetoilette, ein Bootsschuppen mit Terrasse, Dusche, Außensauna und sogar ein Whirlpool. Das später erworbene, 6,5 Hektar große Nachbargrundstück, ein urwüchsiges Biotop, überschrieb Susanne Schmidt im September 2016 der gemeinnützigen Loki Schmidt Stiftung.

Schon da gehörten die glücklichen Zeiten am Brahmsee der Vergangenheit an. Wenige Wochen vor Helmut Schmidts Tod am 10. November 2015 weilte Susanne Schmidt mit ihrem Vater noch einmal im vertrauten Ferienhäuschen. Am früheren Charme des Wohnzimmers mit den Bildern, bunt bemalten Bauerntellern, einem Mobile mit Schiffchen und der Sitzecke mit Holzbank hatte sich binnen Jahrzehnten nur wenig geändert.

Im November 2016 kam Susanne Schmidt (70) ein letztes Mal alleine an den Brahmsee, um Liebgewonnenes auszuräumen. Der Entschluss für einen Verkauf war lange gereift. „Alles andere hätte keinen Sinn gehabt“, sagte sie dem Abendblatt. „Es musste so sein.“

Abgesehen vom Renovierungsstau hätte ein Hausmeister regelmäßig nach dem Rechten gucken müssen. Sie selbst hätte höchstens zweimal im Jahr kommen können. Die Anreise aus der kleinen Ortschaft im Südosten Londons dauert von Tür zu Tür acht bis neun Stunden. Da war es ratsam, einen Schlussstrich zu ziehen – schweren Herzens.