Hamburg. Die Ehefrau von Bürgermeister Olaf Scholz hat den Verlust ihres Ministeramts noch nicht verdaut. Ihre Zukunft lässt sie noch offen.

Plötzlich hat Britta Ernst Zeit, viel Zeit. Sie treibt jetzt Sport, viel Sport, trifft sich mit Freunden und kümmert sich um ihre Eltern. Es sind die Leitplanken für den Start in ein neues Leben. Bis zum 28. Juni war die 56 Jahre alte Sozialdemokratin Ministerin für Schule und berufliche Bildung in Schleswig-Holstein und hatte einen prall gefüllten Terminkalender. Britta Ernst und ihr Mann, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, waren gewissermaßen das politische Powerpaar des Nordens – erfolgreich, gefragt, im Mittelpunkt stehend.

Analytisch-nüchterner Blick

Der 7. Mai brachte für Ernst die Zäsur. Die Schleswig-Holsteiner wählten die „Küstenkoalition“ aus SPD, Grünen und SSW ab. Lange hatte es vorher so ausgesehen, als ob Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) fünf weitere Jahre im Amt bleiben könne. Doch dass sich die Stimmung in den letzten Wochen vor der Wahl drehte, spürte auch Britta Ernst. Ihr analytisch-nüchterner Blick dürfte ihr irgendwann gesagt haben: Das wird wohl nichts mehr. Dennoch: Wer Ernst – sonst kontrolliert und tough – am Wahlabend sah, als die Sache klar und die Macht verloren war, erlebte eine tief erschütterte, persönlich schwer getroffene Frau.

Mit dem Wahlsieger
Olaf Scholz geht
Britta Ernst im
Februar 2015 ins
CCH, wo das
Wahlzentrum war
Mit dem Wahlsieger Olaf Scholz geht Britta Ernst im Februar 2015 ins CCH, wo das Wahlzentrum war © dpa

In den Wochen danach war sie einfach abgetaucht. Ein paar öffentliche Auftritte, ja, ansonsten: Abstand gewinnen. „So ist es nun einmal, ich habe mich damit arrangiert“, sagt Ernst zum Jobverlust beim Treffen in einem Café unter den Alsterarkaden. Das wirkt gefasst, ja beinahe abgeklärt. „Am Anfang war es nicht so leicht, aber jetzt geht’s mir gut. Ein Gutes hat es: Ich gehe schon wieder langsamer und schlendere durch die Stadt“, sagt sie über den vom Wähler erzwungenen Tempowechsel. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, wirklich glücklich sieht sie dabei jedoch nicht aus. Aber Britta Ernst handelt, wie sie es am besten kann: strukturiert, organisiert und immer realistisch.

Immer noch ein linker Landesverband

Emotional abgeschlossen hat Britta Ernst mit dem schleswig-holsteinischen Kapitel in ihrer Biografie noch nicht, das wird schnell klar. „Ich bin wehmütig“, bekennt die Sozialdemokratin, und das ist für ihre Verhältnisse eine schon ungewöhnlich offene Aussage. Sie vermisse ihre Mitarbeiter, die Abgeordneten der SPD-Landtagsfraktion. „Das sind Menschen, mit denen man mehr Zeit verbracht hat als mit dem Lebenspartner“, sagt Ernst. „Ich habe sie sehr gemocht, und sie mich auch!“ Noch so ein emotionaler Satz, der aufhorchen lässt.

Er zeigt, dass die bisweilen als spröde geltende Ernst im Norden angekommen war. Die schleswig-holsteinische SPD ist noch immer ein linker Landesverband im Bundesvergleich – mit Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner als Galionsfigur der SPD-Linken von Nord bis Süd. Ernst ist keine Parteilinke, sondern „Pragmatikerin“, wie sie sich selbst bezeichnet. Als Albig sie 2014 nach Kiel holte, flogen ihr daher nicht sofort die Sympathien der Parteifreunde zu. Aber Ernst ging ihre neue Aufgabe systematisch und konsequent an: das Gespräch suchen, Kontakte knüpfen, Netzwerke aufbauen. „Ich bin immer zu den Fraktionssitzungen gegangen und habe bei Landtagssitzungen viel auf der Regierungsbank gesessen. Das haben die Abgeordneten mir hoch angerechnet“, sagt Ernst.

Fehlendes Selbstbewusstsein

Ministerpräsident
Torsten Albig (SPD)
stellt 2014 „seine“
neue Bildungsministerin
Britta Ernst
bei der Landespressekonferenz
im Landeshaus
in Kiel vor
Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) stellt 2014 „seine“ neue Bildungsministerin Britta Ernst bei der Landespressekonferenz im Landeshaus in Kiel vor © picture alliance / dpa

Sie hat die Sozialdemokraten im Nachbarland in ihr Herz geschlossen. Das nimmt ihr nicht den kritischen Blick. „Die schleswig-holsteinische SPD ist nicht so selbstbewusst, wie sie durchaus sein könnte. Sie hat ja schließlich recht lange regiert“, sagt Ernst. Der frühere Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) müsse für viele Sozialdemokraten im Norden immer noch als großer Buhmann herhalten.

Als Beleg für das Denken in Oppositions-, nicht in Regierungskategorien bringt Ernst das Beispiel von Albigs Direktkandidatur für die Landtagswahl. Der Ministerpräsident musste sich im Wahlkreis Kiel-Nord einer Kampfkandidatur gegen eine relativ unbekannte Frau, die in der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) aktiv ist, stellen und gewann nur mit 62,5 Prozent. Ein ziemlicher Dämpfer. In der Hamburger SPD wäre ein solcher Umgang mit dem Spitzenkandidaten zu Recht undenkbar, findet Ernst. Eine Folge des fehlenden Selbstbewusstseins: Im Wahlkampf habe die Partei die eigenen Erfolge nicht genug herausgestrichen.

Sehr persönliche Entscheidung

Dass sich Ernst komplett aus Schleswig-Holstein verabschiedet hat, hängt auch mit einer sehr persönlichen Entscheidung zusammen. Die Ex-Ministerin wollte nicht für den Landtag kandidieren. „Mir ist einmal ein Wahlkreis angeboten worden. Ich habe aber abgelehnt, weil ich nicht noch einmal Oppositionspolitik machen will“, sagt Ernst sehr bestimmt. Die einfache Rechnung: Bei einem Wahlsieg der SPD und einer Fortsetzung der Koalition wäre die 56-Jährige Bildungsministerin geblieben. Nach der Niederlage hätte sie in die Opposition gemusst, und ihr wäre im Landtag nur die Kritik an der neuen Landesregierung geblieben. „Ich war 14 Jahre lang Parlamentarierin, davon zehn Jahre in der Opposition. Das ist nicht immer eine angenehme Erfahrung“, sagt Ernst und spielt damit auf die Dekade an, während Ole von Beust Erster Bürgermeister war.

Bundespräsident,
Kanzlerin, Bundestagspräsident –
bei der Eröffnung
der Elbphilharmonie
trat Britta Ernst
mit den Größten
der Republik auf
Bundespräsident, Kanzlerin, Bundestagspräsident – bei der Eröffnung der Elbphilharmonie trat Britta Ernst mit den Größten der Republik auf © dpa

Die Sozialdemokratin gehörte der Hamburgischen Bürgerschaft von 1997 bis 2011 an, war über mehrere Jahre die prägende Bildungspolitikerin ihrer Fraktion und später deren Erste Parlamentarische Geschäftsführerin. Der Hamburger Schulfrieden zwischen CDU, SPD und Grünen 2010 mit dem Ziel kleinerer Klassen und der Einstellung von rund 1000 Lehrern zusätzlich trägt ganz wesentlich die Handschrift der damaligen Oppositionspolitikerin. Kaum war die SPD 2011 zurück an der Macht im Rathaus und Ernsts Ehemann Olaf Scholz mit ihrer Stimme zum Bürgermeister gewählt worden, verließ sie die Bürgerschaft oder, besser gesagt, musste sie verlassen.

Verzicht zugunsten der Karriere ihres Mannes

Die profilierte Bildungspolitikerin Ernst galt auch damals schon als geeignete Schulsenatorin, aber Scholz und Ernst war klar, dass das Projekt Mann und Frau an einem Kabinettstisch öffentlich nicht durchzuhalten wäre. Sie würden den „ordre public“ (die öffentliche Ordnung, also die allgemeinen Vorstellungen von Moral und Sitte, die Red.) respektieren, sagten Scholz und Ernst etwas schmallippig.

Wie schwer ihr der Verzicht zugunsten der Karriere ihres Mannes gefallen ist, zeigt eine „persönliche Erklärung“, die Ernst damals veröffentlichte. Ein Satz daraus liest sich wie eine Anklage: „In keinem Bereich ist es richtig, dass Veränderungen bei einem Partner mit dem Verzicht des anderen begleitet werden.“ Ernst, die immer auch in der Gleichstellungspolitik engagiert war, handelte gegen ihre Überzeugung, aber konsequent. Sie ging 2011 nach Berlin, wurde Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion und baute ein neues Netzwerk auf, ehe sie 2014 nach Kiel wechselte.

SPD-Mitglied ist sie im Ortsverein Kiel-West

Ein Bild aus
einer anderen
Zeit: Britta
Ernst 1997 im
Handbuch der
Bürgerschaft
Ein Bild aus einer anderen Zeit: Britta Ernst 1997 im Handbuch der Bürgerschaft © Hamburger Bürgerschaft

Der Weggang aus Hamburg war die erste große Zäsur im Leben der Politikerin Ernst, und vielleicht wird daraus die Bitterkeit verständlich, mit der Ernst jetzt auf die zweite zentrale Zäsur reagiert, auch wenn die Gründe für die Brüche sehr unterschiedlich sind.

Je länger das Gespräch dauert, desto schneller spricht Ernst. Es ist fast so, wie es immer war. Und eines wird deutlich: Die Bildungspolitik lässt sie nicht los, auch wenn sie betont, dass sie auch auf anderen Feldern Erfahrungen gesammelt habe. Fragen wie diese treiben sie nach wie vor um, und sie würde sich jetzt gern grundsätzlich mit ihnen beschäftigen: Wie lernen Kinder schreiben? Oder: Wie lässt sich ein bundesweites Vorgehen für die leidige Debatte über die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur (G8/G9) finden? „Dass alle Länder es anders machen, ist doch Quatsch“, sagt Ernst.

Parteiübergreifender Konsens ist ihr wichtig

Ihr ist der parteiübergreifende Konsens bei solchen Bildungsthemen wichtig. Vielleicht gäbe es dann bei der Kultusministerkonferenz (KMK) für sie eine Aufgabe in Zukunft? „Wäre nicht verkehrt, aber erst einmal müsste man die KMK politisieren“, sagt sie. Die Präsidenten, die sich reihum aus dem Kreis der Kultusminister rekrutieren, müssten mindestens zwei Jahre statt nur einem im Amt bleiben, um sich profilieren zu können.

Mit Peer Steinbrück und Franz Müntefering
bei der Trauerfeier für Loki Schmidt
Mit Peer Steinbrück und Franz Müntefering bei der Trauerfeier für Loki Schmidt © HA | Andreas Laible

„Ich warte erst einmal die Bundestagswahl ab“, sagt Ernst und wehrt damit konkrete Fragen nach ihren beruflichen Perspektiven ab. Eine Rückkehr in politischer Funktion nach Hamburg scheint jedoch zumindest derzeit ausgeschlossen.

Ganz hat Britta Ernst Schleswig-Holstein doch auch nicht den Rücken gekehrt: Sie hat zwar ihre Wohnung in der Landeshauptstadt zum Herbst gekündigt, aber sie bleibt Mitglied im SPD-Ortsverein Kiel-West/Altstadt. „Ich will dort auch weiterhin Parteitage besuchen“, sagt sie. Man weiß ja nie. Britta Ernst hält übrigens auch weiterhin Kontakt zu ihrem Hamburger Heimatdistrikt Altona-Nord. Man weiß eben wirklich nie.