Hamburg. Karl J. Pojer, Chef des Branchenverbands CLIA, über starkes Passagierwachstum, Umweltschutz auf dem Meer und neue Traumschiffe.

Der gebürtige Österreicher Karl J. Pojer ist ein international anerkannter Tourismusexperte. Nach leitenden Positionen bei verschiedenen Hotelgruppen kam er im Jahr 1996 zur TUI. 2006 wurde er dort Bereichsvorstand, seit März 2013 ist er Geschäftsführer der TUI-Kreuzfahrttochter Hapag-Lloyd Cruises. Im April 2016 übernahm der 62-Jährige zusätzlich den Vorsitz der deutschen Vertretung des internationalen Kreuzfahrtverbandes Cruise Lines International Association (CLIA). Im Interview mit dem Abendblatt anlässlich der Fachmesse Seatrade Europe spricht er über die Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes und begründet, warum er gegen einen Mindestlohn für Schiffsbesatzungen ist, der von Gewerkschaftern gefordert wird.

Herr Pojer, wie entwickelt sich der Kreuzfahrtmarkt in Deutschland?

Karl J. Pojer: Sehr positiv. Unsere Branche hat in Deutschland im vergangenen Jahr 3,38 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Das sind knapp 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Und wir haben erstmals mehr als zwei Millionen Passagiere gezählt. Zugleich hat sich der durchschnittliche Reisepreis pro Buchung um sechs Prozent erhöht. Entscheidend ist aber, dass das Wachstum mehr auf die Nachfrage zurückzuführen ist. Wir sind also in der komfortablen Situation, dass die Nachfrage steigt, ebenso wie die Preisbereitschaft. Das spricht für eine hohe Akzeptanz unserer Produkte.

Seatrade – das Branchentreffen in Hamburg

Werden die Preise weiter steigen? Und gibt es nicht irgendwann einen Punkt, an dem die Kunden aussteigen?

Pojer: Sicher werden die Preise steigen. unsere Kosten steigen konjunkturbedingt ja auch. Man muss aber sehen, dass es inzwischen für jeden Geschmack und jedes Portemonnaie das passende Schiff gibt. Deshalb sehe ich derzeit nicht die Gefahr, dass die Entwicklung abbricht. Im Gegenteil: Lange galten Kreuzfahrten als eine Urlaubsform, die sich nur Betuchte und Pensionäre gönnen und leisten konnten. Heute ist jeder zehnte Kreuzfahrtgast jünger als 15 Jahre. Und unsere Branche stellt sich darauf ein. Ich bin schon eine Weile im Tourismusgeschäft, war lange in der Hotellerie engagiert. Aber ich bin heute davon überzeugt, dass die Kreuzfahrtindustrie die kreativste Branche mit der höchsten Innovationsgeschwindigkeit ist.

Wo sehen Sie denn die Passagierzahlen in zwei, drei Jahren?

Pojer: Ich wage die Prognose, dass wir in Deutschland von heute gut zwei Millionen Passagieren bis 2020 drei Millionen erreichen werden. Der Grund für diesen Zuwachs liegt im wachsenden Angebot. Es kommen viele neue Schiffe in den Markt.

So haben auch die Reedereien in der Handelsschifffahrt gedacht und stetig neue Schiffe bestellt. Dann kam die Finanzkrise 2007 und mit ihr das große Jammern.

Pojer: Das können sie nicht vergleichen. In der Handelsschifffahrt sind wohl auch Fehler gemacht worden, die zu den gewal­tigen Überkapazitäten führten. Auch wenn den Auftragsbüchern zufolge bis 2025 insgesamt 75 neue Kreuzfahrtschiffe dazukommen, sehe ich diese Gefahr­ in unserer Branche nicht, weil die Märkte wachsen. Das heißt, Schiffsneubauten werden nachfragebezogen bestellt. Das Wachstumspotenzial ist groß, selbst wenn es zu konjunkturellen Schwankungen kommt. Denn am Urlaub wollen die Menschen als Letztes sparen. Lieber ersetze ich mein Auto ein Jahr später.

Sie sprachen das junge Publikum an. Heute werden Kartbahnen und Eislaufplätze auf Kreuzfahrtschiffen angelegt. Wo führt die Entwicklung noch hin?

Pojer: Natürlich kann man darüber streiten, ob die Wasserrutschen noch größer und spektakulärer werden müssen. Fakt ist aber, das für die deutschsprachigen Passagiere vorrangig die angebotene Route und die Gastronomie entscheidende Kriterien für eine Buchung sind. Das ist zum Beispiel bei amerikanischen Kunden durchaus anders, da ist eher das Schiff selbst die Destination. Dort wird immer mehr Entertainment auf die Schiffe gepackt. Wir bei Hapag-Lloyd Cruises gehen einen ganz anderen Weg: Wir setzen Individualität an die erste Stelle, also das persönliche Erlebnis. Dazu braucht man übrigens kleinere Schiffe, nicht größere.

Aber die Schiffe werden letztlich doch immer größer ...

Pojer: Nicht in allen Segmenten. Aber es stimmt – ich persönlich finde diese Entwicklung nicht unkritisch. Die großen Schiffe sind andererseits erfolgreich. Solange sie gebucht werden, darf sich niemand daran stören. Die Nachfrage und Vorlieben regulieren letztendlich den Markt.

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Tatsache, das Kreuzfahrten zu einem Massenprodukt geworden sind, der Branche auch schadet?

Pojer: Solange die Nachfrage das Angebot übersteigt, nicht. Der Schlüssel ist dabei Diversifikation. Ein Kreuzfahrtschiff, das allen Erwartungen der Kunden gleichzeitig gerecht werden will, wird technisch und ökonomisch langfristig nicht erfolgreich sein. Wie ich aber bereits sagte, gibt es für jedes Bedürfnis das passende Schiff. Unser Markt ist klar zielgruppenorientiert, und jeder Anbieter hat seine Nische gefunden, ob mit großen oder kleinen Schiffen.

In Hamburg wird ja überlegt, ein weiteres Kreuzfahrtterminal zu bauen ...

Pojer: ... uns brauchen Sie nicht zu fragen, wir sind dafür!

Es gibt aber auch Bedenken, ob man einen weiteren Anleger benötigt.

Pojer: Warum die Zurückhaltung? Hamburg ist zwar von den Gebühren her teuer, aber eine unglaublich tolle und spektakuläre Kreuzfahrtdestination. An den Cruise Days werden wir sowohl die „Europa“ wie auch die „Europa 2“ gleichzeitig in der Hansestadt haben. Wir sind von hier aus zu einer 337 Tage langen Weltreise gestartet und haben sie hier auch beendet. Wir machen das, weil Hamburg bei unseren Gästen beliebt ist. Wir sollten hier also etwas selbstbewusster sein.

Eines der Themen bei der Seatrade Europe ist der Umweltschutz. Die Kreuzfahrt­industrie steht im Fokus der Umweltverbände, die ihr Ignoranz vorwerfen. Nun lässt der Carnival-Konzern sieben neue Schiffe bauen, die ausschließlich mit Flüssigerdgas (LNG) betrieben werden sollen. Setzt das den Rest der Branche unter Druck, dem Beispiel zu folgen?

Pojer: Also zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich den Umgang mit der Kreuzfahrtindustrie manchmal unfair finde. Wir wissen doch alle, dass die Kreuzfahrtschiffe gerade einmal zwei Prozent des Verkehrs auf den Weltmeeren ausmachen. Und es ist ja nicht so, dass wir uns nicht um das Thema kümmern. Im Gegenteil: Wir, die Geschäftsführer der Reedereien und die Verantwortlichen, beraten ständig intensiv darüber, wie wir unsere Schiffe noch umweltverträglicher gestalten können. Ein verant­wortungsbewusster Kreuzfahrtmanager kommt an dem Thema Nachhaltigkeit doch gar nicht vorbei, weil er sonst sein eigenes Produkt gefährdet. Deshalb ist LNG auch ein wichtiges Thema. Allerdings ist es für viele Schiffe nicht möglich, LNG einzusetzen.

Weshalb?

Pojer: Sie können ein zehn Jahre altes Schiff nicht auf LNG umrüsten. Sie können es aber auch nicht stilllegen, weil es 30 Jahre laufen sollte, um eine wirtschaftlich nachhaltige, sinnvolle Investition zu sein. LNG-Tanks benötigen viel Platz, kleine Schiffe können damit also auch nicht angetrieben werden. Man kann das auch nicht überall bunkern. Kurz: LNG ist ein großer Schritt, wird aber nicht für alle möglich sein. Deshalb sage ich: Es gibt nicht nur die eine Lösung, sondern es gibt viele Möglichkeiten, sauberer zu werden. Es gibt Abgasreinigungssysteme, wir haben Katalysatoren auf unseren Schiffen, in den Häfen entsteht Landstromversorgung.

Aber diese wird von Ihrer Branche doch kaum genutzt. In Hamburg wird gerade einmal ein einziges Schiff mit Landstrom versorgt ...

Pojer: Ja, aber diese Form der Energieversorgung ist ja auch noch in der Entwicklung. Unsere Schiffe haben – wie andere übrigens auch – die notwendigen Anschlüsse an Bord – und wir haben dafür viel Geld ausgegeben, also werden wir sie auch nutzen.

Auch in Hamburg?

Pojer: Selbstverständlich.

Und wann?

Pojer: Alsbald. Da sind noch einige wenige Vorarbeiten nötig, wir müssen ja sichergehen, dass das System an Land und auf den Schiffen zu einhundert Prozent kompatibel ist.

Ein weiterer Kritikpunkt an Ihrer Branche ist die schlechte Bezahlung des Personals, insbesondere unter Deck. Es gibt Berichte, nach denen Kabinenstewards weniger als einen Euro pro Stunde verdienen. Muss sich die Branche bei 3,38 Milliarden Euro Umsatz nicht die Frage gefallen lassen, ob das fair ist?

Pojer: Also zunächst einmal ist mir kein solcher Fall bekannt. Und dann muss man sehen, jeder ist freiwillig an Bord, wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen wollen etwas von der Welt sehen, andere ihre Karriere planen, dritte einfach nur einen sicheren Arbeitsplatz haben und Geld verdienen. Ein Großteil der Reedereien zum Beispiel arbeitet mit den beliebten und gut ausgebildeten Crewmitgliedern aus den Philippinen zusammen. Die philippinischen Kollegen verdienen bei uns verhältnismäßig sehr gutes Geld und sind damit in der Lage, zu Hause ihre Familien umfassend zu ernähren. Sie werden voll verpflegt, und sie werden top geschult. Für viele ist es ein Privileg, an Bord zu sein. Wer von einem Kreuzfahrtschiff kommt, findet schnell einen neuen Job, weil bekannt ist, dass die Industrie ihre Leute sehr gut ausbildet. Viele Mitarbeiter sind seit Jahren an Bord – das wären sie nicht, wenn die Bezahlung nicht ausgewogen ist.

Aber was spricht gegen den deutschen Mindestlohn an Bord?

Pojer: Ich glaube, das wäre nicht zielführend. Wir machen uns sehr viele Gedanken darüber, die Crews an Bord bei Laune zu halten, weil wir auf deren Leistung angewiesen sind. Die Standards der Crewkabinen gleichen sich immer mehr den Passagierkabinen an, weil wir wollen, dass sich die Mitarbeiter an Bord wohlfühlen. Auch die Gäste spüren, ob die Stimmung der Crew an Bord gut ist oder nicht. Schließlich gibt es auch einen internen Wettbewerb um die besten Kräfte. Die Einführung eines Mindestlohns ist gar nicht nötig, weil sich jeder in dieser­ Branche bei diesem Wachstum bei der Frage der Gehälter nach oben bewegen wird.

Wie geht es Ihrem Unternehmen, Hapag-Lloyd Cruises?

Pojer: Als 100-prozentige Tochter der TUI AG haben wir in den vergangenen Jahren eine ungeheure Entwicklung gemacht. Wir werden in diesem Jahr unser bestes Ergebnis in der Geschichte erreichen. Wir sind klar fokussiert auf Luxus- und Expeditionskreuzfahrten und haben mit der „Europa“ und der „Europa 2“ die einzigen Fünf-Sterne-Plus-Schiffe auf der Welt in der Flotte. Zwei neue Expeditionsschiffe sind im Bau und werden ab 2019 die Weltmeere bereisen. Unser Anspruch ist es, für unsere 67 Prozent Stammkunden, aber auch die Neukunden, immer neue Destinationen anzulaufen, so wie wir jetzt die Großen Seen in Nordamerika in unser Programm aufgenommen haben. Wir verkaufen Emotionen und Erlebnisse, nicht Kabinen.

Denken Sie dabei auch an den Bau einer „Europa 3“?

Pojer: Ja, auch mit einem möglichen Wachstum im Luxussegment werden wir uns zu gegebener Zeit befassen.