Hamburg. Fast 20 Prozent Krankenkassenbeiträge werden auf Direktversicherungen fällig. Was zu beachten ist.

Es ist eines der größten Ärgernisse für Ruheständler. Volle Krankenkassenbeiträge auf die Auszahlungen einer Direktversicherung. Obwohl es das Gesetz schon seit 2004 gibt, werden viele zu Beginn des Ruhestands noch böse überrascht, wenn sie einen Zahlungsbescheid ihrer Krankenkasse bekommen. Es geht meist um viele Tausend Euro, die bezahlt werden müssen. Viele Gerichtsurteile bis hin zum Bundesverfassungsgericht sind zugunsten der Krankenkassen ausgefallen. Wer ist betroffen? Was können Verbraucher noch tun? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was sind Direktversicherungen?

Eine Direktversicherung ist eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung, die der Arbeitgeber für seine Beschäftigten abschließt und für die er in der Regel ganz oder teilweise die Beiträge übernimmt. Am Ende der Laufzeit kann der Arbeitnehmer wählen, ob er sich die Ablaufleistung auf einen Schlag oder in Form einer lebenslangen Rente auszahlen lässt. Es gibt aber auch Direktver­sicherungen, bei der die Beiträge komplett vom Arbeitnehmer bezahlt werden. Der Abschluss über den Arbeitnehmer macht dennoch Sinn, denn die Beiträge in die Versicherung sind bis zu einem bestimmten Betrag (3048 Euro für 2017) von der Steuer- und Sozialversicherungspflicht befreit.

Wie hoch sind die Krankenkassen­beiträge auf die Direktversicherung?

Auf die Auszahlung werden rund 18 Prozent Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Bei einer Auszahlung von 120.000 Euro wird die zusätzliche Altersvorsorge also um rund 22.000 Euro reduziert. Diese Regelung gilt seit 2004, und die Spielregeln wurden auch rückwirkend für schon früher abgeschlossene Verträge geändert.

Das empört viele Rentner. „Erst wurden wir über den Arbeitgeber in solche Verträge gelockt und jetzt abkassiert“, sagt der Ahrensburger Reinhard Günther, der gegen seine Krankenkasse vor dem Sozialgericht geklagt hat. „Denn ich habe alle Beiträge aus eigener Tasche gezahlt. Schon deshalb kann die Kapitalauszahlung nicht wie eine gewöhnliche Betriebsrente behandelt werden“, sagt Günther, der sich im Verband der Direktversicherungsgeschädigten engagiert. „Bei uns rufen täglich Hamburger zu diesem Thema an“, sagt Ursula Wens von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Sie sind verärgert und überrascht.“ Mindestens 70 Prozent der Betroffenen wissen nicht, was auf sie zukommt, wenn die Auszahlung ansteht, schätzen Verbraucherschützer.

Welche gesetzliche Grundlage gibt es für die Zahlungen?

Seit 1. Januar 2004 müssen alle gesetzliche krankenversicherten Bezieher von Betriebsrenten und anderen Versorgungsbezügen, wozu auch die Direktversicherung gezählt wird, den allgemeinen und nicht mehr den ermäßigten Beitragssatz entrichten. „Damit haben sich die Krankenversicherungsbeiträge der Rentner verdoppelt, denn sie müssen den Arbeitnehmer- wie den Arbeitgeberanteil übernehmen“, sagt Wens. Betroffen sind auch einmalige Kapitalauszahlungen. Das ist die Folge der Gesundheitsreform von 2004, die von der rot-grünen Regierungskoalition verabschiedet wurde.

Wie war die Regelung vor 2004?

„Es wurde nur der halbe Beitragssatz fällig und das auch nur auf Rentenzahlungen“, sagt Wens. Einmalauszahlungen unterlagen nicht den Krankenkassenbeiträgen.

Wie erfolgt die Berechnung der Krankenkassenbeiträge jetzt genau?

Bei einer Rente wird der Beitragssatz auf die monatlichen Zahlungen erhoben. Er errechnet sich aus dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, plus dem Zusatzbeitrag in Höhe von 1,1 Prozent (Durchschnittswert) und dem Beitragssatz für die Pflegeversicherung von 2,55 Prozent, zusammen also 18,25 Prozent. Von 366 Euro monatlicher Rente gehen 66,80 Euro an die Krankenkasse. Bei einer einmaligen Kapitalauszahlung wird die Summe auf 120 Monate umgelegt. Bei einer Auszahlung von 120.000 Euro aus einer Direktversicherung wird unterstellt, dass der Versicherte zehn Jahre lang jeden Monat 1000 Euro bekommt. Für diesen Zeitraum müssen monatlich 182,50 Euro an die Krankenkasse gezahlt werden. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, denn die Beitragssätze werden in den nächsten Jahren steigen, erwarten Experten. „Die Streckung der Auszahlung auf zehn Jahre ist besonders perfide“, sagt Günther. „Denn üblicherweise werden Zahlungen zum Zeitpunkt der Fälligkeit beitragspflichtig. Die Rentner würden in diesem Fall aber von der Beitragsbemessungsgrenze profitieren, und zumindest ein Teil der Auszahlung bliebe beitragsfrei.“

Wer muss keine Beiträge entrichten?

Privatversicherte sind von der Regelung nicht betroffen. Gesetzlich Versicherte zahlen in jedem Fall. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Rentner pflichtversichert oder freiwillig versichert sind.

Worin besteht der Unterschied?

Pflichtversicherte Rentner bezahlen Krankenkassenbeiträge nur auf ihre Rente und Versorgungsbezüge wie eine Betriebsrente. „Freiwillig versicherte Rentner müssen Krankenkassenbeiträge auch noch auf Mieteinnahmen, Kapitaleinkünfte und privat abgeschlossenen Lebensversicherungen entrichten“, sagt Expertin Wens.

Wer gilt als freiwillig versicherter Rentner?

Das hat nichts mit dem Verdienst unter oder über der Beitragsbemessungsgrenze während des Arbeitslebens zu tun. „Pflichtversichert sind alle Rentner, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens zu mehr als 90 Prozent in einer gesetzlichen Krankenkasse waren“, sagt Wens. Alle anderen sind freiwillig versichert.

Warum sind viele Klagen von Versicherten gescheitert?

Besonders ärgerlich ist für viele Be­troffene, dass die Regelung auch rückwirkend für vor 2004 abgeschlossene Verträge gilt. Doch das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Fällen entschieden, dass der Gesetzgeber Rechtspositionen zurücknehmen kann, wenn das im Interesse der Allgemeinheit erforderlich ist. Lediglich eine Ausnahme machten die Verfassungsrichter.

Worum geht es dabei?

Pflichtversicherte Rentner müssen auf Auszahlungen, die auf arbeitnehmer­finanzierten Beiträgen beruhen, keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen, wenn sie selbst als Versicherungsnehmer in der Police stehen. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden (Az.: 1 BvR 1660/08). Reinhard Günther hat zwar seine Beiträge selbst bezahlt, aber sein Name steht nicht im Versicherungsvertrag.

Was folgt aus diesem Urteil?

„Wer die Beiträge selbst entrichtet, sollte sich schnellstens als Versicherungsnehmer in die Police eintragen lassen“, rät Wens. Wenn schon Krankenkassenbeiträge entrichtet wurden, können die zurückgefordert werden. „Das gilt auch dann, wenn die Beitragsbescheide der Krankenkasse inzwischen schon bestandskräftig sind“, sagt Wens.

Was können Verbraucher tun, die noch in eine Direktversicherung einzahlen?

Wenn sie die Versicherung ohne Leistungen des Arbeitgebers abgeschlossen haben, ist der Versicherte völlig frei in seinen Verfügungen. Er kann die Police beitragsfrei stellen oder auch kündigen. „Aber das muss immer nach individueller Beratung entschieden werden“, sagt Wens. Auch früher auszahlen zu lassen kann eine Lösung sein. Günther hat seine Direktversicherung noch während seiner Erwerbstätigkeit gekündigt. „So musste ich drei Jahre keine Krankenkassenbeiträge zahlen, weil mein Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze lag“, sagt er. Jetzt als Rentner muss er nur noch sieben Jahre die Beiträge zahlen – wenn er vor Gericht nicht doch noch einen Erfolg erreicht. Die Hoffnung hat er noch nicht aufgegeben.

Bei der Verbraucherzentrale Hamburg (www.vzhh) gibt es ein umfangreiches
Merkblatt zum Thema. es kann für 2,50 Euro heruntergeladen oder unter der Telefon-
nummer 24832-104 bestellt werden.