Im August vor 20 Jahren hat ein Feuer das Promi-Restaurant “Paolino“ vernichtet. Doch der kleine Sarde kämpfte weiter.
Sanft plätschern Wellen gegen die Planken, Segelboote schaukeln im Sonnenschein, doch in der Luft liegt beißender Brandgeruch: Vor 20 Jahren, am 12. August 1997, steht Hamburgs prominentester Italiener in der Ruine seines völlig zerstörten Restaurants.
Es ist nicht nur für den Wirt eine Katastrophe: Seit 1977 ist die Adresse am Alsterufer das, wofür erst später der Begriff „in-location“ entsteht. Bei Paolino treffen sich Künstler, Politiker, Manager, Medienleute und was sonst noch in Hamburg Rang und Namen hat.
Namensgeber und Seele des Lokals ist Paolino Cherchi, gelernter Bauschlosser aus Sardinien, mit 20 Jahren von Blohm+Voss für die Produktion von Panzern angeheuert, 1,65 Meter klein, aber bald eine ganz große Nummer. Landsmann Franco Cuneo, der berühmte Kiez-Wirt aus der Davidstraße, nimmt ihn damals unter die Fittiche, und bald gehört Paolino zu einer Clique junger Italiener, die kellnern, zusammen Fußball spielen und nach und nach ihren eigenen Laden aufmachen.
Paolino schafft das als einer der Ersten von ihnen, das Kochen liegt ihm im Blut: „Nach der Schule gingen wir immer gleich auf die Felder“, erinnert er sich. „Wir sammelten Pilze, pflückten Tomaten, schnitten Salat, zupften Kräuter und machten daraus ein Überraschungsessen für unsere Eltern.“
„Wir“, das sind zehn Geschwister aus einem kleinen Dorf bei Sassari: „Alle unter einem Dach, das war eine tolle Zeit!“ Statt der Eltern am Tyrrhenischen Meer bekocht und bewirtet er bald Gäste am Alstersee: Der große Götz George kommt, wann immer er im nahe gelegenen Hotel Interconti abgestiegen ist. Heinz Hoenig oder Heiner Lauterbach saufen sich im Paolino fröhlich die Hucke voll, man kann es nicht anders sagen. Der internationale Film lässt sich etwa von Jean-Paul Belmondo vertreten. Aus der Sportszene ist damals Boris Becker überhaupt nicht zu toppen. Gerhard Schröder darf damals noch im Lokal rauchen und qualmt dicke Cohibas. Peer Steinbrück trinkt keine Flasche Pinot Grigio unter fünf Euro, und Harald Schmidt vergisst seinen oft zitierten Gesundheitsgrundsatz „Schenk dein Abendessen deinem Feind“.
Evelyn Hamann tröstet Paolino während der Löscharbeiten
Vor allem Journalisten aus den nahen Verlagshäusern schätzen die stets frischen „Antipasti della Casa“ vom Büfett, die oberscharfen „Maltagliati all’Arrabbiata“, die tadellosen Scampi in Pernod-Sahne-Sauce oder das herzhaft deutschfreundliche „Spanferkelino“, alles mit sardischem Lächeln serviert: Paolino ist nicht nur Gastronom, sondern auch Entertainer, ein hochtouriger Showman und ein begnadeter Selbstdarsteller, dessen Charme auf den Magen ebenso wirkt wie auf die Damen.
Am 12. August 1997 geht sein Glück in Flammen auf. Ursache ist ein technischer Defekt in der Küche. „Hier riecht’s nach Rauch, das merke ich. Mein Mann ist bei der Feuerwehr!“, meldet eine Dame nach Mitternacht, aber die fröhlichen Zecher an ihrem Tisch lachen nur. Doch Paolino ist alarmiert: „Ich dachte erst an einen qualmenden Aschenbecher, aber dann sind wir nach draußen gegangen und haben die Flammen gesehen.“
"Jetzt ist alles weg"
Heiner Lauterbach, Jenny Elvers und Regisseur Sönke Wortmann haben sich eben verabschiedet, jetzt eilen die anderen 50 Gäste aus dem Lokal. Als die Feuerwehr kommt, nimmt Evelyn Hamann den um zwei Köpfe kleineren Kult-Patron tröstend in den Arm. „20 Jahre hab ich es aufgebaut. Jetzt ist alles weg“, klagt er.
60 Mann löschen drei Stunden lang. Am nächsten Morgen sind von dem „sala da pranzo“ der Hamburger Hautevolee, dem gemütlichen „Esszimmer Hamburgs“, nur noch verkohlte Reste übrig. Das Dach ist eingestürzt, die Fenster sind zersprungen, die gelbe Markise über dem Eingang hängt in Fetzen, auf dem Boden liegen zerbrochene Flaschen.
Die Kühlkammer hat Milchtüten und Eier gerettet, die Schalen sind sogar noch heil. Die teuren Zigarren sind Asche. Die signierten Bilder der Gäste hinter dem Tresen, auf die Paolino so stolz ist, sind verkohlt, auch die wertvollen Gemälde seines Freundes Bruno Bruni an den Wänden – hinüber. Als letztes heiles Souvenir zieht Paolino aus einer Schublade ein handsigniertes Foto von sich und Hollywoodstar Jeff Goldblum, damals gerade auf Werbetour für den neuen Dino-Thriller „Jurassic Park 2“ unterwegs.
"Meine Gäste sind treu"
Die Kriminalpolizei ermittelt, die Versicherung prüft, die Beamten im Eimsbütteler Baudezernat blättern in ihren Bebauungsplänen, und bald ist der Fall klar: Die Versicherung zahlt, und die Behörde genehmigt, dass Paolino die Ruine restaurieren darf. Wiedereröffnung ist schon im Juni 1999, gut 20 Monate nach dem Inferno: „Meine Gäste sind treu. Alle haben mir Mut gemacht“, erinnert er sich heute. „Da habe ich eben noch mal von vorne angefangen. Ich musste einfach weitermachen. Wenn ich damals aufgehört hätte, wäre ich durchgedreht!“
Neun Jahre nach dem Neustart musste er wieder raus
Doch es war nicht die letzte Krise: Im Jahr 2008 wollte der Eigentümer, die Wendel KG der Familie Hedinger, mehr Pacht für die exquisite Lage. Paolino wehrt sich unter einigem Getöse seiner prominenten Freunde in der Presse, aber drei andere Italiener zahlen doppelt so viel, und aus dem erfolgreichen Paolino wird das noch erfolgreichere Portonovo.
Doch auch das haut den sturm- und feuerfesten Sarden nicht um: Heute schmeißt er mit Ehefrau Hadmut und Familie das Paolino Sardegna an der Hudtwalckerstraße kurz vor dem Winterhuder Marktplatz. Neffe Lorenzo Floris kocht, Sohn Raffaele lernte im East und ist jetzt Vollzeit dabei. Die Töchter Elena und Gianna sowie Sohn Leonardo helfen manchmal aus.
Auch die vielen alten Freunde sind wieder da, und einige neue dazu, etwa Ex-Bürgermeister Christoph Ahlhaus, TV-Produzent Markus Trebitsch oder Kabarettist Ottfried Fischer. „Abends ist es immer voll“, sagt Paolino. „Leute, die mich mögen, kommen regelmäßig vorbei. Aber die Hauptsache ist doch, dass die Familie gesund ist und zusammenhält. Dann kann man alles schaffen!“