Schenefeld/Hamburg. Die Anlage verbindet Hamburg und Schleswig-Holstein – die Experimente sollen Forscher aus aller Welt zusammenbringen.
Er hielt die symbolische goldene Nutzerkarte in die Höhe wie eine Trophäe: Alexander Guda, Physiker aus der russischen Stadt Rostow am Don, darf als einer der Ersten den stärksten Röntgenlaser der Welt nutzen – im schleswig-holsteinischen Schenefeld. Dort sollen in einer unterirdischen Experimentierhalle bis zu 27.000 Lichtblitze pro Sekunde ankommen, um winzige Proben zu erhellen – bis auf die Ebene von Atomen.
Die Wissenschaft habe nun ein „neues Spielzeug“, sagte Guda und erntete damit viele Lacher in dem Festzelt, in dem etwa 800 Gäste aus aller Welt bereits sechs mitunter etwas sperrige Reden gehört hatten. Das Spielzeug namens European XFEL hat 1,5 Milliarden Euro gekostet und soll natürlich in erster Linie ernsthafter Forschung dienen – aber dazu gehört eben auch Spaß, wie Physiker Guda deutlich machte.
Zentral beim European XFEL: Internationalität
Zu den ersten Nutzern der Maschine, die Supermikroskop und Hochleistungskamera in einem ist, gehört auch eine Hamburger Gruppe um den britischen Biophysiker Henry Chapman und den Australier Anton Barty vom Zentrum für Freie-Elektronen-Laser (CFEL) in Bahrenfeld. Schon diese Auswahl zeigt, was typisch sein wird für die Studien mit dem Röntgenlaser: Internationalität.
Wer wolle, dass „die Besten der Welt zusammenkommen“, müsse ein solches Projekt in Gang bringen, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU). Deutschland hat mit rund 760 Millionen Euro den Löwenanteil der Kosten für Bau und Inbetriebnahme übernommen. „Gut angelegtes Geld“, sagte Wanka. „Die Basis für die Innovationen von morgen wird durch die Grundlagenforschung von heute gelegt.“
Scholz: "Signale für Frieden und Völkerverständigung"
Das sieht auch der Vertreter Russlands so, das den zweitgrößten Beitrag beisteuerte. „Dieses internationale Megaprojekt der Forschung ist unser gemeinsamer intellektueller Beitrag zur Welt der Wissenschaft“, sagte Andrei Fursenko, Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Viele junge Menschen aus verschiedenen Ländern arbeiten an diesem Projekt, was zeigt, dass es für die Zukunft konzipiert ist.“
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte, der European XFEL sende „Signale für Völkerverständigung und Frieden“. Das sei ein „ermutigendes Zeichen in einer angespannten Zeit“.
Mitte September starten die ersten Experimente
Die Forschungsanlage ist 3,4 Kilometer lang. Sie verläuft sechs bis 38 Meter unter der Erdoberfläche zwischen dem Forschungszentrum Desy in Bahrenfeld und der unterirdischen Experimentierhalle in Schenefeld.
Wenn Mitte September die ersten Experimente starten, wird der Hamburger Superlaser das leistungsfähigste Instrument seiner Art sein. Mit dem bisher stärksten Gerät dieser Art, dem LCLS in Stanford (Kalifornien), erzeugen Forscher 120 Lichtblitze pro Sekunde – fast 230-mal mehr Pulse pro Sekunde soll der European XFEL schaffen. Damit sollen sich Messungen in wenigen Tagen bewältigen lassen, die in Stanford heute Wochen dauern.
Wie gut das tatsächlich funktioniert und wie sich die Anlage auch im Vergleich zur Konkurrenz etwa in Japan, Südkorea und der Schweiz schlägt, muss sich in den kommenden Jahren allerdings erst zeigen.
Forscher wollen etwa Proteine bei der Arbeit beobachten
Die Bilder aus dem Inneren der Materie sind eine computergestützte Rekonstruktion der Wirklichkeit. Um etwa die Struktur von Biomolekülen zu entschlüsseln, spritzen Forscher Teilchen in einer Flüssigkeit in die Probenkammer. Jedes Mal, wenn ein Lichtblitz zum Beispiel einen Proteinkristall trifft, entsteht ein Streubild, das ein Detektor aufnimmt. Aus Millionen von Streubildern lässt sich ein dreidimensionales Abbild der Probe errechnen – im Idealfall bis zum einzelnen Atom.
Infektionsforscher wollen mit dem Röntgenlaser erkunden, wie genau krankheitserregende Viren unsere Zellen manipulieren und wie Medikamente dagegen wirken könnten. Biochemiker möchten etwa den Beginn der Proteinfaltung ins Visier nehmen. Läuft diese schief, lagern sich falsch gefaltete Proteine zu Klumpen zusammen, was wahrscheinlich zur Entstehung von Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson beiträgt.
Stärkere Akkus und miniaturisierte Datenspeicher
Außerdem auf der Experimentier-Agenda: Wie lassen sich miniaturisierte Datenspeicher, stärkere Akkus und effizientere Katalysatoren konstruieren? Auch die hier zugrunde liegenden Prozesse haben damit zu tun, wie sich winzige Teilchen verhalten.
Selbst Astrophysiker werden die Blitzmaschine nutzen, sobald eine Experimentierstation namens HED fertig ist. In dem Gerät sollen Laserstrahlen extreme Materiezustände erzeugen, wie sie vermutlich im Inneren von riesigen Gasplaneten und Sternen herrschen.
Atomen auf der Spur mit dem European XFEL
Röntgenstrahlen helfen schon lange dabei, die Struktur von Materialien abzubilden und ihre Zusammensetzung zu analysieren – nicht nur beim Arzt und im Chemielabor, sondern auch in der Forschung. Wer Winzlinge wie Atome sehen und ihre Anordnung erkennen will, braucht allerdings extrem energiereiches Licht. Denn je höher die Energie der Lichtteilchen (Photonen) ist, desto kürzer sind die Wellenlängen des Lichts. Ist die Wellenlänge so kurz wie der Abstand zwischen Atomen oder kürzer, lassen sich die Teilchen unterscheiden.
Der Durchmesser eines Atoms beträgt etwa ein Zehntel Nanometer (0,00000001 cm) – die Wellenlängen der Röntgenblitze des European XFEL sollen bis zu 0,05 Nanometer klein sein. Zum Vergleich: Die kleine Version des XFEL, der lange Freie-Elektronen-Laser "Flash" bei Desy, erreicht Wellenlängen von bis zu 4,2 Nanometern. Das reicht nicht für eine atomare Auflösung.
Je größer die Anlage, desto mehr Energie
Mit Röntgengeräten im Büroformat ließe sich derart starkes Licht mit kurzen Wellenlängen nicht erzeugen. Dafür sind große Teilchenbeschleuniger nötig. Ein solcher, gesteuert vom Forschungszentrum DESY, gehört auch zur Anlage des European XFEL. In dem Beschleuniger werden Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und dann durch Magneten auf einen Slalomkurs gebracht, wodurch die Teilchen extrem helle und kurze Röntgenblitze mit laserartigen Eigenschaften aussenden.
Je länger der Beschleuniger ist, desto größer ist die Energie beziehungsweise kürzer ist die Wellenlänge des Lichts. Die "Rennstrecke" des "Flash"-Lasers ist rund 137 Meter lang – die des European XFEL dagegen ist mit 1,7 Kilometern etwa zwölfmal länger. Damit erreichen die Elektronen dort etwa zwölfmal mehr Energie.
So erklärt es sich, warum Wissenschaftler immer größere Maschinen konstruieren, um mit Laserlicht kleinste Strukturen zu enträtseln.