Hamburg. 55 erzwungene Ausreisen seit Anfang 2016. CDU und Linke kritisieren Senat. Abschiebungen im großen Stil scheinen ausgeschlossen.
Es muss eine Zeit gegeben haben, in der Iman T. sich noch Hoffnungen machte. Ende des Jahres 2015 kommt der Afghane mit seiner Familie nach Hamburg. Stellt einen Asylantrag. Ein Monat vergeht, mehrere Monate, dann ein Jahr. Als sein Antrag abgelehnt wird, sitzt Iman T. schon in Haft. Er soll seine Frau und seine Kinder gewürgt und geschlagen haben.
Am Dienstag holen Polizisten den 31-Jährigen am Gefängnis ab, kurz vor seiner regulären Freilassung. Sie bringen ihn nach Nordrhein-Westfalen. Zu einem Flughafen. Hamburg will Iman T. nach Afghanistan abschieben, seine Familie darf vorerst bleiben. Es ist der drastischste mögliche Schritt des Staates. Auch der richtige?
157 Menschen freiwillig ausgereist
Obwohl Hamburg als einziges SPD-regiertes Bundesland an der Abschiebung von Straftätern und alleinreisenden Männern in das Bürgerkriegsland Afghanistan festhält, greift die Stadt nur selten zu diesem Mittel. Von Anfang 2016 bis Ende Juli dieses Jahres wurden 55 Afghanen aus Hamburg ausgewiesen. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Mehr als bislang bekannt – aber verschwindend wenig angesichts von mehr als 17.000 Afghanen, von denen eine Mehrheit nur einen eingeschränkten oder gar keinen Flüchtlingsstatus genießt.
Die Bilanz bringt dem Senat Kritik von zwei Seiten ein. Zwar gibt es keine Statistik über die Herkunft von verurteilten Straftätern – allein aber die sehr hohe Zahl von tatverdächtigen Afghanen legt laut CDU-Innenexperte Dennis Gladiator nahe, dass Straftäter längst nicht so konsequent abgeschoben werden, wie es Innensenator Andy Grote (SPD) angekündigt habe. „Der rot-grüne Senat ist aufgefordert, Licht ins Dunkel zu bringen, wie es zu dieser Diskrepanz kommen kann“, sagt Gladiator.
Kritik von der Linken
Die Linken-Innenexpertin Christiane Schneider kritisiert dagegen, dass Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund der Lage in dem Land unvertretbar sein. „Es handelt sich bei den Abschiebungen um Symbolpolitik, die Menschen aber mutmaßlich in den sicheren Tod schicken könnte. In jedem Fall schafft sie massive Verunsicherung bei anderen Afghanen und schadet so der Integration.“ Einig sind sich CDU und Linke in einem Punkt: Die bisherige Linie des Senats sei völlig inkonsequent.
Aus dem Senatsumfeld heißt es dagegen, dass mit Augenmaß vorgegangen werde. „Jeder Fall einer möglichen Abschiebung nach Afghanistan wird sehr sensibel geprüft. Es kann auch bei Straftätern sehr gute Gründe geben, die einer Abschiebung entgegenstehen“, sagt Florian Käckenmester, Sprecher der zuständigen Ausländerbehörde. Nach Abendblatt-Informationen gibt es zwischen Staatsanwaltschaft und Senat im Umgang zudem eine ungeschriebene Regel: Straftäter sollen erst mindestens die Hälfte ihrer Strafe in einem Hamburger Gefängnis verbringen, bevor eine Abschiebung forciert wird.
Sehr häufig dauert es Jahre, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überhaupt über den Asylantrag von Afghanen entschieden hat. 4300 Menschen aus Afghanistan haben derzeit eine sogenannte Aufenthaltsgestattung, weil das Verfahren bei ihnen noch nicht abgeschlossen ist. Dagegen werden rund 500 Afghanen laut der neuen Statistik „geduldet“, da sich eine Abschiebung nicht vollziehen lasse. 1200 Afghanen haben keinerlei Aufenthaltsrecht.
In der Praxis wird Afghanen häufig weder ein vollwertiger Status als Flüchtling zuerkannt, noch eine Pflicht zur Ausreise festgestellt. 3700 Menschen aus dem Land haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach einem speziellen Paragrafen im Gesetz, überwiegend für ein Jahr. Überraschend dabei: Unter diesen Afghanen in Hamburg sind mehr Frauen als Männer. Ein Viertel der Betroffenen ist minderjährig.
Im Senat wird umgedacht
Da Abschiebungen nach Afghanistan im großen Stil auch künftig nahezu ausgeschlossen scheinen, wird im Senat umgedacht. „Man muss sich der Realität stellen, dass viele Menschen ohne richtigen Aufenthaltstitel bereits längere Zeit in Deutschland leben – oder absehbar leben werden“, heißt es aus dem Umfeld von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Der Senat drängt deshalb im Bund darauf, solche Flüchtlinge besser zu fördern, etwa mit Mitteln der Arbeitsagentur.
Inzwischen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach der Bundestagswahl Vorschläge präsentieren soll (das Abendblatt berichtete). Das Bundesinnenministerium steht den Plänen dagegen kühl gegenüber. Der Staat müsse sich darauf konzentrieren, Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive auszuweisen.