Hamburg. Grau statt grün? Hamburgs Natur verliert jährlich große Flächen. Umweltschützer fürchten um den Ruf und die Lebensqualität der Stadt.

Sie ist zu schön, die Geschichte von der „Stadt im Wald“, die die kosmopolitischsten unter den Hamburgern gern erzählen. Demnach sollen internationale Gäste beim Anflug auf die Stadt so baff über das üppige Grün zwischen den Häusern sein, dass sie sich an eine Waldmetropole erinnert fühlen. Aus der Luft betrachtet ist Hamburg noch in Ordnung. Doch Umweltschützer fürchten, dass der Eindruck von der Stadt im Forst mit Hafenanschluss zu schwinden droht. Aus Grün werde zunehmend Grau.

Vor allem die Naturschutzorganisationen BUND und Nabu warnen, dass das Wohnungsbauprogramm des Senats sowie das Stadtwachstum vor allem dem Grün schaden. „In Sonntagsreden wird Hamburg als grüne Stadt gefeiert, in der Realität geht die Abwägung von Bauen und Naturschutz oft zulasten der Grünflächen“, sagt der Vorsitzende des Hamburger Naturschutzbunds und frühere Umweltsenator, Alexander Porschke. „Dabei werden kleine Einzelmaßnahmen bagatellisiert. In der Summe entstehen aber große Verluste im Stadtgrün.“ Berechnungen des Nabu zufolge betrugen die Einbußen durch Bebauung in den vergangenen sechs Jahren 246 Hektar. Ein Areal, anderthalbfach so groß wie die Außenalster.

Gewinnen Sie eine Führung durch das Haus der Schmidts

Hamburg gilt als grüne Metropole

– doch der Erhalt von Grünflächen wird in einer wachsenden Stadt zur Herausforderung. Mit der Loki Schmidt Stiftung will das Abendblatt deshalb Hamburger auszeichnen, die sich privat dafür einsetzen, dass die Stadt grün bleibt. Bringen Sie eine Brachfläche, eine Verkehrsinsel oder den Boden rund um einen Straßenbaum zum Blühen? Haben Sie einen besonders bienenfreundlichen Garten? Machen Sie das Dach Ihres Hauses oder des Carports zur wertvollen Insel für Pflanzen und Tiere? Dann bewerben Sie sich für den „Loki Schmidt Preis – Grünes Hamburg“.

Aus allen Einsendungen

wird eine Jury die Gewinner auswählen.* Die Loki Schmidt Stiftung vergibt als 1. Preis einen Obstbaum aus dem Garten von Ehren sowie eine Führung mit Gartenbotschafter John Langley durch das Schmidt-Haus in Langenhorn, als 2. Preis eine Führung durch Loki Schmidts „Urwald“ am Brahmsee und als 3. Preis eine Führung durch den Botanischen Garten in Klein Flottbek.

Senden Sie uns

eine kurze Beschreibung und ein Foto Ihres Projekts an: gruenes hamburg­@loki- schmidt­-stiftung.de oder Loki Schmidt Stiftung, Stein­torweg 8, 20099 Hamburg.

Die Preisverleihung

findet im November in der Bucerius Law School statt. Die Jury besteht aus John Langley, Botschafter der Loki Schmidt Stiftung, Blumentochter Tessa Petzoldt, Johannes von Ehren vom Garten von Ehren, Abendblatt-Garten­experte Karl Günther Barth und Abendblatt-Redakteurin Jule Bleyer. *Teilnahme nur aus Deutschland möglich. Mitmachen dürfen nur Teilnehmer ab 18 Jahren. Mitarbeiter der FUNKE Mediengruppe GmbH & Co. KG und der beteiligten Firmen dürfen nicht teilnehmen. Rechtsweg und Barauszahlung sind ausgeschlossen.

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Angriff auf Hamburgs Grünflächen

Noch ist Hamburg im europaweiten Vergleich relativ pflanzenreich, darf sich grünste Millionenstadt Deutschlands nennen. 71,4 Prozent bestehen laut einer Satellitenbildauswertung aus Flächen mit Vegetation. Großen Anteil daran haben 3000 Hektar Parks, Wiesen- und Erholungsfläche. 245.000 Straßenbäume und weite Landwirtschaftsräume komplettieren die Anmutung. Zur Wahrheit gehört aber, dass 60 Prozent der Stadt Siedlungs- und Verkehrszwecken dienen.

Der Hamburger Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) warnt vor noch gravierenderen Verlusten. Geschäftsführer Manfred Braasch sieht den „Angriff auf Hamburgs Grünflächen voll entbrannt“. Das kann in Rahlstedt, Hummelsbüttel oder Öjendorf besichtigt werden. „Hier sollen sogar Landschaftsschutzgebiete bebaut werden.“ Der Senat versuche, die Illusion zu nähren, dass Hamburg trotz des massiven Wohnungsbaus, neuer Straßen und zusätzlicher Gewerbeflächen eine grüne Metropole bleibe. Die Zahlen des Statistikamts, wonach zwischen 2001 und 2015 etwa 2000 Hektar Grünfläche versiegelt wurden, seien eindeutig. Die Fläche entspricht der zwölffachen Ausdehnung der Außenalster.

Anfang des 20. Jahrhunderts kaum Grün

Vor mehr als 100 Jahren war die Stadt weit von einer grünen Metropole entfernt, und die Gründe klingen erstaunlich aktuell: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Verdichtung ließen das Grün weichen. Seinerzeit wurde dieser Entwicklung mit dem Bau von Parkanlagen begegnet. Otto Linne wurde erster Chef der Grünverwaltung.

Sein Erbe ist unter anderem der Stadtpark. Was damals neue Parks waren, sind heute Ausgleichsflächen. Der 2013 eröffnete Inselpark in Wilhelmsburg und zwei geplante neue Naturschutzgebiete ausgeklammert, werden Grünverluste heute oft kleinräumig durch Ersatzpflanzungen an anderer Stelle kompensiert. Das klappt nur nicht immer. Etliche Ausgleichsmaßnahmen wurden bis heute nicht umgesetzt, andere in entfernte Bezirke oder ins Umland verlegt. Insgesamt 197 Bebauungspläne wurden seit 2009 ganz ohne Ausgleich beschlossen.

Ausgleichsflächen richtig und wichtig

Statistisch gesehen hat Hamburg in den vergangenen 15 Jahren jedes Jahr fast die Fläche der Außenalster überbaut, sagt Manfred Braasch: „Das kann so nicht weitergehen. Wir brauchen spätestens von 2020 an einen Flächenkreislauf, eine Netto-null-Versiegelung.“ Das bedeute, die Stadt müsse sich zu einem Verhältnis von „nicht bebaut“ zu „bebaut“ bekennen. Sobald auf einer Grünfläche gebaut werde, müsse an anderer Stelle entsiegelt werden. Das erfordere Kreativität und Ideen in der Stadtentwicklung, so der oberste Umweltschützer des BUND.

Laut rot-grünem Koalitionsvertrag sind ökologisch wertvolle Flächen für Wohn- und Gewerbenutzung tabu. Andererseits wird nicht ausgeschlossen, Teile von Landschaftsschutzgebieten zu bebauen. Auch deshalb ist kürzlich der „Naturcent“ beschlossen worden. Er sei „eine Kompensation für den durch den verstärkten Wohnungsbau bedingten Flächenverbrauch.“ Ziel sei, Hamburgs Naturkapital zu erhalten, sagt Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). Wie groß die zu erwartenden Flächenverluste sein werden, könne laut Senat noch nicht abgeschätzt werden.

Ausgleichsflächen hält der Nabu-Vorsitzende Alexander Porschke für das „grundsätzlich richtige Prinzip“. Es gebe einige gute Beispiele für Naturausgleich, etwa in Neuland. „Doch die Kluft zwischen dem, was nötig ist, und dem, was gesetzlich geleistet wird, ist groß“, so Porschke. Jeder Bauherr schulde zwar eine Renaturierungsmaßnahme, aber nicht deren Erfolg. Wenn der Naturausgleich nicht fruchte, werde die Lücke im Stadtgrün größer. Porschke fordert „wirksame Nachbesserungen im Verfahren“.

Wie wichtig Städtern das Grün ist, geht aus einer „Naturbewusstseins­studie“ des Bundesumweltministeriums hervor. 94 Prozente der Befragten gaben an, dass Natur in allen Teilen der Stadt zugänglich sein sollte. Öffentliche Parks dienen als Fitnessstudio oder der Freizeit. Das „Urban Gardening“ nimmt stetig zu. Jeder verfügbare Winkel wird in Großstädten von Privatleuten begrünt.

Hamburg darf nicht enden wie die Costa Brava

„Wir kommen aufgrund der knappen Flächen an die Grenzen des Systems“, sagt Manfred Braasch. Laut dem Bündnis für Wohnen, das 10.000 neue Wohnungen pro Jahr vorsieht, werden jährlich etwa 70 Hektar für Neubauvorhaben benötigt. „Es muss daher aufgezeigt werden, wo es überhaupt noch Ausgleichsflächen in Hamburg gibt“, verlangt Braasch. Dem BUND zufolge befinden sich aktuell etwa 235 Hektar der Landschaftsschutzgebiete, des Grünen Rings und Flächen in Landschaftsachsen in Bebauungsplanverfahren.

Nabu-Chef Porschke meint: „Die Stadt muss sich entscheiden: Wo soll’s hingehen?“ Selbst wenn 80 Prozent des Wachstums mit Innenstadt-Verdichtung geleistet werden soll, bleiben 20 Prozent, die auf Kosten von Grün­flächen gehen. Neue Konzepte, etwa durch die Renaturierung von Gewerbeparkplätzen und Industriebrachen, wären sinnvoll. Irgendwann müsse Schluss sein mit der Inanspruchnahme von Grünflächen für den Wohnungsbau. „Sonst enden wir wie die Costa Brava“, sagt Porschke. „Das war auch mal eine schöne Gegend.“

Die grüne Stadt kann bei 200 Veranstaltungen zum Langen Tag der Stadtnatur (17./18. Juni) erlebt werden. Das Programm im Netz unter: http://tagderstadtnaturhamburg.de/