Hamburg . Die Frau ist der fahrlässigen Tötung schuldig, erhält aber keine Strafe. Richter begründet Entscheidung mit besonderer Tragik.

Eine 31-jährige Mutter sitzt mit von Kummer und Tränen gezeichnetem Gesicht im Saal 141 des Amtsgerichts Wandsbek. Es sind die bangen Minuten vor dem Urteil. Die Staatsanwaltschaft wirft Mastura S. die fahrlässige Tötung ihres eigenen Sohnes vor. Sie hatte den 13 Monate alten Iman im August 2016 unbeaufsichtigt im Wasser der häuslichen Badewanne gelassen. Das Kind ertrank, konnte reanimiert werden, verstarb aber einen Monat später im Rahlstedter Wilhelmstift. Wegen irreparabler Hirnschäden waren die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt worden.

Endlich öffnet der Vorsitzende Richter die Tür, tritt nach vorn und verkündet das Urteil: Mastura S. wird der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Aufgrund der besonderen Umstände dieses Falls wird jedoch von einer Strafe abgesehen. Die Mutter sei in der Folge der Ereignisse genug gestraft, sodass eine weitere Bestrafung verfehlt wäre, sagte der Richter. Die Kosten des Verfahrens muss die Angeklagte tragen.

Es war der 7. August 2016, als die Tante von Mastura S. in der Küche Essen zubereitete. Beide wollten die Speisen Masturas krebskrankem Mann ins Krankenhaus bringen. Seit seiner Erkrankung musste sich die gebürtige Afghanin weitgehend allein um ihre drei Kinder kümmern: einen dreijährigen Sohn und die 13 Monate alten Zwillinge. Einer von ihnen Iman.

Mutter war nur kurz Windeln holen

Das Amtsgericht Wandsbek wollte nun in einem akribischen Beweisverfahren herausfinden, wie genau der Junge zu Schaden kam und welche Schuld daran die Mutter trägt. Der Fall hatte vor einem Jahr für Aufsehen und Mitgefühl gesorgt. Schließlich stehen alle Eltern in der Verantwortung, ihre kleinen Kinder angemessen zu beaufsichtigen. Dass ein Kind in der Badewanne oder in einem Gartenteich ertrinken könnte, ist für Eltern der Albtraum schlechthin.

Bei den Vernehmungen durch die Ermittlungsbehörden und ihren Schilderungen vor Gericht ließ die Angeklagte allerdings immer wieder Lücken erkennen. Einmal sagte sie, die Badewanne sei gar nicht gefüllt gewesen. Bei späteren Aussagen war es ein Wasserstand von zwei bis vier oder acht bis zehn Zentimetern, in dem der Junge allein saß. Sie habe an jenem Tag die Kinder nacheinander geduscht. Zuletzt sei Iman dran gewesen.

Das Zwillingsmädchen lag bereits im Bett, als die Mutter während des Duschens von Iman plötzlich durch den dreijährigen Sohn in die Pflicht genommen wurde. Der litt an akutem Durchfall – mit sichtbaren Folgen in der Wohnung. Wie die Angeklagte vor Gericht sagte, wollte sie nur im Nachbarzimmer Windeln holen. Das habe kurze Zeit gedauert, „so kurz, wie ich diese Worte sage“.

Kind wurde zunächst wiederbelebt

Mastura S. spricht Persisch, eine Dolmetscherin übersetzt im Saal 141 ihre Aussagen. Der Richter fragt nach, gibt ihren Gefühlen aber auch angemessen Raum. „Meine Kinder sind mir sehr wichtig. Wichtiger als mein eigenes Leben“, sagt sie. Als die Mutter ihr Kind halb tot in der Wanne liegen sah, rief sie laut nach der Tante um Hilfe. Die alte Dame alarmierte die Nachbarn und diese die Rettungskräfte.

Unter telefonischer Anleitung konnte ein Nachbar die ersten Reanimationsversuche vornehmen. Innerhalb von sechs Minuten waren die Notfallmediziner vor Ort. Sie konnten das Kind wiederbeleben. Später trafen Polizeibeamte und Vertreter des Jugendamts ein. Noch am selben Tag wurden die beiden anderen Kinder in Obhut genommen. In den folgenden Wochen mit Hoffen und Bangen besuchte die 31-Jährige ihren an Speiseröhrenkrebs erkrankten Mann und ihren mit dem Tod ringenden Sohn im Krankenhaus. Die anderen Kinder durfte sie nur zweimal pro Woche sehen.

Mutter darf ihre Kinder seit einem Monat wieder sehen

Als die Mutter im Saal 141 darüber berichtet, beginnt sie erneut zu weinen. Der Richter muss die Verhandlung unterbrechen. Wenig später schlägt die Stunde der Gutachter. Während ein technischer Sachverständiger versichert, dass es beim Wasserablauf oder mit der Armatur keine Probleme gegeben habe, stellt der UKE-Rechtsmediziner Professor Jan Peter Sperhake die Darstellung der Angeklagten infrage. „Das Kind muss mit den Atemöffnungen unter Wasser gewesen sein“, betont er. Für den Tod würde die Zeitspanne von „unter einer Minute“ ausreichen.

Während die Staatsanwältin sagt, die Mutter hätte das Kind vor der kurzen Abwesenheit aus der Badewanne herausnehmen müssen, und eine Verwarnung fordert, plädiert Verteidiger Sven Boose für Freispruch. Das Verfahren sei für seine Mandantin „pure Folter“. Als die Verhandlung gegen 15 Uhr zu Ende ist, nimmt Mastura S. ihren Mann in den Arm. Danach werden sie beide nach Hause zu ihren beiden Kindern gehen. Sie sind erst seit einem Monat aus der Inobhutnahme zurück.