Hamburg. Die Krankmeldung von Piloten trifft die Hansestadt: Mehr als 40 Flüge fielen am Dienstag aus, am Mittwoch wurden 14 Flüge gestrichen.

Der Niedergang von Air Berlin beschleunigt sich derzeit von Tag zu Tag: Seit dem Insolvenzantrag Mitte August musste die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands nicht nur die Streichung von immer mehr ihrer unprofitablen Langstreckenverbindungen ankündigen. Beteuerungen, der Flugbetrieb werde ansonsten „uneingeschränkt fortgeführt“, erwiesen sich aber bald als trügerisch. Bereits am ersten Septembersonntag fielen unter mysteriösen Umständen rund 40 Flüge aus – wie es offiziell hieß, „aus operativen Gründen“. Schon damals wurde in Branchenkreisen spekuliert, es hätten sich zahlreiche Mitarbeiter angesichts der Verunsicherung wegen der drohenden Zerschlagung des Unternehmens überraschend krankgemeldet.

Jetzt ist zur Gewissheit geworden, dass sich etliche Beschäftigte von Air Berlin im derzeit laufenden Verkaufsprozess unkooperativ verhalten. Am Dienstag wurden mehr als 100 der geplanten 750 Flüge gestrichen, weil sich nach Angaben der Airline 200 der rund 1500 Piloten, vor allem Kapitäne, praktisch gleichzeitig krankmeldeten. In Hamburg fielen 24 Abflüge und 21 Ankünfte aus. Mehr als 4000 Passagiere dürften betroffen gewesen sein. Und auch am frühen Mittwochmorgen waren bereits wieder Flüge gestrichen worden. Insgesamt handelt es sich um 14 Flüge, wie ein Sprecher des Flughafens am Mittwochmorgen sagte. Darunter seien auch Verbindungen von Euro- und Germanwings. Air-Berlin-Maschinen und deren Crews fliegen auf Mietbasis auch für Euro- und Germanwings, somit können deren Flüge auch ausfallen.

Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann fand für die Aktion deutliche Worte: „Das, was wir heute bei einem Teil der Belegschaft sehen, ist ein Spiel mit dem Feuer.“ Dieser Tag koste das Unternehmen mehrere Millionen Euro. „Wir führen gerade die finalen Gespräche mit möglichen Investoren“, so Winkelmann. Ein stabiler Flugbetrieb sei „die zwingende Voraussetzung für ein Gelingen dieser Verhandlungen“.

Geschäftsleitung nicht auf Forderungen eingegangen

Hintergrund der Protestaktion von Flugbesatzungen ist offenbar, dass die Geschäftsleitung von Air Berlin bisher nicht auf Forderungen der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) eingegangen ist, einen Sozialplan abzuschließen, in dem die Bedingungen für den Übergang des fliegenden Personals auf einen neuen Eigentümer der Airline geregelt werden. Wie es in Branchenkreisen hieß, will die Firmenleitung erst darüber verhandeln, wenn ein Käufer feststeht, denn durch den Abschluss eines Sozialplans schon zuvor könnten potenzielle Investoren abgeschreckt werden.

Trotzdem zeigte sich die Pilotengewerkschaft am Dienstag „überrascht“ von der Reaktion etlicher Cockpitbesatzungen. „Zu keinem Zeitpunkt hat die VC dazu aufgerufen, sich krankzumelden“, teilte die Organisation mit. Es handele sich um eine „spontane Aktion“ der Piloten, sagte VC-Sprecher Markus Wahl. Für Unmut hat nach seinen Worten auch die Ankündigung von Air Berlin gesorgt, Transatlantikstrecken früher als zunächst vorgesehen zu streichen. Bei Langstreckenflügen sitzen meist sehr erfahrene Crews im Cockpit. Das Management nutze somit die Streichungen, um den „teureren Piloten zu kündigen“, sagte Wahl. Er fügte hinzu: „Hier wird die Braut ganz offensichtlich für den Verkauf hübsch gemacht.“

Die Gewerkschaft Ver.di erklärte, sie halte die Krankmeldungen für „keinesfalls verwunderlich“. Es sei „nicht auszuschließen“, dass es auch bei anderen Beschäftigten dazu kommen könne, sagte Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Zwar rief Ver.di die Mitarbeiter der Airline dazu auf, den Flugbetrieb weiter aufrechtzuerhalten, um die Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Behle zeigte aber Verständnis für „Angst und Wut“ in der Belegschaft: „In allen Gesprächen rund um die insolvente Air Berlin geht es um wirtschaftliche Interessen, aber nicht um die Arbeitsplätze von mehr als 8000 Beschäftigten.“

300 Millionen Euro Verlust

Das Unternehmen hatte Insolvenzantrag stellen müssen, nachdem der Großaktionär, die arabische Fluggesellschaft Etihad, ihre Unterstützungszahlungen einstellte. Die Berliner hatten zuletzt im Jahr 2012 einen kleinen Gewinn ausgewiesen. Für das erste Quartal 2017 verbuchten sie bei einem Umsatz von knapp 650 Millionen Euro einen heftigen Verlust von fast 300 Millionen Euro.

Noch bis zum Freitag können Kaufangebote für Air Berlin eingereicht werden – und schon am Donnerstag kommender Woche könnte eine Entscheidung fallen, wer zum Zuge kommt. Als Interessenten bekannt sind die Lufthansa und der Luftfahrtunternehmer Hans Rudolf Wöhrl, der bis zu 500 Millionen Euro zahlen will. Erwartet wird, dass auch der britische Billigflieger EasyJet und der Ferienflieger Condor zumindest für Teile von Air Berlin mitbieten werden.

Ryanair, der größte Billigflieger Europas, ist nicht dabei. Die Iren haben aber offensichtlich vor, ihre Präsenz in Deutschland deutlich auszubauen. Am Dienstag teilten sie mit, in Frankfurt die Anzahl der stationierten Jets zum Sommer 2018 um drei auf zehn zu steigern. Auch in Hamburg, wo Ryanair seit November 2016 ein kleines Drehkreuz mit zwei Flugzeugen unterhält, bietet sich eine Wachstumschance, denn der Konkurrent EasyJet schließt im März seine Basis hier.Man darf gespannt sein: Für den morgigen Donnerstag hat Ryanair-Vorstandschef Michael O’Leary zu einer Pressekonferenz am Hamburger Flughafen eingeladen.