Hamburg. Deutscher Gewerkschaftsbund warnt vor den Folgen – vor allem für Frauen. Es sei eine „tickende Zeitbombe“.
Auf den ersten Blick müsste diese Entwicklung alle Arbeitsmarktexperten in Jubelstimmung versetzen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg klettert von Rekord zu Rekord: Lag sie 2004 noch bei 740.000 Personen, ist sie bis 2016 auf 932.000 angestiegen. Ein Zuwachs um fast 200.000 Beschäftigte in einer Stadt, die 1,8 Millionen Einwohner hat – da könnte man von einem Jobwunder sprechen.
Doch unter der glitzernden Oberfläche gibt es auch eine Entwicklung, die vielen Experten Sorge bereitet: die Altersarmut – die drohende noch mehr als die jetzt schon vorhandene. „Das ist eine tickende Zeitbombe“, sagt Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord. Seine Einschätzung stützt er auf den „Rentenreport Hamburg 2017“, den der Gewerkschaftsbund am Donnerstag vorgestellt hat.
Leitartikel: Uns geht’s gut – wirklich?
Demnach bekam im Jahr 2015 ein Hamburger Rentner im Durchschnitt 1118 Euro, eine Rentnerin sogar nur 710 Euro. Dass es nicht einfach ist, mit solchen Einkommen in einer teuren Großstadt wie Hamburg zurechtzukommen, liegt auf der Hand. Umso mehr muss eine andere Entwicklung beunruhigen: Denn bei den Ruheständlern, die 2015 erstmals eine Rente bezogen, lagen die Durchschnittssätze noch niedriger: Männer erhielten im Schnitt 985 Euro, Frauen 700 Euro. „Das Thema brennt den Leuten unter den Nägeln“, sagt Polkaehn. „Viele fragen sich, wie sie ein würdevolles Leben im Alter absichern können.“
Noch härter ist es dem DGB-Report zufolge für Empfänger von Erwerbsminderungsrenten: Sie lagen 2015 bei Männern im Schnitt bei 660 Euro, bei Frauen bei 701 Euro. Auch hier galt: Wer 2015 erstmals eine Erwerbsminderungsrente bezog, bekam noch weniger als der Durchschnitt der bisherigen Bezieher: Männer 598 Euro, Frauen 628 Euro.
Länger arbeiten bei weniger Rente
Gleichzeitig arbeiten die Hamburger aber deutlich länger als noch vor einigen Jahren: Männer gingen 2015 im Schnitt mit 64,2 Jahren in Rente, Frauen mit 64,9 Jahren. Gegenüber dem Jahr 2000 stieg das Renteneintrittsalter bei Männern um 4,5 und bei Frauen um drei Jahre an.
Dass die Menschen länger arbeiten, gleichzeitig aber weniger Rente bekommen, dass das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben wurde, gleichzeitig aber das Rentenniveau von 48 auf 43 Prozent in 2030 sinken soll, alles das veranlasst Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger dazu, von „düsteren Zukunftsaussichten“ zu sprechen.
Denn dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs in Hamburg seit 2004 um 26 Prozent gestiegen ist – was der DGB natürlich begrüßt –, liege auch daran, dass vor allem die „atypische Beschäftigung“ immer mehr zunehme. So stieg dem DGB-Report zufolge die Zahl der Teilzeitbeschäftigten im gleichen Zeitraum um 83 Prozent: von 133.000 auf 245.000. Und die Zahl der Leiharbeiter stieg sogar um 115 Prozent, von 13.900 auf 29.900. Nur die Zahl der geringfügig Beschäftigten lag mit einem Zuwachs um 21 Prozent (von 144.000 auf 174.000) leicht unter dem generellen Anstieg der Arbeitsplätze.
„Atypisch“ Beschäftigte von Altersarmut bedroht
Alle diese „atypisch“ Beschäftigten laufen laut DGB Gefahr, im Alter von Armut bedroht zu sein. Karger hat vor allem die Frauen im Blick: „70 Prozent der Arbeitnehmerinnen arbeiten in Minijobs oder in Teilzeit“, sagt sie. „Viele wissen gar nicht, was das für Folgen im Alter hat. Ich habe große Sorgen vor dem, was da auf uns zukommt.“
Zumal die Hamburger Rentner schon jetzt überdurchschnittlich oft arm sind. Gut 40.000 beziehen zusätzlich eine „Grundsicherung im Alter“, 16.200 vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze und 23.900 danach. Das Thema betrifft damit 7,5 Prozent aller Altersrentner – mehr als in jedem anderen Bundesland.
Rente in Hamburg: Reicht sie für hohe Lebenshaltungskosten?
In Schleswig-Holstein und Niedersachsen liegt die Quote bei 3,2 Prozent, und selbst in den beiden anderen Stadtstaaten Bremen (6,4) und Berlin (6,2) ist sie deutlich niedriger. Woran das liegt? „In Hamburg sind die Lebenshaltungskosten und die Mieten hoch, das ist für die Rentner eine besondere Belastung“, sagt Karger. Die Gewerkschaften seien deswegen mit dem Senat im Gespräch.
„Der beste Schutz vor Altersarmut ist eine hohe Erwerbsbeteiligung in der aktiven Lebensphase, weil dies zu einer auskömmlichen Rente führt“, heißt es dazu aus der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Dafür tue der Senat einiges. Beispielhaft führte die Behörde den Mindestlohn und die Gesundheitsförderung zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit an. Außerdem bemühe man sich darum, besonders von Armut bedrohte Gruppen wie Frauen, Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund in Arbeit zu bringen.