Hamburg. Niemerszein-Märkte testen System, das durch leise Musik den Umsatz fördern soll – und nervige Lautsprecheransagen überflüssig macht.

„Frau Neumann, Kasse drei, bitte!“ Diese Lautsprecherdurch­sage war früher häufig im Edeka-Markt am Mühlenkamp zu hören, wenn die Marktleiterin Ingrid Neumann mal wieder für ein Kundengespräch oder wegen eines anderen Problems benötigt wurde. Doch seit einigen Monaten herrscht in dem Geschäft in Hamburg-Winter­hude eine angenehme Stille. Die Kassiererin drückt nun einfach auf ein Symbol auf ihrem iPad, um die Marktleiterin zu rufen. Auf deren Smartwatch erscheint eine kurze Mitteilung, und sie macht sich auf den Weg. Ende der Durchsage.

Ausgedacht hat sich das neue Kommunikationssystem Wilbert Hirsch. „Mich selbst haben schon immer die unverständlichen Durchsagen im Supermarkt genervt“, erzählt der Hamburger, der von Haus aus eigentlich Filmmusikkomponist ist. Vor zweieinhalb Jahren hat Hirsch das Start-up ReAct gegründet. Im Herbst 2015 stellte er sein Konzept auf der Hausmesse von Edeka Nord in Neumünster vor. Mittlerweile hat er nach eigenen Angaben etwa 100 Märkte unterschiedlicher Einzelhandelsunternehmen mit dem neuen System ausgerüstet.

Aufträge erhalten die Mitarbeiter nicht mehr per Durchsage, sondern über eine Smartwatch
Aufträge erhalten die Mitarbeiter nicht mehr per Durchsage, sondern über eine Smartwatch © Klaus Bodig / HA | Klaus Bodig

Bei Edeka Niemerszein am Mühlenkamp steht nun an jeder Kasse ein iPad, auf dessen Bildschirm selbsterklärende Symbole angezeigt werden. Ein Putzeimer, um ein Malheur mit ausgelaufener Milch oder zerbrochenen Eiern zu melden. Zigaretten, um personelle Verstärkung für den Tabak-Shop anzufordern. Ein Eurosymbol mit Fragezeichen, um eine Preisauskunft etwa aus der Obst- und Gemüseabteilung zu erhalten. Beim Drücken dieser Symbole werden die entsprechenden Mitarbeiter per Smartwatch benachrichtigt. Sie können den Auftrag dann annehmen oder ab­lehnen.

Weinkauf bei Klaviermusik

„Das neue System sorgt für mehr Ruhe und eine angenehmere Atmosphäre im Markt“, sagt Frank Ebrecht, Prokurist von Edeka Niemerszein. „Es verbessert zudem die Effizienz, weil sich die Mitarbeiter unnötige Laufwege sparen.“ Insofern seien die rund 15.000 Euro, die für die Installation investiert werden mussten, gut angelegtes Geld. Gerade hat Edeka Niemerszein das System auch noch in einem zweiten Markt an der Hallerstraße eingeführt.

Ganz still ist es aber dennoch nicht im Markt am Mühlenkamp. Wer durch die Obst- und Gemüseabteilung schlendert, kann bei genauem Hinhören einen sanften Klangteppich im Hintergrund wahrnehmen. Irgendetwas zwischen Ambient und Pop, genau lässt sich das kaum bestimmen. Beim Wechsel in die Weinabteilung fällt auf, dass hier leise Klaviermusik im Hintergrund erklingt. „Die Lautstärke ist so eingestellt, dass sie gerade über der Wahrnehmungsschwelle liegt“, sagt Wilbert Hirsch. Sensoren überwachen den Lärmpegel in den Abteilungen und stellen die Musik entsprechend ein. „Dadurch wird sie zwar von den Kunden registriert, zugleich aber nicht als unangenehm empfunden.“

Nach den Worten von Hirsch lässt sich mit dem gezielten Einsatz der Klangteppiche der Umsatz steigern. Ein Test in einem Edeka-Markt auf Rügen ergab, dass die dortigen Kunden dank Bach oder Satie vermehrt zu Bordeaux oder Grauburgunder griffen. Lag der Weinumsatz vor der Klavierbeschallung bei 824 Euro pro Tag, waren es im Testzeitraum 972 Euro – ein Plus von fast 18 Prozent, wie die Auswertung der Kassendaten ergab.

„Die Kunden haben nicht nur mehr Wein eingekauft, sondern auch zu teureren Flaschen gegriffen“, sagt Hirsch. „Das hängt damit zusammen, dass die Menschen Klassik generell­ mit etwas Höherwertigem assoziieren.“ Zudem habe das gemäch­liche Tempo dazu beigetragen, dass sich die Kunden länger in der Weinabteilung aufgehalten und dort besonders wohlgefühlt hätten.

"Wenn Obst nicht frisch ist, hilft keine Musik"

Hirsch hat viel Erfahrung mit akustischer Verführung dieser Art. Der Mann mit der langen Mähne und der Lederjacke hat lange als Filmkomponist gearbeitet und beispielsweise den Soundtrack von „American Werewolf“ geschrieben. Später verlegte er sich auf die Entwicklung von Audiologos – also akustischer Erkennungszeichen für Unternehmen. Der Handelskonzern Tchibo oder auch die Schweizer Großbank UBS zählten unter anderem zu seinen Kunden.

Seit einigen Jahren konzentriert Hirsch seine Aktivitäten nun auf den Einzelhandel. Hier sieht er noch viel Potentzal. Das neue Sound- und Kommunikationssystem könnte aus seiner Sicht auch gut in Baumärkten zum Einsatz kommen. Hier sind die Wege aufgrund der Größe der Filialen noch deutlich länger als im Supermarkt. Die ersten Gespräche laufen bereits.

Bei Edeka Niemerszein ist man zwar vom Nutzen des Kommunikationssystem überzeugt, die Wirkung der unterschiedlichen Klangteppiche ist bislang aber noch schwer messbar, weil auch viele andere Dinge im Markt verändert wurden. „Letztlich müssen wir mit unseren Leistungen überzeugen“, sagt Prokurist Ebrecht. „Wenn Obst und Gemüse nicht frisch sind, dann hilft uns auch keine angenehme Musik.“