Hamburg. Partygänger, die auf der Straße Bier trinken, nerven Anwohner und schaden Gastronomen. Die Politik findet keine Handhabe.
Das Schauspiel beginnt fast immer am frühen Abend. Erst nur Grüppchen von Feiernden, dann Hunderte auf Plätzen wie dem Neuen Pferdemarkt, auf Bänken, Grünstreifen, Bürgersteigen, bis die Kreuzung überquillt. Mit günstigem Bier in der Hand und keinem Interesse an Bars und Kneipen. Es ist ein Phänomen, das für die Teilnehmer eine friedliche Party darstellt, dessen Nebenwirkungen aber laut Politik und Gastronomie ganze Stadtteile bedroht.
Nach Polizeiangaben treffen sich an Brennpunkten wie der Seilerstraße und dem Neuen Pferdemarkt auf St. Pauli sowie dem Alma-Wartenberg-Platz in Ottensen in der Spitze bis zu 300 Personen zum sogenannten Cornern. Seit Jahren beschweren sich Anwohner über Ruhestörung und Urinlachen auf den Straßen, HVV-Busse kommen in Einzelfällen kaum noch durch. „Es werden von Monat zu Monat mehr Menschen“, sagt ein Barbetreiber am Neuen Pferdemarkt.
Kioske versorgen die Feiernden mit günstigem Bier – und wirken damit wie ein Brandbeschleuniger, heißt es aus der Verwaltung. Andere Gewerbetreibende klagen über existenzbedrohliche Umsatzeinbußen, während die Kioske florieren. „Wir müssen handeln, bevor der Schaden irreparabel wird“, sagte Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) dem Abendblatt. „Dieses ausufernde Phänomen droht den Kiez in seiner bisherigen Form kaputtzumachen.“ Auch ein Barbetreiber aus St. Pauli glaubt: „Die Ausgehkultur stirbt.“ Der legendäre Musiklub Hasenschaukel, der bereits schließen musste, sei womöglich nur der Anfang gewesen.
Bezirk Mitte hatte mit Vorstoß noch immer keinen Erfolg
Nach Abendblatt-Informationen fehlt noch immer die geplante Gesetzesänderung. Schon Innensenator Andy Grote (SPD) wollte in seiner Zeit als Bezirksamtsleiter den Ausschank von Alkohol in Kiosken zeitlich einschränken – sein Nachfolger Droßmann hatte damit bislang ebenfalls keinen Erfolg im Rathaus. Im September wollen die Regierungsfraktionen die Bezirksamtsleiter aus Mitte und Altona dazu anhören. Eine Gesetzesänderung könnte aber frühestens im Jahr 2018 greifen. „Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Bürgerschaft früher eine Antwort auf dieses Problem verabschiedet“, sagt Droßmann dazu. Man befinde sich aber in guten Gesprächen.
Nicht nur der Frust über den Zustand wachse, sagt die Quartiersmanagerin Julia Staron. Auch einige Kneipen und Bars seien schwer angeschlagen, da das Problem anwächst. 49 Kioske zählt Staron rund um die Reeperbahn – etwa acht solcher Geschäfte oder fast 20 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren.
An der Hein-Hoyer-Straße eröffnete etwa vor einigen Monaten der Shefu Euro Kiosk. Die Geschäfte liefen gut, sagt der Betreiber, er verkauft auch Wasserpfeifen und Kifferzubehör, was eben gefragt ist bei der Feierklientel. Nur etwa 20 Meter weiter hat ein weiterer Kiosk jeden Abend geöffnet. „Es gibt da keine Konkurrenz“, sagt der dortige Chef Eslef Almaglu. „Fast jeder Kunde hat ja ,seinen‘ Kiosk, dem er dann auch die Treue hält.“
Neben dem Verkaufstresen stehen große Flaschen mit Spirituosen und Spenderkappen, am Wochenende brummt der Laden, auch wegen der vielen Großereignisse wie dem Schlagermove. Regelmäßig kommen Kontrolleure des Bezirks, können aber nicht viel beanstanden. Almaglu hat eine kleine Sitzecke, hält sich an Auflagen (siehe Kasten). Die Klagen der Bars und Diskotheken kann er nicht verstehen. „Die Klientel, die hier bei uns ihren Alkohol kauft, hat nicht genug Geld, den ganzen Abend in den Bars zu trinken. Da kratzen viele jeden Cent aus den Taschen“, sagt Almaglu. Einen Kiosk zu betreiben sei ein ehrliches Geschäft. „Jeder Kiosk hat auch Mitarbeiter. Da hängen auf St. Pauli mittlerweile Hunderte von Existenzen dran“, sagt Almaglu.
Die Gastronomen auf dem Kiez fühlen sich dagegen benachteiligt. „Wir müssen strenge Auflagen erfüllen – von Lärm- und Brandschutz bis hin zur Bereitstellung von Toiletten“, sagt Axel Strehlitz, Betreiber des Sommersalons und einer der Köpfe hinter dem St.-Pauli-Klubhaus. Für einen Kiosk gelte all das nicht, weshalb sie ihren Alkohol besonders günstig verkaufen könnten. „Die Folge ist, dass die Menschen nur noch in Bars und Kneipen kommen, um zur Toilette zu gehen.“ Auch der Gaststättenverband Dehoga kritisiert, dass das Cornern um die Kioske „erhebliche negative Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Kiezes hat“.
Polizei hat kaum Handhabe gegen die Feiernden
Nicht einmal das schlechte Wetter führe dazu, dass die Feiernden sich wieder länger in den Bars und Clubs aufhielten. „Die Leute stehen am Kiosk Schlange, egal bei welchem Wetter“, sagt Axel Strehlitz. Von der Polizei heißt es dagegen, dass die Zahl der Beschwerden von Anwohnern derzeit rückläufig sei, vermutlich aufgrund der Wetterlage.
„Die Situation vor Ort ist für die Beamten grundsätzlich schwierig“, sagte ein Polizeisprecher. Die Vergehen seien nicht immer konkreten Personen zuzuordnen – und die Feiernden oft so zahlreich, dass erst ein größeres Aufgebot angefordert werden müsse.
Mit dem Bezirk sei aber dafür gesorgt worden, dass etwa am Hamburger Berg vorhandene Absperrungen und Blumenkübel nicht mehr unerlaubt als Sitzgelegenheiten genutzt werden. Ein Barbetreiber wünscht sich mehr Unterstützung. „Würden hier jeden Abend 400 Punks trinken, wäre die Polizei schon mit dem Wasserwerfer angerückt.“ Inzwischen müsse er ständig einen Mitarbeiter an der Tür abstellen. „Die Leute kommen sonst einfach mit ihrem Bier vom Kiosk zu uns herein.“
Gültige Regeln für Kioske
Kioske dürfen rund um die Uhr Alkohol verkaufen, wenn sie über eine entsprechende Lizenz verfügen. Dazu müssen sie in der Regel einige Sitzgelegenheiten – und in bestimmten Fällen auch Kundentoiletten – vorhalten. Die Ansiedlung von Kiosken in Stadtteilen wie St. Pauli kann die Verwaltung nicht verhindern. Der Bezirk Mitte fordert aber die Einführung eines Gaststättengesetzes, um den Alkoholverkauf vor allem an Wochenenden zu beschränken. Darüber muss die Bürgerschaft entscheiden. Dies sei „eine Option“, heißt es aus der SPD-Fraktion.