Hamburg. Das ehemalige Hamburger Arbeiterviertel ist kaum wiederzuerkennen. Der Stadtteil wandelt sich rasant und lockt junge Familien an.

Seit 75 Jahren gibt es Fische Faerber am Barmbeker Bahnhof. Im nächsten Jahr ist Schluss. Die heruntergekommene Ladenzeile wird abgerissen, das linsenförmige Grundstück bebaut. Trotz des Gerumpels von U- und S-Bahn entsteht hier ein 188-Zimmer-Hotel. Drei-Sterne-Komfort statt Schmuddelecke – Fische Faerber ist ein weiteres Beispiel für Barmbeks Wandel vom Arbeiterstadtteil zum schicken Wohnquartier.

Barmbek – der Name stand jahrzehntelang für eher ärmliche Verhältnisse und Menschen, die trotz breiten Hamburger Slangs vornehm über den „s-pitzen S-tein“ stolperten. Sie lebten in engen Arbeitervierteln, schufteten hart, vertraten linke politische Ansichten und trugen Konflikte oft mit der Faust aus. „Basch“ nannten die feineren Hamburger dieses derbe Benehmen. Für die Barmbeker selbst bedeutete „basch“ lässig und unangepasst. Der „Lord von Barmbeck“, der stets gut gekleidet auftrat und bis zu seiner Verhaftung 1921 Hamburgs berühmtester Einbrecher war, wurde von ihnen als eine Art Robin Hood verehrt.

So wird das künftige Hotel aussehen
So wird das künftige Hotel aussehen © TAMM IMMOBILIEN GmbH | TAMM IMMOBILIEN GmbH

Noch heute dient das „basch“ der Identifikation. Barmbek Basch heißt das 2010 eröffnete Stadtteilzentrum. Und auch Reinhard Otto von der Geschichtswerkstatt Barmbek nutzt „basch“ in seiner E-Mail-Adresse. Er bietet regelmäßig Stadtteilrundgänge an und kennt den Stadtteil wie kaum ein zweiter. „Barmbek sah vor dem Krieg ähnlich aus wie heute die Altbauviertel von Eppendorf und Eimsbüttel“, sagt er. Die Läden am Bahnhof, die bald abgerissen werden sollen, seien einst Erdgeschosse herrschaftlicher Etagenhäuser gewesen. Das dort geplante siebengeschossige Hotel greife deren Höhe auf.

Ein Zentrum entsteht

Die Realisierung des Hotels gehört zu den letzten Maßnahmen in dem 2005 vom Senat zum Sanierungsgebiet erklärten Bereich rund um Bahnhof und Fuhlsbüttler Straße. Hier, unmittelbar an der Grenze zwischen den Verwaltungsbezirken Barmbek-Nord und Barmbek-Süd, soll ein Zentrum für den im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Stadtteil entstehen. Das bietet sich auch aus historischer Sicht an. Auf dem Wochenmarktgelände, gegenüber von Fische Faerber, etwa ist man umgeben von Zeugnissen aus der bewegten Vergangenheit des Stadtteils.

In den restaurierten Überresten der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie, im 19. Jahrhundert Barmbeks größter Arbeitgeber, sitzt heute das Museum der Arbeit, das mit dem Kulturzentrum Zinnschmelze und zwei Restaurants ein beliebter Anlaufpunkt ist. Das frühere Bezirksamt, heute Sitz von Bücherhalle und Volkshochschule, stammt aus der Nachkriegszeit, in der Barmbek ebenso schnell wie lieblos wieder aufgebaut wurde. Der Bahnhof, ebenfalls von dieser Zeit geprägt, wurde gerade aufwendig saniert und umgebaut. Hinter ihm ragt das Hochhaus der Genossenschaft VGB empor, daneben entsteht auf dem früheren Hertie-Grundstück ein Neubau mit Büros, einem weiteren Hotel und Geschäften.

Wochenmarkt wird vergrößert

Die Fuhlsbüttler Straße, die lange unter der Konkurrenz des Einkaufszen­trums Hamburger Meile gelitten hat, wurde umgestaltet und aufgehübscht. „Auch der Angebotsmix und die Qualität der Läden hat sich verbessert“, sagt Thomas Klein, der 2012 mit seiner Lebensgefährtin Meike Schmidt nach Barmbek-Nord gezogen ist. Damals habe es überwiegend Dönerläden, Friseure, Nagelstudios und Billigläden gegeben. „Jetzt haben sich hier nette Cafés und Restaurants angesiedelt, auch der Wochenmarkt hat sich vergrößert.“

Seit 2004 lebt der Ingenieur in Barmbek. Doch auch als der Gedanke der Familiengründung ernst und die Wohnung im Komponistenviertel zu klein wurde, wollte er „zwischen Alster und Stadpark“ bleiben. Wie mittlerweile viele Paare suchten er und seine Freundin neben Eppendorf und Winterhude auch in Barmbek. Mit der Dreizimmerwohnung mit Dachterrasse im Quar­tier 21 fanden sie, was sie gesucht hatten.

450 Wohnungen geplant

Denn um der ständig steigenden Nachfrage nach hochwertigem, familienfreundlichem Wohnraum nachzukommen, wird im ehemaligen Arbeiterstadtteil ordentlich nachverdichtet. Nach dem Quartier 21 (400 Wohnungen in Alt- und Neubauten, dazu 44 Stadthäuser) wurde auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs an der Hellbrook­straße gerade das Stadtparkquartier (650 Wohnungen) fertiggestellt. Weiter geht es an der Dieselstraße, wo nach der Verlagerung des Opernfundus der Bau des Quartiers „Barmbek Family“ beginnt (675 Wohnungen und Kleingärten). Es folgen die Projekte „Wohnen an der Beethovenstraße“ (190 Wohnungen), „Parkquartier Friedrichsberg“ (210 Wohnungen) und „Pergolenviertel“ (1400 Wohnungen). Auf dem ehemaligen Gelände der „Block-House“-Zentrale am Osterbekkanal werden 80 Wohnungen gebaut, auf dem Busbetriebshof am Mesterkamp 450 Wohnungen.

Längst ist Barmbek für Investoren interessant geworden, und die ersten Podiumsdiskussionen zum Thema „bezahlbares Wohnen“ wurden geführt. Laut „Capital“ sind die Preise für Eigentumswohnungen in Barmbek-Nord für Altbauten um mehr als fünf Prozent auf Quadratmeterpreise von 2300 bis 4400 Euro gestiegen, bei Neubauten um zwei bis fünf Prozent auf Quadratmeterpreise von 3600 bis 5600 Euro. Die Monatsmieten liegen nach Angaben des Wirtschaftsmagazins im Altbausektor zwischen 8,50 Euro und 12,90 Euro, bei Neubauten zwischen elf und 14,10 Euro. Thomas Klein und Meike Schmidt zahlen mit 13,50 Euro etwas mehr als den Durchschnittspreis.

Starke Identifikation

„Das Quartier wird attraktiver, die Kundschaft solventer“, beobachtet Lutz Schehrer, der in dritter Generation die Nord-Apotheke an der Fuhlsbüttler Straße betreibt. Dass der Mietenspiegel gestiegen sei, betreffe vor allem die neuen Bewohner, weiß er durch Gespräche mit seiner Kundschaft. „Die alteingesessenen Barmbeker haben alte Mietverträge und zahlen entsprechend wenig.“ Ähnlich sieht es in Barmbek-Süd aus. Dort wohnt René Gögge. „Ich bin froh, dass ich schon seit zwölf Jahren hier wohne, denn die Mieten sind deutlich gestiegen“, sagt er. Der Wahlkreisabgeordnete und kulturpolitische Sprecher der Grünen ist interessiert daran, die Besonderheiten Barmbeks zu vermitteln. In Kooperation mit der Geschichtswerkstatt bietet er regelmäßig Stadtteilrundgänge an. „Ich erlebe eine starke Identifikation der Barmbeker mit ihrem Stadtteil“, sagt er. Auch bei den Neubewohnern.

Auch kulturell wächst Barmbek. Neben der Zinnschmelze und dem Bürgerhaus, die beide vor Kurzem erweitert wurden, entsteht am Wiesendamm das Theaterzentrum Wiese, wo sich das Junge Schauspielhaus und die Theaterakademie ansiedeln werden. „Barmbek ist einer der lebendigsten, buntesten und attraktivsten Stadtteile“, sagt denn auch Bezirksamtsleiter Harald Rösler. Die Entwicklung rund um den Barmbeker Bahnhof, die vielen bereits realisierten und geplanten Quartiere und kulturellen Projekte verwandelten den ehemaligen Arbeiterstadtteil in einen lebenswerten Ort für alle Schichten.