Hamburg. Der Ex-HSV-Chef und Unternehmer will mit „Du wirst 70“ anderen die Angst vor dem Alter nehmen. Warum Hunke sich wie 40 fühlt.

Angriffslustig wie ein Pitbull und zugleich in sich ruhend wie ein Philosoph soll er sein. Kollegen, die ihn aus seiner Zeit als HSV-Präsident kennen, winken ab. Nein, man wolle lieber keinen Gruß bestellen. Mit ihm befreundete Journalisten sagen über Jürgen Hunke, er trage sein Herz auf der Zunge, habe viele spannende Geschichten zu erzählen. Man müsse ihn nur dann und wann in seinem Erzählfluss stoppen. Offensichtlich ist Jürgen Hunke (74) streitbar. Das macht neu­gierig.

Wer ist der Mann, der seit seinem 55. Lebensjahr nicht mehr arbeitet, um Geld zu verdienen, Hotelzimmer stets aufgeräumter als zuvor verlässt und am liebsten rote Schuhe trägt, weil es so schön gegen die hanseatische Etikette verstößt?

Zunächst einmal ist er vieles in einer Person: gelernter Verlagskaufmann, Unternehmer, Verleger, Inhaber der Hamburger Kammerspiele, ehemaliger Sportfunktionär und Politiker der Statt Partei, Galerist für asiatische Kunst – und momentan hauptberuflich Buchautor.

3 Fragen

Nach „Die untrainierte Gesellschaft“ und „Ausreden – die neue Volkskrankheit“ hat Hunke gerade sein neues Werk „Du wirst 70 – Freu dich drauf“ auf den Markt gebracht. „Rumms! Ein Buch wie kein anderes“, steht ganz bescheiden auf der Pressemappe des ihm eigenen Mikado Verlags mit Sitz am Mittelweg. Mit wenigen Minuten Verspätung kommt auch schon der Verfasser aus seinem Meeting, bereit zum Interview.

Schwarzes Jackett mit rotem Einstecktuch, schwarzes T-Shirt, Jeans, rote Lederschuhe. Gepflegte Bräune. Am Handgelenk eine seiner vielen Uhren, Marke IWC. Er sammelt alte und moderne, „weil es mich fasziniert, dass sie aus 600 Teilen zusammengesetzt werden“. Davon hat sich der Sammler vor Ort in der Schweiz überzeugt. Er geht Dingen gern auf den Grund und weiß, dass das für Außenstehende manchmal anstrengend ist.

Schule ohne Abitur abgeschlossen

Leider wurde ihm kürzlich eine Sammlung von rund 40 Uhren im Wert eines sechsstelligen Betrags gestohlen. „Die Uhren lagen nicht im Tresor, sondern in einem chinesischen Schrank. Schließlich will ich sie ja ansehen.“ Er erzählt die Geschichte so, als seien ihm ein paar Bleistifte vom Tisch geklaut worden. Geld scheint nicht (mehr) so wichtig. „Zeit ist das entscheidende Gut, vor allem im Alter“, doziert der Autor und erzählt, warum er dieses Buch geschrieben hat.

Am Ende seiner Schulzeit, die er wegen zu schlechter Noten ohne Abitur abschloss, habe er sich darüber gewundert, warum er und seine Mitschüler nicht über das informiert wurden, was sie im künftigen Leben so alles erwartet. „Wir fühlten uns alleingelassen.“ Schließlich gebe es doch viele wichtige Dinge, etwa: Wie schreibt man eine Bewerbung? Was bedeutet es, volljährig zu sein? Und was hat man eigentlich bei einem Mietvertrag zu beachten?

Eine Art späte Wiedergutmachung

„Daran musste ich denken, als ich auf die Idee kam, dieses Buch zu schreiben“, erinnert sich Hunke. „Ich fragte mich: Warum wird die ältere Generation nicht rechtzeitig über ihren dritten Lebensabschnitt oder die neuen Perspektiven einer verlängerten Lebenserwartung informiert? Werden ältere Menschen wie wir damals alleingelassen?“

Der Autor kennt darauf die Antwort: Ja – zumindest vom Staat. Deshalb dieses Buch. Es ist eine Art späte Wiedergutmachung. In dem Teil „Mein Leben in Stichworten“, das dem Buch angefügt ist, berichtet Jürgen Hunke von einer herben Niederlage: „Eine meiner ganz großen Ideen, wie man sich für seine letzten 30 Lebensjahre finanziell klug absichert, konnte ich nicht so vermitteln, dass noch viel mehr Menschen heute davon profitieren.“

„Menschen ab 65 brauchen einen Plan“

Gemeint sind damit Rentenversicherungen, die man in jungen Jahren langfristig abschließen sollte – Produkte, für die der Vermögensberater Hunke damals in die Kritik geriet. Der „Ratgeber für 33 Millionen Deutsche ab dem 50. Lebensjahr“, wie es im Vorwort steht, ist kein klassischer Ratgeber. Vielmehr tummeln sich auf 123 Seiten in lesefreundlicher, großer Schrift persönliche Empfehlungen aus einem reichen, prall mit Erfahrungen gefüllten Leben.

„Menschen ab 65 brauchen einen Plan, wie sie die nächsten 30 Jahre leben wollen“, weiß Hunke aus eigener Erfahrung. „Ich hatte immer einen Plan, zum Beispiel, dass ich in diesem Jahrtausend nicht mehr arbeiten will, um Geld zu verdienen.“ Dafür habe er vorgesorgt, sei immer fleißig gewesen, finanziell sparsam – außer in seinen ehrenamtlichen Engagements.

Ein Kapitel widmet er dem Glauben

Ein Kapitel widmet er dem Glauben, den ältere Menschen (wieder-)finden könnten. Für Hunke, der von seinen Eltern im Geburtsort Gütersloh zu einem protestantischen Christen erzogen wurde und der später für sich den Buddhismus als zusätzliche Philosophie entdeckte, ist Glauben ein zentrales Anliegen. „Ich bin ein unruhiger Geist. Das Streben nach Harmonie und das Bewusstsein, dass ich nicht allein bin, sondern ‚da oben‘ jemand über mich wacht, hilft mir sehr.“ Sein Glaube ist für alle sichtbar in Form zahlreicher Buddhafiguren, ob in Harvestehude oder seiner zweiten Wahlheimat Timmendorfer Strand, wo er eine Villa mit Galerie und Teehaus im japanischen Stil gebaut hat.

Familie nennt er seinen schönsten Erfolg

In dem Kapitel „Heute an übermorgen denken“ heißt es für die Spanne zwischen 70 und 80 Jahren: „Es ist nie zu spät für eine neue Liebe.“ Jürgen Hunke ist selbst das beste Beispiel dafür. Im August 2015 heiratete er die 34 Jahre jüngere Chinesin Chun-Li. Ihre gemeinsame Tochter wird bald zehn. „Meine Frau erzieht sie sehr streng, das ist der einzige Konflikt in unserer Beziehung. Ich lasse ihr mehr Freiraum. Außer beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen – da lasse ich sie nicht gewinnen, nur weil sie jünger ist.“

Familie bezeichnet der Selfmade-Millionär als „den schönsten Erfolg meines Lebens“. Aus einer früheren Ehe – „einer Jugendhochzeit, ich war damals 20“ – stammen drei weitere Kinder. Sie haben ihm sechs Enkelkinder beschert. Einmal im Jahr fährt die gesamte Patchwork-Familie in den Urlaub auf die thailändische Insel Ko Samui – sie ist sein Sehnsuchtsort.

Auch ihm läuft die Zeit davon

Bei allem Reden und Statistikenhe­runterbeten, dass wir immer länger leben und gesünder älter werden – auch einem Jürgen Hunke läuft die Zeit davon. Seine größte Angst ist letztendlich doch das Alter. Denn damit verbunden sind unausweichlich der Verlust der (finanziellen) Unabhängigkeit und Krankheit. Am liebsten würde er Wundermittel schlucken, damit er noch 20 Jahre lebe, hat er mal gesagt. „Ich möchte die Hochzeit meiner jüngsten Tochter noch erleben“, sagt der 74-Jährige.

Wie er im Ernstfall damit umgehen würde, unter Demenz oder Parkinson zu leiden oder dauerhaft im Rollstuhl sitzen zu müssen und von Schmerzen geplagt zu werden, wisse er nicht. „Ich verdränge solche Gedanken auch gern“, ist im Buch zu lesen. „Ich mache Sport und versuche, mich fit zu halten in der Hoffnung, verschont zu bleiben.“ Gerade diese Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit und mit dem Sterben wäre aber erwartbar in einem Mutmach-Buch für die Generation 50plus.

Nach vorne gucken

Stattdessen macht Jürgen Hunke das, was er am liebsten tut: nach vorne gucken. In „Elf Tipps aus meiner wertvollen Lebenserfahrung“ bekommt der Leser (und der ist tatsächlich eher gemeint als die Leserin) Tipps für ein vitales Leben. Ganz oben auf der Liste steht: „Als Mann unbedingt einen Hormonstatus machen.“ Der Autor selbst lässt sich regelmäßig Testosteron verabreichen – „Damit fühle ich mich wie 40!“

Desweiteren: auf eine gesunde Ernährung achten (wenig Alkohol, Verzicht auf Nikotin), zwei bis drei Entspannungsmassagen pro Woche mit kleinen Muskeltraining-Einheiten. Hunke lebt nach festen Ritualen: Jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen. Um sechs Uhr kommt der Masseur und bringt die Hamburger Tageszeitungen. „Bis acht Uhr habe ich alle durchgelesen. Ich will immer wissen, was auf der Welt passiert, bin neugierig.“

Auch mit 70 kann man sich noch ändern

Sport treiben lautet ein weiterer Ratschlag. „Das beste Sportgerät der Welt: ein Trampolin. Mit Musik macht das Training gute Laune.“ Eine – mit Verlaub – etwas kuriose Vorstellung: der 74-jährige Hunke, adrett im Sportdress, auf einem Trampolin hüpfend. Aber kann man sich Stones-Frontmann Mick Jagger, der genauso alt ist, beim Meditieren und Balletttanzen vorstellen? Also.

Dass man sich mit 70 Jahren noch ändern kann, davon ist Hunke überzeugt. „Man wird demütiger. Früher war ich streitlustiger, heute würde ich sagen, dass ich friedlicher geworden bin.“ Es fällt tatsächlich das Wort Barmherzigkeit. Seitdem Angela Merkel sich so für die Situation von Flüchtlingen engagiert, ist er wieder in der CDU. „Ich finde, dass man diese zutiefst christlichen Werte unterstützen muss.“

Und er setzt sich mit dem eigenen Ende auseinander. „Das hat mich selbst überrascht“, sagt Hunke. Für die Zeit nach seinem Tod hat der streitbare Unternehmer vorgesorgt und sich auf dem Waldfriedhof in Timmendorfer Strand schon mal einen Grabstein gesichert: schwarz, mit Bonsaibäumen drum herum und – natürlich – mit Meerblick.

Nächste Folge: Bernd Bönte, Manager der Klitschko-Brüder