Hamburg. Im Herbst geht das weltweit erste Großprojekt ans Netz – mit Anlagen von Siemens. Auch Senvion setzt Hoffnungen in die Technologie.

Im Hafen des norwegischen Städtchens Stord – gelegen auf halbem Weg zwischen Stavanger und Bergen – bot sich in den vergangenen Wochen in regelmäßigen Abständen ein sonderbares Bild: Ein Spezialschiff nimmt eine im Wasser stehende Windkraftanlage an den Haken, zieht den 100 Meter hoch aufragenden Turm mit den drei je 75 Meter langen Rotorblättern hinaus aufs Meer und verschwindet damit erst hinter den zahlreichen Inselchen und dann hinter dem Horizont. Es waren Vorarbeiten für den weltweit ersten schwimmenden Windpark und damit für ein neues Kapitel in der kommerziellen Nutzung der Windenergie. Zwei in Hamburg ansässige Unternehmen gehören zu den Pionieren.

Fünf der schwimmenden Windräder wurden in Norwegen installiert und über die Nordsee Richtung Schottland geschleppt. Etwa 25 Kilometer vor der Stadt Peterhead dümpeln sie künftig im 90 bis 120 Meter tiefen Wasser und bilden gemeinsam den Windpark Hywind. In wenigen Wochen soll er erstmals Strom ins britische Netz einspeisen.

50 Prozent mehr Strom aus Offshore-Parks

Es ist ein Projekt des norwegischen Statoil-Konzerns; er hat die schwimmenden Fundamente entwickeln lassen. Die Windkraftanlagen auf ihnen hat Siemens geliefert. Und die Offshore-Sparte des Konzerns hat auch nach der Fusion mit dem spanischen Hersteller Gamesa in diesem Frühjahr ihren Sitz weiter in Hamburg und im dänischen Vejle.

Michael Hannibal, Vorstandschef für den Offshore-Bereich bei Siemens Gamesa Renewable Energy, sagte unlängst: „Siemens Gamesa betrachtet den Markt für schwimmende Windparks genauso wie die Offshore-Windparks in den frühen Anfängen: Es ist ein sehr interessanter Bereich, der zunächst eine Nische ist; diese Nische kann sich im Laufe der Zeit jedoch zu einem großen Markt entwickeln. Wir glauben an diese Nische und möchten dort ein wichtiger Player bleiben.“

„Wir waren schon immer Pioniere“

Cornelius Drücker, Leiter Offshore bei Senvion, formuliert es für den Hamburger Windkraftanlagen-Hersteller ganz ähnlich: „Wir waren schon immer Pioniere und wollen es auch bei dieser Technologie sein. Sie kann dem Unternehmen neue, interessante Märkte erschließen.“ Auch Senvion hat eine Anlage, die für schwimmende Fundamente geeignet ist. Erstmals installiert werden drei bis vier davon voraussichtlich im Jahr 2020 gut 20 Kilometer vor der französischen Mittelmeerküste in 55 Meter tiefem Wasser.

Wobei: Das Windrad muss nicht neu erfunden werden für den schwimmenden Einsatz, aber an ihn angepasst. Sowohl Senvion als auch Siemens Gamesa liefern modifizierte Offshore-Anlagen der 6-Megawatt-Klasse mit einem Rotordurchmesser von mehr als 150 Metern an ihre Kunden. „Auch eine im Meeresgrund befestigte Anlage schwankt, eine Anlage auf schwimmendem Fundament aber stärker“, sagt Drücker.

Bestimmte Komponenten stabiler ausgelegt

Der Turm neige sich bis zu mehrere Grad zur Seite. Auf Höhe der Nabe gut 100 Meter über dem Meeresspiegel sind das mehrere Meter. Vor allem die Steuerung der Anlage, die den Rotor in die optimale Position zum Wind bringt, habe an die stärkeren Bewegungen angepasst werden müssen, heißt es in beiden Unternehmen. Bestimmte Komponenten seien noch stabiler ausgelegt worden, um die zusätzlich wirkenden Kräfte aufzufangen.

Die Fundamente, auf denen die Anlagen stehen, unterscheiden sich stark. Statoil setzt auf einen Lösung, die an eine Angelpose erinnert: eine Dutzende Meter lange Stahlröhre gefüllt mit Tausenden Tonnen Ballast und gleichzeitig so viel Luft, dass sie noch aus dem Wasser ragt. Die Senvion-Windräder sind für pontonartige Fundamente aus Beton optimiert, die von einem französischen Konsortium entwickelt wurden. Dicke Stahlketten an tief im Meeresgrund steckenden Betonankern halten die schwimmenden Kraftwerke auf Position. So wie bei Ölplattformen im Meer.

In Japan und USA wächst das Interesse

Es ist eine Technik, die der Offshore-Windkraft eine Vielzahl neuer potenzieller Standorte öffnet. Daran knüpfen sich Hoffnungen der derzeit unter Auftragsflaute leidenden Hersteller – mehrere von ihnen bauen gerade Personal ab – auf eine bessere Zukunft. „Schwimmende Offshore-Windparks sind für Länder interessant, vor deren Küsten der Meeresboden schnell stark abfällt“, sagt Senvion-Manager Drücker. Bislang sind Windräder auf dem Meer vor allem in der vergleichsweise flachen Nord- und in der Ostsee verbreitet. Die Nordsee ist in weiten Teilen kaum tiefer als 30 Meter. Das sind gute Voraussetzungen, um ein Fundament in den Grund zu rammen. Doch je tiefer das Wasser, desto schwieriger wird das.

Nach jahrelangen Tests mit einzelnen schwimmenden Anlagen steige das Interesse an größeren Projekten mit dieser Technik in Ländern wie Japan, Taiwan, USA derzeit spürbar, sagt Offshore-Experte Drücker. Statoil verbreitet eine Prognose, der zufolge die Kapazität schwimmender Windparks ab etwa 2020 deutlich steigt, Mitte des kommenden Jahrzehnts mehr als 2000 Megawatt erreicht und bis 2030 bereits fast 13.000 Megawatt.

Hälfte der Projekte vor Europas Küsten

Die Hälfte der Projekte wird demnach vor Europas Küsten realisiert, ein Drittel in Asien, der Rest vor Nord- und Südamerika. Vor allem in Frankreich gibt es bereits sehr konkrete Pläne. So ist für 2020 die Installation mindestens eines weiteren im Mittelmeer schwimmenden Kraftwerks vorgesehen. Die 8-Megawatt-Windräder sollen von Siemens Gamesa kommen – aus dem neuen Produktionswerk in Cuxhaven, in dem seit einigen Wochen die erste Fertigungslinie läuft.

Vor Deutschlands Küsten wird dagegen aus wirtschaftlichen Gründen einstweilen keine Windparks schwimmen. „Die Technik ist derzeit noch teurer als die herkömmlicher Meereswindparks, wird aber günstiger werden“, sagt Drücker. Auch die Entwicklung der Strompreise aus deutschen Offshore-Anlagen gibt da Anlass zur Hoffnung. In der ersten Ausschreibung von Projekten, die ab 2020 in der Nord- und Ostsee realisiert werden sollen, erhielten drei Bewerber den Zuschlag. Zwei von ihnen kalkulieren ohne jede Subvention.

Schwimmende Windparks werden ähnlich günstig wohl erst dann Strom liefern können, wenn Fundamente und Anlagen in großen Stückzahlen gebaut werden. Cornelius Drücker sieht großes Potenzial in dem Geschäftsfeld: „Die Technik ist erst am Anfang, aber schwimmende Fundamente sind Zukunftstechnologie – es fühlt sich ein bisschen an wie zu Anfangszeiten des Offshore-Winds vor zehn, 15 Jahren.“