Hamburg . Nach dem aktuellen Verfassungsschutz-Bericht ist die Zahl der Salafisten in Hamburg bis Ende 2016 auf 670 gestiegen.
Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß ist nicht für Alarmismus bekannt. Um so nachhaltiger wirkten seine Worte, die der Spitzenbeamte am gestrigen Donnerstag bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde fand: „Wir müssen mit einer steigenden Anschlagswahrscheinlichkeit im Zuge des Zerfalls des sogenannten Islamischen Staates rechnen.“ Spitzenvertreter des IS hätten ihre Anhänger aufgefordert, vermehrt terroristische Anschläge in Europa, mithin in Deutschland, auszuführen.
Im Mittelpunkt der Berichterstattung über die Arbeit des Verfassungsschutzes stand der G20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg. Es gebe bislang zwar keine Hinweise auf Anschläge von Salafisten, sagte Innensenator Andy Grote (SPD). Allerdings rechne man mit bis zu 8000 gewaltbereiten Demonstranten aus dem linken politischen Spektrum. Trotz dieser Bedrohungslage gehe er „im Moment nicht von Versammlungsverboten“ aus.
Zugleich forderte Grote die Kritiker des Gipfels auf, darauf zu achten, an welchen Aktionen und Demonstrationen sie sich beteiligten. Die meisten Teilnehmer seien friedlich. Allerdings: „Der G20-Gipfel ist ein dankbarer Mobilisierungsanlass für die militante linke Szene.“ Viele seien unter dem Banner der gerechten Weltordnung unterwegs, „die im Kern mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nichts am Hut haben“, sagte Grote.
Distanzierung von Gewalt fehle
Der Innensenator forderte friedliche Kritiker auf, „sehr genau hinzusehen“. Militanten Gegnern fehle stets die Distanzierung von Gewalt. Zudem würden gewaltverharmlosende Begriffe verwendet. Grote warnte: „Wenn das ,Durchfließen‘ von Polizeiketten angestrebt wird, muss jedem klar sein: Polizeiketten werden nicht durchflossen, sondern wer eine Polizeikette überwinden will, geht eine Auseinandersetzung mit der Polizei ein.“
Verfassungsschutz-Chef Voß machte auf drei Gruppierungen aus dem linken Lager aufmerksam: die Autonomen rund um das linke Kulturzentrum „Rote Flora“, die Interventionistische Linke und der Rote Aufbau Hamburg. Alle drei Gruppen betrachteten Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung und hätten eigene Demonstrationen angemeldet. Zudem stünden sie hinter den geplanten Camps im Stadtpark und im Altonaer Volkspark.
Gewaltbereite Linke wollen das Gängeviertel als „Ruheraum“
Die Interventionistische Linke sei besonders gefährlich, weil sie den Schulterschluss sowohl mit Extremisten als auch mit Bürgerlichen suche. „Sie sieht sich als Scharnierfunktion“, sagte Voß. Die Interventionistische Linke gehöre auch zu der vom Bundestagsabgeordneten Jan van Aken (Linkspartei) angemeldeten Demonstration am 8. Juli. Vertreter dieser Gruppierung seien verstärkt im Gängeviertel aktiv und wollten das Viertel während des G20-Gipfels als Rückzugsort nutzen, und zwar „zur Entspannung und Erstversorgung von Verletzten“.
Was die Beobachtung extremistischer Kräfte in Hamburg angeht, so geht eine zunehmende Gefahr offenbar von islamistischen und linksautonomen Kräften aus. Die rechte Szene verliert demnach offenbar an Bedeutung.
Dem Verfassungsschutz-Bericht zufolge stieg die Zahl der Salafisten in Hamburg von 460 (Ende 2015) auf 670 (Ende 2016). Derzeit würden rund 730 Personen der Szene zugerechnet, davon 365 Dschihadisten – das sind Salafisten, die den militanten Dschihad unterstützen. Die Zahl der Linksextremisten in der Hansestadt sei in etwa konstant geblieben, heißt es im Bericht. 2016 seien rund 1100 Personen diesem Spektrum zugerechnet worden nach 1090 im Jahr 2015. Davon seien 650 als gewaltorientiert einzustufen (2015: 620). Die Zahl der Personen, die rechtsextremistischen Gruppierungen angehören, sei von 330 auf 320 gesunken.
„Halbherzigkeit“ im Umgang mit Salafisten
Der CDU-Innenexperte Dennis Gladiator warf dem rot-grünen Senat „Halbherzigkeit“ im Umgang mit Salafisten vor. „Für eine engmaschige Überwachung der IS-Anhänger müssen die Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden im Bund aber auch in allen Bundesländern erweitert werden.“
Der FDP-Abgeordnete Carl Jarchow sprach von Versäumnissen des Senats in den vergangenen Jahren. Initiativen der Opposition, um das Personal des Verfassungsschutzes aufzustocken, seien lange ignoriert worden. Derzeit hat das Landesamt 180 Mitarbeiter.
Der AfD-Fraktionschef Jörn Kruse äußerte sich besorgt, dass es trotz repressiver Maßnahmen nicht gelungen sei, den Zulauf der Salafisten zu stoppen.
Die Grünen-Abgeordnete Antje Möller verwies auf Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes. Menschen mit türkischen Pässen oder Wurzeln dürften keine Repressalien erleiden, „weil sie sich gegen ein zunehmend autoritär agierendes Regime zur Wehr setzen“.