Hamburg. Bei einer SPD-Veranstaltung in seinem politischen Heimatbezirk hagelt es Kritik an Olaf Scholz. Der Bürgermeister bleibt stoisch.
„Olaf, wir müssen reden“: Diesen Satz hatten Schanzenbewohner nach den Krawallnächten rund um den G20-Gipfel auf ein Spruchband geschrieben und gut sichtbar aufgehängt. Und schon am Mittwoch musste Scholz genau das tun: reden. Mit den Bürgern. In Altona, seinem politischen und persönlichen Heimatbezirk.
Kurz nach seiner aufreibenden Bürgerschaftsrede, zahlreichen Terminen am Infomobil und auf dem Wochenmarkt tritt er noch am Abend den Gang nach Osdorf an. Kein leichter Gang. Denn es ist die erste Veranstaltung dieser Art in dem Bezirk, der von den gewalttätigen Ausschreitungen am meisten betroffen war.
Nur verhaltener Applaus
Das rot gestrichene Bürgerhaus Bornheide ist umringt von Hochhäusern. In dem nüchternen und funktionalen Saal stehen ein Stehtisch, drei Plakate und rund 200 Stühle. Ein Wasserglas für den Bürgermeister fehlt und muss schnell geholt werden. Etwa 150 Teilnehmer erwarten Scholz. Er ist pünktlich. Umrahmt von Sicherheitskräften betritt er den Saal.
Obwohl unter den Besuchern zahlreiche SPD-Mitglieder sind, brandet der Applaus nur verhalten auf. Kamerateams sind da, fangen jede Bewegung ein. Vor dem G20-Gipfel hätte solch ein Termin wohl eher keinen Fernsehsender interessiert. Denn ursprünglich sollte Scholz mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Kandidaten für den Wahlkreis Altona, Matthias Bartke, ein Interview führen. Die Veranstaltung war als Wahlunterstützung für ihn gedacht.
Die Krawallnacht in Hamburg:
"Welcome to Hell" – die Krawallnacht in Hamburg
Doch nach G20 ist alles anders. Nun unterstützt Bartke Scholz. Das Interview wurde gestrichen. Scholz bekommt die Bühne und das Wort. Bartke hält sich im Hintergrund. Er hilft dabei, den Überblick über die Fragenden zu behalten – denn das sind viele. Die Hamburger haben viel mit ihrem Bürgermeister zu bereden. Es hagelt Kritik. Sogar von langjährigen SPD-Mitgliedern gibt es Schelte für „den Olaf“. Zum Beispiel von Wolfgang Becker. Er ist seit 40 Jahren Parteimitglied, wie er betont. Zwar lobt er, dass Scholz sich in der Bürgerschaft an diesem Tag bei den Hamburgern entschuldigt hat, doch er schiebt gleich nach: „Ich habe diese Entschuldigung als etwas spät empfunden.“ Scholz verzieht keine Miene, während Becker sich Luft macht.
Der kritisiert das Verhalten der Polizeiführung, hält es für falsch, dass man so hart mit Wasserwerfern gegen die vermummten Demonstranten von „Welcome to Hell“ an der Hafenstraße vorging, sie an der Mauer einkesselte. „Da muss man doch auf die Situation eingehen und sein Hirn einschalten“, sagt Becker. Die Stimmung im Saal ist angespannt. Manche beklatschen Becker, andere schütteln den Kopf.
Scholz bleibt ruhig
So emotional die Debatte ist, so stoisch ruhig bleibt Scholz. Er hält dagegen, setzt auf Sachlichkeit. „Ich bitte um Respekt. Die Einsatzleiter verfügen über mehr Details als Sie und ich.“ Es sei schon erstaunlich, wie viele Leute sich plötzlich für Sicherheitsexperten halten, sagt er. Doch viele im Raum scheinen sich geradezu danach zu sehnen, dass Scholz den 100-Prozent-Politiker einmal hinter sich lässt – und sei es nur für einen Moment.
Nur selten lässt sich Scholz anmerken, wie sehr ihm die vergangenen Tage zugesetzt haben. Kurz entgleiten ihm die Gesichtszüge, als er davon spricht, dass man ihn auf der Pressekonferenz am Sonntag drei Stunden gegrillt habe. „Zu Recht, das muss auch mal sein“, sagt er schnell. „Gegrillt“ wird er aber auch an diesem Abend. Ihm werden zahlreiche Vorwürfe gemacht, die Scholz nur teilweise entkräften kann.
Richtig wütend ist „ein Betroffener“, wie er sagt. Der Othmarschener, dessen Laden nicht geöffnet werden konnte. Er klagt über Umsatzeinbrüche und darüber, dass die Polizei nicht kam, als sich die Randalierer ihren Weg über die Elbchaussee bahnten. Bei 20.000 Polizisten sei es nicht möglich gewesen, jemanden zu schicken? „Da kann man doch vermuten, dass da Absicht hintersteckt“, sagt er.
Scholz wird deutlich: „Bitte keine Verschwörungstheorien. Glauben Sie so etwas nicht. Ich nehme alle Verantwortlichen vor solchen Anschuldigungen in Schutz.“ Es habe auch niemals eine Entscheidung gegeben, dass der Schutz der Gipfelteilnehmer wichtiger sei als der der Bürger, betont er an diesem Abend mehrmals. Genau so, wie er mehrmals verspricht, dass alle Fragen lückenlos aufgeklärt werden.
Vertrauen zurückgewinnen
Scholz versucht Vertrauen zurückzugewinnen, gleichzeitig richtet er den Blick in die Zukunft. Er will Konsequenzen aus dem Gipfeldesaster ziehen. Welche? Das bleibt unklar. Nur so viel sagt er: „Wir brauchen neue Wege. Wir müssen uns Taktiken überlegen, wie wir mit solchen gewaltbereiten Gruppen zukünftig umgehen wollen.“
Dabei sieht er nicht nur die Politik in der Pflicht, sondern auch die Justiz. Durch das erlaubte Camp im Volkspark sei ein Sicherheitsloch entstanden, durch das die Gewalt sickern konnte. „Darüber ärgern wir uns und die Richter auch – das hoffen wir zumindest.“ Scholz hofft zudem auf harte Strafen für die 50 festgenommenen Täter. „Ich bin überzeugt, dass die Richter nachdrücklich von den Ereignissen beeindruckt sind und sich das in den Urteilen niederschlagen wird.“