Hamburg. Es gibt viel Material, aber noch kaum echte Spuren. Die Hamburger Polizei setzt große Hoffnungen auf 10.000 Dateien von Zeugen.
ie drei Italiener fallen am Flughafen Schönefeld in Berlin auf. Sie wollen am Mittwoch nach dem G20-Gipfel zurück in ihre Heimat, die Bundespolizei kontrolliert sie. Im Gepäck der Männer: Stadtpläne von Hamburg, Anti-G20-Aufkleber, dunkle Bekleidung. Shirts mit der Aufschrift „ACAB“, All Cops Are Bastards. Auf der Kleidung kleben noch Flecken. Die Beamten glauben, es könnte Blut sein. Spuren aus dem Kampf mit der Polizei als Teil des Schwarzen Blocks.
Sie halten die Männer fest. Die Datenbank zeigt Treffer an. Die drei Männer sind Linksextremisten. Doch in Gewahrsam nehmen können die Beamten die Italiener nicht – sie stellen keine akute Gefahr dar. Auch ein Antrag auf Haftbefehl scheitert: Für einen dringenden Tatverdacht reichen die Indizien nicht. Die Männer reisen aus.
Noch keine deutlichen Bezüge zur Roten Flora erkennbar
Der Fall zeigt, wie schwierig es ist, mutmaßliche Täter aus den Krawallnächten zu überführen. Mehr als 170 Beamte arbeiten in der Soko „Schwarzer Block“ an der Aufklärung. Mehr als 10.000 Videos, Bilder und andere Hinweise sind inzwischen eingegangen. 40 Polizisten sind allein damit beschäftigt, das Material auszuwerten. Das Bild der Krawallnächte wird nur langsam klarer.
Die Soko „Schwarzer Block“ kennt noch wenige Personen, die unter konkretem Tatverdacht stehen. Von dem Mob, der auf der Elbchaussee mehrere Dutzend Autos in Brand gesetzt hatte, wurde nicht ein einziger Täter gefasst. Lediglich 13 Personen wurden in der Krawallnacht im Schanzenviertel festgenommen – keiner davon sitzt noch in Haft. Wie berichtet, warten nach dem G20-Gipfel derzeit insgesamt 35 Verdächtige in Untersuchungshaft auf ihr Verfahren; 15 Personen davon kommen aus Hamburg. Nach Abendblatt-Informationen ist aber niemand darunter, der bislang eindeutig der Roten Flora zugeordnet werden kann.
Mitglieder des Schwarzen Blocks wechselten häufig die Kleidung
Die Täter aus dem Schwarzen Block zu fassen ist für die Polizei vergleichbar mit der äußerst schwierigen Aufklärung der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016. Damals wie nun in der „Schanze“ wurden Straftaten aus Gruppen heraus begangen, Beamte konnten aber kaum Taten selbst beobachten – Zivilfahnder zogen sich wegen der gefährlichen Lage früh vom Schulterblatt zurück.
Die Mitglieder des Schwarzen Blocks wechselten auch sehr häufig die Kleidung. Zudem mischten sich die Tätergruppen offenbar mehrmals neu. Anwohner berichteten, dass organisierte Linksextreme zunächst in der Mehrheit waren, sich aber auch deutlich vor dem Einsatz der Spezialeinheiten der Polizei zurückzogen – und immer mehr sogenannte Gelegenheitskrawallmacher sowie Gaffer den randalierenden Pulk prägten.
Das Bildmaterial der Schaulustigen ist nun die größte Hoffnung der Polizei. „Täter auf diese Weise zu überführen ist sehr mühsam, aber möglich“, heißt es von Beamten. Offiziell will sich die Polizei zum Stand der Ermittler derzeit nicht äußern. „Es macht keinen Sinn, solange man nicht ein klares Bild hat“, so ein Beamter. Zudem wolle man nicht die Szene in Kenntnis über Ermittlungsansätze setzen.
Die heißesten Spuren führen nach Italien und Spanien
Klar wurde aber auch, dass auf den Dächern, von denen aus Polizisten mit Steinen, Gehwegplatten und Brandsetzen beworfen werden sollten, wenig Beweismaterial gesichert wurde. „Bei dem Einsatz der Spezialkräfte ging es um eine Lagebereinigung zur Gefahrenabwehr. Das hatte Priorität“, so ein Polizist. Erst deutlich später seien sogenannte Tatortgruppen vor Ort gewesen, die nach Spuren und Beweismitteln suchten. „Dazwischen lag eine große Zeitspanne“, sagt der Polizist. Ob überhaupt Gehwegplatten oder andere hochgefährliche Gegenstände sichergestellt wurden, ist unklar.
Um sich Chancen auf eine spätere Überführung zu bewahren, hat die Polizei die Personalien von G20-Gegnern aufgenommen, die Hamburg nach dem Gipfel in einem Sonderzug verließen. Gegen alle später freigelassenen Personen aus der Sternschanze wird weiter ermittelt – ebenso wie gegen jene drei Italiener im Alter von 28 bis 30 Jahren, die über den Berliner Flughafen ausreisen durften. Laut Augenzeugen waren weitere strukturiert agierende italienische Gruppen bei der Randale im Schanzenviertel lautstark aktiv.
„Muerte a la Policia“ – spanisch für „Tod der Polizei“
Beteiligt an den Ausschreitungen war auch mindestens eine militante Gruppe aus Spanien. Das legen Bilder und Videos nahe, die die Gruppe Brigades Antifeixistes Castelló, kurz BAF, aus der Provinz Castellón nahe Valencia veröffentlicht hat. Auf einem Video der BAF wird etwa das Vorrücken des Schwarzen Blocks aus den Reihen der Militanten heraus gefilmt.
„Als militante Antikapitalisten“ sei es ihre „Pflicht, bei G20 präsent zu sein“, sagte ein Vertreter der BAF in der ARD-Sendung „Panorama“. Ihm zufolge soll es sich bei den Mitgliedern um normale Arbeiter handeln: Lehrer, Masseure, Zimmermänner. Ein Spanier, der 31-jährige David R., sitzt seit den Ausschreitungen in Untersuchungshaft. Er soll bei der „Welcome to Hell“-Demonstration Glasflaschen auf Polizisten geworfen haben.
Möglicherweise beteiligten sich weitere Basken an der Randale. Im Schanzenpark prangte nach dem Gipfel ein Graffito mit dem Namen einer Punkband und dem Kürzel MALP, für „Muerte a la Policia“ – spanisch für „Tod der Polizei“. (crh/cu/schrö/zv)