Hamburg. Heute vor 25 Jahren begann die Endmontage des A321. Vier Mitarbeiter von damals erinnern sich im Abendblatt.
Einen trifft der Spott beim Wiedersehen nach vielen Jahren immer. In diesem Fall ist es Carlos Alcántara. Das liegt nicht an seiner Person, sondern an seiner früheren Arbeit. Als 20-Jähriger baute der gelernte Fluggerätbauer Türen und Türverkleidungen an. Wenn er an der Tür 1 links tätig war, gab es für die Kollegen kein Durchkommen – auch wenn durch diesen Eingang das ganze Material in das Flugzeug gebracht werden muss. Alcántara, der Staumann. „Da warst du so beliebt wie ein Türsteher auf St. Pauli“, sagt Ralf Bärwald und lacht dabei.
Es ist 25 Jahre her, dass die beiden Männer an einem Jet gearbeitet haben. Und es war eine wichtige Premiere. Am 15. Juni 1992 erfolgte im Airbus-Werk auf Finkenwerder der Startschuss für die erste Endmontagelinie. Bis dato lieferten die Hamburger Teile und bauten die Kabine ein. Nun wurden erstmals ganze Maschinen an der Elbe fertiggestellt – und sogar ein neuer Flugzeugtyp, der A321. Eine verlängerte Version des Kurz- und Mittelstreckenjets A320. Für den damaligen Airbus-Chef Hartmut Mehdorn war es das Modell, mit dem man Boeings 737-Reihe ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ liefern wollte.
Scheinwerfer eines VW Bulli sorgten für Licht
Hoch im Kurs stand damals die Arbeit in der neu gebauten Otto-Lilienthal-Halle, in der die Endmontage beheimatet war. „Da spielte auch der Hamburger Stolz eine Rolle, dass wir jetzt wieder ganze Flugzeuge bauen“, sagt der heute 50 Jahre alte Bärwald. Ansonsten gab es nur Rümpfe zu sehen. Zuvor war bis zum Jahr 1973 durch die Hamburger Flugzeugbau GmbH der zwölfsitzige Hansa Jet an der Elbe gefertigt worden. Uwe Pietz erinnert sich mit Respekt an das erste Mal, als er die legendäre Halle 14 betrat. „Das soll irgendwann fliegen – da stand ich schon mit großen Augen davor“, sagt der 55-Jährige.
Der Fluggerätelektroniker arbeitete in der Kabinenausstattung. Beispielsweise schnitt er für die Handgepäckfächer Kabel auf Maß und montierte Stecker. Beim Prototypen musste er häufiger die Arbeit einstellen, weil ein Konstruktionsteil im Weg stand, etwa ein falscher Halter eingebaut war und getauscht werden musste. Die Wege seien damals deutlich kürzer gewesen, man habe schneller jemanden gefunden, der die Arbeit machen durfte. „Früher waren 25 bis 30 Personen in der Kabine bei der Arbeit, heute sind es noch zehn bis zwölf“, sagt Pietz.
Airbus wagte ein Novum
Airbus wagte bei der Fertigung des A321 mit der integrierten Endlinie ein Novum. Während draußen am Jet die einzelnen Segmente zusammengefügt wurden, schritt innen der Ausbau der Kabine voran. Dieses parallele Arbeiten war neu. Gefürchtet war bei den Mitarbeitern vor allem die Bestuhlung – denn sie war ein wahrer Kraftakt. „Zwei Mann mussten die Sitze in das Flugzeug tragen. Wir waren froh, wenn keine Sitzverkleidung daran war“, sagt Pietz. Denn das sparte schließlich Gewicht. Und Alcántara (45) ergänzt: „Jeder musste mit anpacken.“ Heute werden die Stühle auf „Hunden“ (Rollwagen) in die Flugzeuge transportiert. Das schont Knochen und Muskeln.
Eine besondere Herausforderung hielt die schwierigste Arbeit bereit: Die Flügelmontage. Per Computersteuerung wurden die Tragflächen an den Rumpf gefahren, dann die Löcher gebohrt. Um die Löcher zu reinigen, mussten die Flügel zunächst wieder zurückgefahren werden. Weil der Vorgang einige Zeit in Anspruch nahm und die Toleranzen im Bereich von Zehntelmillimetern lagen, musste auch der Tidenhub und die dadurch minimale Bewegung der Hallen mit in die Kalibrierung der Anlagen und Produktionsschritte einbezogen werden.
Fehler gehörten am Anfang durchaus zu den ungewünschten Nebeneffekten, wie zum Beispiel beim Check der Kabine auf Dichtigkeit. „Beim Delta-P-Test war höchste Sicherheit angesagt, weil uns auch mal der ein oder andere Niet um die Ohren geflogen ist“, sagt Pietz. Teilweise mussten die Männer von Airbus auch mal improvisieren. Als bei einem vor der Halle geparkten Jet nachts die Verkleidung getauscht werden musste, wurde der VW Bus mit laufendem Motor so geparkt, dass die Scheinwerfer für Licht bei der Montage sorgten.
Werkzeugkasten sorgte nicht selten für Kratzer
Einer Überarbeitung bedurften auch so manche Teile in der Maschine. Früher wurde der Metallwerkzeugkasten einfach mit in die Maschine genommen und auch mal mit Schmackes abgestellt, erinnert sich Pietz: „Was wir alles kaputt gemacht haben, das ging gar nicht.“ Um Kratzer im Lack oder Schlimmeres zu verhindern, bleibt der Koffer heute draußen. Mitgenommen wird nur noch das Werkzeug, das gerade gebraucht wird. Und das gut verstaut in den Hosentaschen. „Wir haben heute ein komplettes Schutzkonzept“, sagt Pietz. Häufig zu schaden kamen früher zum Beispiel die Handgepäckfächer, die dann neu lackiert werden mussten.
Airbus in Hamburg: Die 24-Stunden-Reportage
Der Mann für die Farbe beim A321 war und ist Thorsten Dreyer. Der gelernte Baumöbeltischler und studierte Holz- und Kunststofftechniker wurde auserkoren, die Lackiererei auf Finkenwerder aufzubauen. „Für mich war das absolutes Neuland“, sagt der 56-Jährige. Zwei Wochen lang schaute er den Kollegen in Toulouse über die Schulter. Dann wurde der Prozess eins zu eins übertragen. Anfang 1993 wurde in Hamburg das erste Mal eine Maschine von außen lackiert. Vor allem die äußerste Schicht wird im Flugbetrieb heftig gefordert. „Die Lacke müssen innerhalb von zehn Minuten Temperatursprünge von 100 Grad Celsius aushalten“, sagt Dreyer, der seit dem Jahr 2006 die A380-Außenlackierung leitet. Die Lackierung des größten Passagierjets der Welt wird derzeit mit der der A320-Familie zusammengeführt.
Arbeitszeit hat sich stark reduziert
Die Arbeitszeit für einen Jet hat sich stark reduziert. Weil vieles professioneller wurde. So hat man früher mit Auge und bloßer Hand versucht, die Linien für Logos und Muster aufzutragen. Angesichts der Rundungen der Maschine ein schwieriges Unterfangen. Heute kommen dafür Folien aus dem Drucker. Ein A321 ist dank solcher Verbesserungen heute in gut 700 Stunden fertig lackiert, früher waren es mehr als 2000 Stunden. Der Bereich wuchs von 15 Mitarbeitern auf rund 400 Personen, die für beide Flugzeugprogramme zusammen verantwortlich sind.
Überhaupt ist das Personal bei Airbus kräftig aufgestockt wurden. Als die Endmontagelinie 1992 startete, wurden die Mitarbeiter noch aus den verschiedenen Bereichen auf Zeit abgestellt. Das Abendblatt schrieb damals auf der Titelseite, dass 500 neue Arbeitsplätze entstehen sollen, vor allem bei Zulieferern. „Damals haben wir die Toiletten noch selbst gemacht, heute werden sie von Diehl geliefert“, erinnern sich Bärwald und Dreyer. Aktuell sind im A320-Programm rund 2000 Personen tätig. Insgesamt beschäftigt der europäische Flugzeugbauer etwa 12.500 Mitarbeiter in der Hansestadt. Da auch Fremdfirmen auf dem Gelände arbeiten, sind bei Airbus auf Finkenwerder täglich sogar rund 16.000 Personen tätig.
Neben dem A321 werden auch die kleineren Schwestern A320 und A319 hier gebaut – wobei die kleinere Maschinen mit einem Auftragsbestand von weniger als 100 Stück keine große Rolle mehr spielt. Für die beiden langen Versionen gibt es hingegen Order über mehr als 5000 Exemplare. Sie sind mittlerweile der große Verkaufsschlager des Konzerns. Mehr als 7500 Maschinen sind mittlerweile ausgeliefert worden, dabei ist man bei Programmstart lediglich von 600 Bestellungen insgesamt ausgegangen.
Bereits die vierte Endmontagelinie
Um der Auftragsflut Herr zu werden, wird derzeit die bereits vierte Endmontagelinie in der Hansestadt aufgebaut, die im Sommer starten soll. In zwei Jahren sollen dann 60 A320-Flieger im Monat den Konzern verlassen. Damit wird die höchste Rate angestrebt, die es in der zivilen Luftfahrt jemals gegeben hat. Derzeit sind es 50 Jets pro Monat, von denen etwa die Hälfte aus Hamburg kommt. Den Rest steuern Toulouse, Tianjin in China und das amerikanische Werk in Mobile (USA) bei.
Beim Start der ersten Endmontagelinie 1992 war eine solche Rate undenkbar. Der Prototyp mit der Seriennummer MSN0364 brauchte neun Monate vom ersten Handgriff bis zum Erstflug. Erst am 11. März 1993 hob die Maschine erstmals ab. Heute wird eine Maschine in sechs Wochen zusammengefügt. Und während das Premierenmodell an einem Ort entstand, durchläuft die Maschine heute sechs Positionen – und die Mitarbeiter folgen ihr. Pietz: „Früher waren wir an einem festen Bauplatz, heute wandern wir mit der Maschine mit.“
Noch heute ist der Flieger im Einsatz
Für den Verkauf der Maschinen war damals Bärwald zuständig. Allerdings hatte er beim Prototypen nichts zu tun. Traditionell verbleibt der erste Jet einer neuen Reihe lange beim Hersteller für Testzwecke. Erst 1998 wechselte er den Besitzer, seitdem fliegt er mit Unterbrechungen für die türkische Fluglinie Onur Air. Zu den ersten Abnehmern von Flugzeugen „made in Hamburg“ zählten Lufthansa und Alitalia. Die Deutschen waren der erste Käufer eines kompletten Flugzeugs aus Hamburg – und tauften den Flieger auf den Namen „Finkenwerder“.
Mit den Fluggesellschaften war Bärwald damals knapp 100-mal während der Fertigung vor Ort. Heute kommen die Kunden auf nur noch rund 30 Besuche während der Herstellung. „Zu sehen, wie ein Flugzeug entsteht, und dies dem Kunden zu zeigen, war schon super“, sagt Bärwald, der sich nach seiner Lehre als Metallflugzeugbauer im Fernstudium zum Maschinenbautechniker fortgebildet hat und heute Projektleiter ist: „Es war eine tolle Zeit.“
Gewisser Stolz
Das sehen auch seine Kollegen so. Bei Pietz, der noch immer in der Endmontage arbeitet, schwingt in der Stimme durchaus ein gewisser Stolz mit: „Man konnte die Nase schon ein bisschen höher tragen, weil man an einem ganzen Flugzeug arbeitete, nicht nur an einem Teil.“ Arrogant klingt das bei ihm aber nicht. Dreyer fühlte sich generell jedem Flugzeug stark verbunden – damals sicherlich noch ein bisschen mehr als heute. Und bei Alcántara, der heute das Auslieferungszentrum für die komplette A320-Familie leitet, ist die Leidenschaft geblieben: „Ich gucke mir die Flieger immer noch gerne an. Sie sind einfach ein tolles Produkt.“