Hamburg. Die Stadt ist artenreicher als angenommen. Jetzt liegen die Ergebnisse der großen Inventur am langen Tag der Stadtnatur vor.
Sie tragen seltsame Namen und sind rare Entdeckungen: Das Gewöhnliche Zittergras, die Nitrophile Kleinsporflechte oder die Westliche Beißschrecke. Seltene Arten, die nun in Hamburg nachgewiesen wurden und die belegen: Die Artenvielfalt in der Stadt ist größer als bislang angenommen.
Zu diesem Ergebnis kommen die Forscher des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg nach der Auswertung der Arten-Inventur im Juni. Beim GEO-Tag der Natur und dem Langen Tag der StadtNatur sammelten Wissenschaftler und mehr als 500 Freiwillige mehr als 2400 Tiere und Pflanzen aus 1522 unterschiedlichen Arten.
Rüsselkäfer bei Wikipedia kaum beschrieben
Dazu zählt laut Angaben der Umweltbehörde auch die Rüsselkäferart Pselactus spadix, die so rar ist, dass sich ihr englischsprachiger Wikipedia-Eintrag auf einen Satz beschränkt. Pselactus spadix is a species of weevil native to Europe. Also: Selectus spadix ist eine Art von Rüsselkäfer, der in Europa heimisch ist. Das Hamburger Exemplar wurde auf Neuwerk entdeckt.
Auch andere Arten wurden erstmals in Hamburg gesichtet und nachgewiesen, etwa die Westliche Beißschrecke und das Gewöhnliche Zittergras. „Die Anzahl der erfassten Tier- und Pflanzenarten hat unsere Erwartungen übertroffen“, sagt Martin Kubiak, Insektenforscher am CeNak. „Es wird deutlich, wie vielfältig die Natur in der Stadt sein kann. Dies verdanken wir insbesondere einem abwechslungsreichen Lebensraummosaik auf vergleichsweise kleiner Fläche.“
366 Tierarten auf Neßsand nachgewiesen
Besonders groß war der Tierartenreichtum erwartungsgemäß auf der unter Naturschutz stehenden Elbinsel Neßsand. Die sonnenreichen, vegetationsarmen Magerrasen-Standorte böten offenbar vielen wärmeliebenden Insektenarten ideale Lebensbedingungen. Etwa der Dünensandlaufkäfer, Cicindela hybrida. Er mag die offenen, sandigen Ufer der Elbe auf Neßsand. Die Laufkäferart wird in der Roten Liste Schleswig-Holsteins in der Vorwarnliste geführt.
Allein auf dem Eiland konnten 366 Tierarten (davon 332 Käferarten) nachgewiesen werden, darunter einige bedrohte Arten wie die Scheinbockkäferart Oedemera nobilis, die Wildbienenart Lasioglossum sexnotatum und die stark gefährdete Zauneidechse Lacerta agilis. Ein Exemplar der winzigen Kurzflügelkäferart Carpelimus punctatellus wurde zum ersten Mal überhaupt im nordwestdeutschen Raum gefunden.
Skandaldeponie wird zum Naturwunder
Auch die ehemalige Skandaldeponie Georgswerder, heute ein Energieberg, überraschte die Botaniker. Dort wurde das Gewöhnliche Zittergras (Briza media) entdeckt. Bisher waren in Hamburg nur drei Fundorte dieser Pflanze bekannt, die auf ungedüngten Wiesen wächst. „Der Fund unterstreicht, welche Bedeutung geschaffene Stadtlebensräume für den Erhalt von seltenen und gefährdeten Arten haben können“, sagt Kolja Dudas, Master-Student am Biozentrum Klein Flottbek der Universität Hamburg.
Zumal auch Flechtenfans jubeln konnten. Auf dem Energieberg, inzwischen von der Natur zurückerobert, wurde auch die bislang wenig erforschte Nitrophile Kleinsporflechte (Acarospora nitrophila) auf Findlingen entdeckt. Die Gewöhnliche Dotterflechte (Candelariella vitellina) wies eine außergewöhnliche Farbe auf. Wissenschaftler meinen, sie deute auf die Anreicherung von Schwermetallen hin.
An 32 Orten wurden die Artenvielfalt untersucht
Wie berichtet hatten im Juni mehr als 100 Tier- und Pflanzengruppenexperten an insgesamt 32 Orten der Stadt die Artenvielfalt erhoben. Erstmalig wurde dabei der GEO-Tag der Natur sowie der von der Loki Schmidt Stiftung organisierte Lange Tag der StadtNatur verknüpft. Bei ihren wissenschaftlichen Erfassungen wurden die Wissenschaftler von mehr als 500 Hamburgern unterstützt. Unter anderem wurden die Hamburger Inseln Neuwerk und Neßsand oder auch Flächen im Hafen analysiert.
Der nächste Lange Tag der StadtNatur Hamburg ist am 16. und 17. Juni 2018. Das Thema wird dann die „Elbe als Lebensader Hamburgs“ sein. Veranstalter können sich bereits jetzt zu diesem Thema bei der Loki Schmidt Stiftung bewerben.