Hamburg . Es ist die Loveparade für Schlagerfans, sagen die einen. Die anderen hätten lieber ihre Ruhe. Polizei meldet 44 Körperverletzungen.

Ahmad Adib versteht die Welt nicht mehr. Der gebürtige Afghane ist vor gut einem Jahr nach Deutschland gekommen. Als hilfsbereites Volk, aber auch als zurückhaltend und ernst hat er die Deutschen kennengelernt. Jetzt steht der 19-Jährige mit zwei Freunden auf dem Heiligengeistfeld. Umringt von Menschen mit knallbunten Schlaghosen, Luftgitarren und Perücken. Aus den Lautsprechern tönt Costa Cordalis, die ersten Konfettikanonen werden gezündet, wildfremde Menschen prosten sich mit kleinen Sektflaschen zu – und mittendrin steht Adib und schaut sich verwundert um.

Laut Veranstalter sind am Wochenende rund 410.000 Schlagerfans nach St. Pauli gekommen, um den 21. Schlagermove zu feiern, die Polizei spricht von 350.000 Teilnehmern. Eine Woche nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel zieht die Kult-Parade ein knallbuntes Band durch St. Pauli – wird allerdings abermals zur Belastungsprobe für die Anwohner.

Die Loveparade für Schlagerfans

Auf den 45 Wagen sind Szenestars wie Christian Anders, Bata Illic und die Gruppe Wind und Willi Herren vertreten. Auch Peter Sebastian ist gekommen. Am Mittag steht der Schlagerstar auf der Glacischaussee vor seinem Party-Truck, auf dem der 59-Jährige zusammen mit Neue-Deutsche-Welle-Star Frl. Menke und den Hamburger Travestiekünstlern Double Faces für gute Laune sorgen soll.

„Der Schlagermove ist das weltweit größte Fest seiner Art“, sagt Sebastian, der mit Hits wie „Du schwarzer Zigeuner“ bekannt wurde. Bei der Loveparade für Schlagerfans komme einfach am meisten Stimmung auf. Um dafür zu sorgen, will der Entertainer auf der Rundfahrt Medleys singen. Das bedeutet: Nur die Refrains beliebter und vor allem bekannter Schlagerhits aneinanderzureihen. Die Fans müssen schließlich mitsingen können.

Der Sänger wirft kleine Schnapsflaschen in die Menge

Gegen 15 Uhr setzt sich der Wagen in Bewegung und der selbst ernannte „Karneval des Nordens“ nimmt seinen Lauf. Im Schritttempo fährt der Truck Richtung Landungsbrücken. Die Route führt weiter zum Fischmarkt, den Pepermölenbek hoch und über die Reeperbahn zurück zum Heiligengeistfeld. Aus den Lautsprechern tönt „Hey, wir machen Party, Party, Party“ und Peter Sebastian ist in seinem Element. Der Sänger winkt seinen Fans zu und wirft kleine Schnapsflaschen in die Menge.

Schlagermove 2017

Eindrücke vom 21. Schlagermove in Hamburg

Musiktrucks mit zahlreichen Feiernden darauf fahren durch St.Pauli. An dem Umzug nehmen in diesem Jahr rund 45 Musiktrucks teil
Musiktrucks mit zahlreichen Feiernden darauf fahren durch St.Pauli. An dem Umzug nehmen in diesem Jahr rund 45 Musiktrucks teil © dpa | Georg Wendt
Die Parade an der Helgoländer Allee
Die Parade an der Helgoländer Allee © dpa | Georg Wendt
Hunderttausende Schlagerfans fanden sich auf St. Pauli ein
Hunderttausende Schlagerfans fanden sich auf St. Pauli ein © dpa | Georg Wendt
Die U- und S-Bahn-Haltestelle Landungsbrücken wurde auf polizeiliche Anweisung gesperrt
Die U- und S-Bahn-Haltestelle Landungsbrücken wurde auf polizeiliche Anweisung gesperrt © dpa | Georg Wendt
Der Schlagersänger Willi Herren (im DFB-Trikot) posiert mit einem Fan
Der Schlagersänger Willi Herren (im DFB-Trikot) posiert mit einem Fan © dpa | Georg Wendt
Der Schlagersänger Willi Herren wird von Fans begrüßt und fotografiert
Der Schlagersänger Willi Herren wird von Fans begrüßt und fotografiert © dpa | Georg Wendt
Bunt kostümiert und
Bunt kostümiert und "nur zum Saufen hier": Eine Kleingruppe auf dem Schlagermove © privat
Der Entertainer Ross Antony (2.v.l.) fährt auf einem der 45 Trucks mit
Der Entertainer Ross Antony (2.v.l.) fährt auf einem der 45 Trucks mit © dpa | Georg Wendt
Der Schlagermove zieht über den Kiez
Der Schlagermove zieht über den Kiez © dpa | Georg Wendt
Der Schlagersänger Christian Anders mit zwei kostümierten Frauen
Der Schlagersänger Christian Anders mit zwei kostümierten Frauen © dpa | Georg Wendt
Der Schlagersänger Bata Illic (M) auf einem Musiktruck
Der Schlagersänger Bata Illic (M) auf einem Musiktruck © dpa | Georg Wendt
Rüschenhemd, Schlaghose und ganz in Pink: Es grüßen die 70er-Jahre
Rüschenhemd, Schlaghose und ganz in Pink: Es grüßen die 70er-Jahre © dpa | Georg Wendt
Schlaghose ist Pflicht und je bunter das Drumherum, um so besser
Schlaghose ist Pflicht und je bunter das Drumherum, um so besser © dpa | Georg Wendt
Gut gelaunt beim Schlagermove: Ein Pärchen in Siegerpose
Gut gelaunt beim Schlagermove: Ein Pärchen in Siegerpose © dpa | Georg Wendt
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Tausende Menschen mit Kostümen in allen Farben, glitzernden Hüten und Perücken singen, tanzen und jubeln ihm zu. Unter ihnen sind auch Polizisten, die zum Teil Blumenketten tragen. Sebastian und seine Kollegen bedanken sich bei ihnen für den G20-Einsatz am vergangenen Wochenende – die Menge jubelt den Polizeibeamten zu.

Biene Maja summt mit Bart und Bierbauch vorbei

Weinen, „wenn der Regen fällt (dam dam)“ muss während der Parade niemand: Als die Wolken sich verzogen haben, knallt die Sonne auf Polyester-Perücken und Pailletten-Hüte. Kinder turnen am Rand des Zuges im Gras, Möchtegernmusiker spielen auf ihren Luftgitarren und eine Biene Maja summt mit Bart und Bierbauch vorbei. „Das ist einfach die geilste Party des Jahres“, freut sich Thorge Hennings. Der 24-Jährige mit angeklebten Koteletten und Kraushaarperücke ist aus Seevetal angereist, steht mit seinen Freunden an der Reeperbahn und winkt Christian Anders zu.

Marcel Kuhn ist weniger begeistert. Der Anwohner steht vor seinem Haus am Pepermölenbek und schaut sich für eine Zigarettenlänge das bunte Treiben an. Der Student regt sich auf: „Die Leute kommen aus dem Umland und bringen ihre Dorffest-Kultur in die Stadt – und wir müssen darunter leiden.“ Eine Woche nach dem G20-Gipfel und den Ausschreitungen hätten viele Anwohner gern etwas Ruhe gehabt.

Polizei meldet 44 Körperverletzungen

Zusätzlich zur Kult-Parade ist am Wochenende auch der Triathlon-Weltcup in Hamburg ausgetragen worden. Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte an, diese Veranstaltungen in den kommenden Jahren zu entzerren. „Besser bunter Block als schwarzer Block“, meint Schlagerstar Sebastian. Der Umzug sei ein Festival der Liebe.

Das stimmt für die meisten Feierwütigen – aber nicht für alle. Die Polizei meldet 44 Körperverletzungen in Verbindung mit dem Schlagermove. 304 Menschen haben Hilfe von Sanitätern gebraucht – auch wegen Alkoholvergiftungen. 96 Personen mussten ins Krankenhaus. „Als Freund kommen, als Pflegefall gehen“, nennt Peter Sebastian das.

Als der Wagen seine Rundfahrt beendet, fällt einigen das (gerade) Laufen schwer. Man erleichtert sich noch schnell am nächsten Gebüsch – die Schlange an den Toiletten scheint zu lang – dann geht es weiter, auf das Heiligengeistfeld, wo die Aftermove-Party stattfindet. Hier steht auch noch Adib. Der Afghane hat mittlerweile eine Blumenkette um, und einen Button mit Peace-Zeichen an der Brust – das Geschenk einiger Schlagerfans. So ganz hat Adib das bunte Treiben aber noch immer nicht verstanden.