Altstadt. Haben Demonstranten Polizisten angegriffen? Eine Aufnahme von Tumulten am Rande des G20-Gipfels sorgt für Diskussionen.

Was hat den Polizeieinsatz am ersten Tag des G20-Gipfels in einem Gewerbegebiet in Bahrenfeld ausgelöst? Nachdem die „Süddeutsche Zeitung“ am Wochenende berichtet hatte, dass auf einem Video vom Einsatz an der Straße Rondenbarg kein Angriff von vermummten Demonstranten mit Steinen zu sehen sei, der das Eingreifen der Polizei gerechtfertigt hätte, kochte in den sozialen Netzwerken die Debatte hoch.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider, sprach am Montag von einem „mutmaßlich unverhältnismäßigen Polizeieinsatz“ – vorausgesetzt, die Darstellung der Zeitung entspreche der Wahrheit.

Aus Polizeisicht ein erfolgreiches Vorgehen

Der Einsatz am Rondenbarg am Morgen des 7. Juli, einem Freitag, gilt angesichts der schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels vor vier Wochen aus Polizeisicht als besonders erfolgreiches Vorgehen gegen autonome Gewalttäter. Mehr als 59 Demonstranten wurden bei dem Einsatz festgenommen. Norman Großmann, Leiter der Bundespolizei-Inspektion Hamburg, hatte vor dem Innenausschuss der Bürgerschaft erklärt, dass die Polizisten erst gegen Demonstranten vorgegangen seien, nachdem sie von diesen mit Feuerwerkskörpern und Steinen angegriffen worden waren.

Diese Darstellung der Ereignisse wurde nun in dem Beitrag der „Süddeutschen Zeitung“ infrage gestellt. Der Bericht beruft sich auf eine von der Polizei gemachte Videoaufnahme und erzählt diese minuziös nach. Am Ende kommt der Autor zu der Schlussfolgerung: „Was man in dem Video nicht sieht: ein einziger Steinwurf. Oder eine einzige Flasche. Unmittelbar angegriffen wurde – zumindest vor dem Sturm der Polizei – kein Beamter. Man würde es sehen.“

Das Video in der Beschreibung

Das Abendblatt hatte am Montag die Möglichkeit, das Video der Polizei in ganzer Länge anzuschauen. Diese Bilder lassen eine andere Interpretation der Geschehnisse zu. Eine Sprecherin der Hamburger Polizei betonte gegenüber dem Abendblatt noch einmal, man könne sehen, dass Steine geworfen wurden.

Die entscheidende Videofrequenz beginnt um 6.27 Uhr: Polizisten steigen aus den Fahrzeugen. Zuerst stehen wenige vor dem Wagen mit der Video­kamera. Schon in dieser Situation fliegt Pyrotechnik in Richtung der Polizei, die neben den Beamten explodiert. Auch eine bengalische Fackel fliegt in Richtung Polizei. Sie erreicht die Beamten nicht und bleibt auf der Straße liegen. Die Polizisten sammeln sich noch vor und neben dem Wagen mit der Videokamera, als eine Beamtin eine untypische Bewegung macht. Sie sieht aus, als würde sie vor etwas, das auf sie zugeflogen kommt, ausweichen, auch wenn kein Stein direkt zu erkennen ist.

Aufnahme ist Bestandteil der Ermittlungsakte

Die Uhr zeigt 6.28 Uhr und 22 Sekunden, als die Beamten in Richtung der Demonstranten laufen und den Blick auf die Fahrbahn, auf der sie sich gesammelt haben, wieder freigeben. Jetzt sind drei größere Steine auf dem Asphalt zu sehen, die vor dem Eintreffen der Polizisten nicht dort gelegen haben. Als wenig später das Fahrzeug weiter vorfährt, sind rechts davon weitere Steine zu sehen. Diese Stelle der Fahrbahn war zuvor von zwei vor dem Mannschaftswagen stehenden Fahrzeugen verdeckt gewesen.

Später sind auf dem Video, das mehr als zwölf Minuten dauert, Wasserwerfer hinter dem Aufzug zu sehen. Anschließend zeigt es Beamte, die bei Festgenommenen und Verletzten stehen.

Die Aufnahme ist Bestandteil der Ermittlungsakte und soll nach Informationen des Abendblatts dazu gedient haben, Haftbefehle zu begründen. Fotos, die Beamte unmittelbar vor Ort von sichergestellten Gegenständen machten, dokumentieren, dass die Gruppe ein ganzes Ausrüstungsarsenal für den Straßenkampf und Sachbeschädigungen mit sich führte.

Neben schwarzen Kleidungsstücken und Masken finden sich Hämmer, eine Zwille, jede Menge Steine, Pyrotechnik, Brandbeschleunigerspray und Stahlseile mit Vorhängeschlössern. Die Seile, so glaubt die Polizei, sollten für Blockadeaktionen oder als Stolperfallen genutzt werden.

„Das Video und die sichergestellten Gegenstände sprechen eine eindeutige Sprache“, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Sie zeigten die „Unfriedlichkeit der Personen“. Staatsanwaltschaft und Gerichte hätten ebenfalls eine Bewertung vorgenommen, durch die es zu den Haftbefehlen gekommen sei. „Mir ist schleierhaft, wie man bei der Betrachtung des Videos und dem Wissen der Gesamtumstände zu einer anderen Bewertung kommen kann.“

Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit in 162 Fällen

Insgesamt ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft nach den G20-Krawallen in 162 Fällen. Derzeit liefen 109 Verfahren gegen Beschuldigte, die namentlich bekannt seien, und gegen 53 Unbekannte, wie ein Sprecher der Behörde am Montag mitteilte. Derzeit säßen 33 Personen in Untersuchungshaft. Ursprünglich war gegen 51 Personen Haftbefehl erlassen worden.

Den Verhafteten werde im Wesentlichen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung vorgeworfen. Ein erster Prozess ist für 29. August geplant.

Bei Ermittlungen gegen Polizisten gehe es hauptsächlich um den Vorwurf der Körperverletzung im Amt. Derzeit seien bei der Hamburger Staatsanwaltschaft 16 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel erfasst worden. Die Innenbehörde ergänzte, dass beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) gegenwärtig 56 Verfahren gegen Polizeibeamte anhängig seien. In 45 Fällen gehe es um Körperverletzung im Amt.

Interne Polizeiermittler mit erweitertem Auftrag

Innensenator Andy Grote (SPD) verwies am Montag darauf, dass das DIE erstmals einen „erweiterten Auftrag“ erhalten habe. „Die Beamten werden nicht nur strafrechtlich relevantes Verhalten untersuchen, sondern sich auch kritisch mit Fehlverhalten und Kritik an der Polizeitaktik beschäftigen.“

Innerhalb des DIE ist dazu eine Sonderkommission aus neun Mitarbeitern gebildet worden, davon drei zusätzliche Kräfte von außen. Das DIE werde für die Untersuchungen auf internes und externes Videomaterial zurückgreifen. Dabei gehe es darum, unberechtigte Vorwürfe zu entkräften, sowie darum, berechtigte Vorwürfe aufzuklären. „Ich gehe davon aus, dass es auch vorwerfbares Verhalten von Beamten gegeben hat, auch strafrechtlich relevantes“, sagte Grote.