Hamburg. Der Künstler Boran Burchhardt veredelt eine Fassade in einem der ärmsten Hamburger Stadtteile. Das kann man gut finden oder schlecht.

PRO

Eine Kontroverse ist das Beste, was der Veddel passieren kann

Es gab Zeiten, in denen entschieden wurde, welche Kunst von wem wo ausgestellt werden darf, was gute und schlechte Arbeit ist, was als Art und entartet gilt. Es waren keine guten Zeiten.

Heute darf man eine Hauswand mit Blattgold bekleben, behaupten, es sei Kunst, und auf den Sturm der Entrüstung warten. Zum Glück. Denn Kunst darf harmlos und gefällig sein, sie muss aber auch provozieren, kritisieren, wehtun, Kontroversen entfachen oder einen Streit anzetteln dürfen. Deshalb ist die goldene Hauswand auf der Veddel das Beste, was dem Stadtteil seit Langem passiert ist: ein unerträgliches Paradoxon, das den Blick auf das Viertel lenkt. Hier Gold, da kaum Geld für Toastbrot. Gemessen an der Wirkung sind alle Ziele erreicht. Denn bisher konnte die Veddel vor allem eines: gut ignoriert werden.

Nico Binde
Nico Binde © HA

Damit ist jetzt Schluss. Selten hat ein Kunstwerk solche Aufregung produziert, kaum ein Künstler hat so schnell nahezu alle Lager gegen sich aufgebracht. Reife Leistung, Boran Burchhardt! Wenn es Kalkül war: herzlichen Glückwunsch! Die maximale Einschaltquote ist da. Es passte aber auch alles zu gut für den Volkszorn am Stammtisch: Ein abgehobener Künstler schmiert mit unserem Steuergeld echtes Blattgold an die Hauswand eines Problemviertels. Das ist igitt, pfui oder „in Kunst gegossener Hohn gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen dieser Stadt“, wie der Steuerzahlerbund meint.

Wie kleingeistig, heuchlerisch und falsch. Eine Kunstkommission bewilligt Geld für Kunst, nicht für soziale Projekte. Genauso gut könnte man dem Justizsenator vorwerfen, sein Budget zu selten in den Umweltschutz zu investieren. Hohn gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen dieser Stadt ist die ihnen entgegengebrachte Ignoranz. Verbunden mit dem Unwillen, sich mit ihren Inhalten zu beschäftigen. Dagegen hilft keine therapeutische Kunst, da braucht es ein Werk, das rums macht. Warum nicht eine goldene Wand im Armenhaus? Oder darf Kunst nichts kosten und muss gefällig sein? Dann reißt das Schauspielhaus ab! Kunst soll nicht provozieren? Verbrennt Pollock und Warhol! Kunst darf nicht kritisieren? Dann sperrt Ai Weiwei endlich weg!

Das Problem auf der Veddel ist nicht die goldene Wand, sondern das, was dahinter passiert. Und wenn die Hülle zum Kern führt, ist Kunst nicht sinnlos. Deshalb ist dieser Skandal einer, den sich Hamburg leisten kann. Nico Binde

KONTRA
Die Veddel braucht Hilfe, keinen Gold-Künstler

Eine Fassade auf der Veddel soll vergoldet werden. Eigentlich kann das nur ein schlechter Scherz sein. Doch es ist leider Realität. Dass die Kunstkommission der Kulturbehörde dieses Vorhaben mit mehr als 85.000 Euro aus Steuermitteln fördert, ist schockierend. Dass Künstler Boran Burchhardt auch noch selber Mitglied dieser Kunstkommission ist, macht sprachlos. Ja, er hat nicht mit über sein eigenes Projekt abgestimmt. Aber ein übler Beigeschmack bleibt.

Das städtische Wohnungsunternehmen Saga ist auch mit an Bord und stellt die Fassade seines Mehrfamilienhauses an der Veddeler Brückenstraße zur Verfügung­, wo der Künstler nun sein 23,5- Karat-Doppelrollengold auftragen darf.

Die Saga tut ihren Mietern und dem gesamten Stadtteil damit keinen Gefallen. Es ist einfach taktlos, in einem der ärmsten Stadtteile von Hamburg eine Fassade zu vergolden. Auch der Stadtteilbeirat hat sich gegen dieses Projekt ausgesprochen, ebenso die Bezirkspolitik. Doch den Künstler, die Saga und die Kunstkommission scheint das alles nicht zu interessieren. Die Menschen im Stadtteil wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Denn es ist ja schließlich Kunst, und dann ist anscheinend alles erlaubt. Nein, ist es nicht.

Diese Kunstaktion ist völlig überflüssig. Die Menschen auf der Veddel haben nichts davon, dass es nun bald eine goldene Wand in ihrem Stadtteil geben wird. Aber wahrscheinlich wird das Werk zu einer Art Pilgerstätte für Kunstbeflissene aus wohlhabenden Stadtteilen werden, und die Bilder von der goldenen Fassade werden schnell ihren Weg in die sozialen Netzwerke finden.

Die mehr als 85.000 Euro, die der Künstler erhält, könnten auch sehr gut in soziale Projekte im Stadtteil investiert werden. Hier wird an allen Ecken und Enden Geld benötigt. Keinen Grund für Kritik gäbe es nur dann, wenn private Sponsoren diese Kunstaktion finanzieren würden und nicht der Steuerzahler.

Das Fazit: Die Vergoldung der Veddel ist eine reine Provokation. Der Einzige, der davon am Ende profitieren wird, ist der Künstler. Ulrich Gaßdorf